Lastwagen an nordirischer Grenze
APA/AFP/Paul Faith
Brexit-Regeln

Gericht stoppt Alleingang Nordirlands

Im Streit über die Einhaltung der Brexit-Regeln hat ein Gericht in Belfast dem jüngsten nordirischen Alleingang einen Riegel vorgeschoben. Es ordnete am Freitag an, dass die Zollkontrollen von Lebensmitteln und Agrarprodukten, die von der britischen Hauptinsel kommen, vorerst beizubehalten sind. Nordirland wollte sie abschaffen, daraufhin trat der Regierungschef des Landes zurück.

Die Anordnung des nordirischen Landwirtschaftsministers Edwin Poots vom Mittwoch, die Kontrollen abzuschaffen, löste diese Woche eine veritable Krise in- und außerhalb Nordirlands aus. Aus Protest trat Regierungschef Paul Givan, wie Poots von der protestantisch-unionistischen Partei DUP, am Donnerstag zurück. Die Richter setzten nun für den 7. März eine Anhörung an, bei der der Fall weiter behandelt werden soll.

Eine sorgfältig austarierte Vereinbarung sieht vor, dass mit dem Poots-Rücktritt auch die gleichberechtigte Vizeregierungschefin Michelle O’Neill von der katholisch-republikanischen Partei Sinn Fein ihr Amt niederlegen muss. Anfang Mai sind in Nordirland Regionalwahlen angesetzt. Umfragen zufolge kann Sinn Fein, die eine Wiedervereinigung von Irland und Nordirland anstrebt, erstmals auf eine Mehrheit hoffen.

Der ehemalige Regierungschef von Nordirland, Paul Givan
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Givan verkündete seinen Rücktritt Donnerstagnachmittag

Die EU, Sinn Fein und das benachbarte EU-Mitglied Irland verurteilten den Vorstoß von Poots scharf und sahen darin einen Vertragsbruch, denn die Kontrollen wurden im Rahmen der Brexit-Verhandlungen vereinbart. Die britische Regierung stellte sich hinter den Schritt. Die DUP setzt sich für eine engere Anbindung an Großbritannien ein und lehnt das Protokoll ab.

Innerbritische Zollgrenze entstanden

Die Kontrollen sind Teil des Nordirland-Protokolls, das vorsieht, dass trotz Großbritanniens Austritt aus der Europäischen Union die EU-Binnenmarktregeln in Nordirland weiterhin gelten. In der Folge wurden die Kontrollen des Warenverkehrs auf die Seegrenze zwischen der britischen Hauptinsel und Nordirland verlagert.

Damit soll eine harte Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden, durch die – so die Befürchtungen – die Gewalt zwischen Protestanten und Katholiken wiederaufflammen könnte. Entstanden ist damit aber eine innerbritische Zollgrenze. Loyalisten befürchten, dass die Beziehungen mit London dadurch geschwächt werden.

In Reaktion auf den Rücktritt Givans erneuerten Anhänger der Union mit Großbritannien ihre Kritik am Festhalten der Regeln durch die EU und Irland. Das Nordirland-Protokoll werde von keinem einzigen gewählten unionistischen Vertreter unterstützt, sagte der Chef der DUP, Jeffrey Donaldson, dem Sender RTE.

Wiederholt Vorfälle

Bereits in den vergangenen Monaten hatten Befürworter der Union mit Großbritannien gegen die Zollgrenze in der Irischen See agitiert. Zweimal stoppten Maskierte einen Linienbus, jagten die Fahrer fort und setzten die Fahrzeuge in Brand. Auf vielen Wänden waren Parolen und Drohungen zu lesen. Die DUP kritisierte zwar die Gewalt, goss aber selbst Öl ins Feuer: Wiederholt kündigte Donaldson an, seine Minister abzuziehen, wenn London das Nordirland-Protokoll nicht aufkündigt.

Lastwagen an nordirischer Grenze
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Durch das Protokoll entstand eine innerbritische Zollgrenze

Die Regelung, die der britische Premierminister Boris Johnson selbst unterschrieben hat, ist ihm inzwischen selbst ein Dorn im Auge. Auch deshalb signalisierte die Regierung in London umgehend Rückendeckung für die DUP-Pläne. Der Stopp der Brexit-Kontrollen sei Sache der nordirischen Exekutive, bescheinigte auch Außenministerin Liz Truss. Sie verhandelt derzeit mit EU-Vizekommissionschef Maros Sefcovic über Änderungen an dem Protokoll.

„Verstehe den Sinn nicht“

Die EU-Kommission reagierte zunächst eher zurückhaltend auf den Alleingang der DUP, der als Wahlkampfmanöver kritisiert wurde. Sie rief die britische Regierung auf, ihre internationalen Verpflichtungen einzuhalten. Ähnlich äußerte sich die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im EU-Parlament, Anna Cavazzini. Deutlicher wurde dann die irische EU-Kommissarin Mairead McGuinness. „Das ist ein klarer Bruch von internationalem Recht“, sagte sie dem irischen Sender RTE. „Diese Ankündigung hat für Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit und keinesfalls für Stabilität gesorgt, deshalb verstehe ich den Sinn dieses Schritts nicht.“

Auch Jahre nach dem Friedensschluss sind Loyalisten und Republikaner in Nordirland weit von einer Versöhnung entfernt. Noch immer wohnen katholische Republikaner und protestantische Unionisten getrennt voneinander, schicken ihre Kinder auf unterschiedliche Schulen. In Belfast trennen „Friedensmauern“ die Viertel. Erst vor knapp einem Jahr kam es an dieser Grenze zu neuen Krawallen, Jugendliche warfen Molotowcocktails. Nun werden neue Ausschreitungen befürchtet.

Der Rücktritt des Premiers bringt aber noch zusätzliche Probleme mit sich: Nächste Woche soll etwa über die Aufhebung von CoV-Maßnahmen beraten werden. Die Provinz steht de facto ohne regionale Regierung da, die etwa für Gesundheit zuständig ist. Die anderen Minister sollen zunächst im Amt bleiben, eine vorgezogene Wahl steht aber im Raum. Angesichts der politischen Lage dürfte die Regierungsbildung schwierig werden.