Der neue Stabschef des britischen Premiers, Steve Barclay
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Johnsons „Partygate“

Neue Berater wirbeln Staub auf

Der britische Premierminister Boris Johnson kann die „Partygate“-Affäre nicht abschütteln: Kritische Stimmen aus der eigenen Partei wollten zuletzt nicht verstummen, zudem traten fünf enge Vertraute zurück. Der britische Premier hofft nun darauf, die eigene Partei mit der Ernennung neuer Berater zu beruhigen – unumstritten sind diese jedoch nicht.

Kabinettsmitglied Steve Barclay soll als Stabschef und engster Mitarbeiter Johnsons die „Kultur“ im Regierungssitz verbessern. Das hatten Tory-Abgeordnete gefordert. Guto Harri wird neuer Kommunikationsdirektor und soll das Krisenmanagement im Regierungssitz verbessern. Johnson erwäge auch weitere Neubesetzungen, berichtete die BBC.

Kritik wurde nun etwa daran laut, dass Barclay Stabschef wird, zugleich aber den Wahlkreis North East Cambridgeshire im Unterhaus vertritt. „Tritt er als Abgeordneter zurück? Oder ist er dem Parlament verantwortlich? Ich kann an keine Demokratie denken, wo der Stabschef auch Teil der Legislative ist“, kritisierte der ehemalige Stabschef unter Labour-Premier Tony Blair, Jonathan Powell, auf Twitter. Die Entscheidung wirke „verzweifelt“, so Powell.

Der neue Kommunikationsdirektor des britischen Premierministers, Guto Harri
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Guto Harri wird Kommunikationsdirektor

Berater war einstiger Kritiker

Für Aufsehen sorgte auch Harris Bestellung. Harri diente Johnson bereits während dessen Zeit als Londoner Bürgermeister. In den vergangenen Jahren äußerte sich dieser aber kritisch über Johnson. 2018 meinte Harri etwa, dass Johnson als Premier „extrem spaltend“ sein würde. Johnson ist seit 2019 Premierminister Großbritanniens.

Auch Johnsons ehemaliger Topberater Dominic Cummings meldete sich via Twitter zu Wort: „Also unser neuer Boss ist ein (Brexit-)Befürworter, der meinte, dass der Premier ‚sexuell inkontinent‘, ‚extrem spaltend‘, ‚destruktiv‘ sei, ‚das Land in den Abgrund stürze‘ und ‚die falsche Seite‘ im Referendum gewählt habe’ GROSSARTIG.“

„Dem Premierminister sind eindeutig ernsthafte Leute ausgegangen, die bereit sind, unter seiner chaotischen und inkompetenten Führung zu dienen, und erwartet nun, dass ein Kabinettsminister sein Stabschef wird“, kritisierte die stellvertretende Labour-Chefin Angela Rayner. „Das ist eine Farce“, so Rayner weiter.

Schmerzliche Abgänge für Johnson

In den vergangenen Tagen traten gleich fünf Beraterinnen und Berater Johnsons zurück. Zwar lobten andere Vertraute des konservativen Regierungschefs die Abschiede am Freitag als Teil eines „Kulturwandels“. Kommentatoren sahen darin jedoch eher Anzeichen für den Anfang vom Ende des Premierministers. Es handle sich um einen „völligen Kollaps“ im Regierungssitz, zitierte die BBC am Freitag einen wichtigen konservativen Abgeordneten, der allerdings nicht genannt wurde.

Besonders der Abgang seiner wichtigsten politischen Beraterin Munira Mirza dürfte den Premierminister ins Mark treffen. Die Chefin der politischen Abteilung galt als eine seiner engsten Vertrauten. Sie hatte Johnson seit seiner Zeit als Londoner Bürgermeister begleitet.

In ihrem Abschiedsschreiben forderte Mirza ihren bisherigen Chef auf, sich doch noch zu entschuldigen. „Es ist nicht zu spät für Sie, aber – es tut mir leid, das zu sagen – es ist zu spät für mich“, schrieb sie. Mit der 44-Jährigen verliere Johnson sein „Gehirn“, hieß es in London. 2020 hatte er selbst Mirza als eine der fünf einflussreichsten Frauen in seinem Leben bezeichnet.

Die übrigen Kündigungen waren hingegen erwartet worden. So war Johnsons Büroleiter Martin Reynolds selbst in „Partygate“ verwickelt. Er hatte im Mai 2020 mit der Aufforderung „Bringt Euren eigenen Alkohol mit“ zu einer Lockdown-Feier im Garten der Downing Street eingeladen. Auch Stabschef Dan Rosenfield und Kommunikationsdirektor Jack Doyle kündigten. Inwiefern die Personalien freiwillig waren oder von Johnson erzwungen wurden, blieb offen.

Tory: „Premierminister auswechseln“

Auch trotz der Personalrochade bleibt Johnson unter Druck: Mit Nick Gibb forderte ein weiterer Tory-Abgeordneter Johnson zum Rücktritt auf. „Um Vertrauen wieder herzustellen, müssen wir den Premierminister auswechseln“, schrieb Gibb in einem Gastbeitrag für den „Telegraph“ (Samstag-Ausgabe). Es sei leider kaum vorstellbar, dass Johnson die Wahrheit sage.

Während der CoV-Lockdowns fanden in der Downing Street immer wieder Partys statt, bei denen Regeln gebrochen wurden. Johnson soll bei einigen selbst dabei gewesen sein. In mehreren Fällen ermittelt die Polizei. Sprechen sich 54 Torys gegen den Premier aus, käme es zu einem parteiinternen Misstrauensvotum. Medienberichten zufolge liegen bisher etwa 20 entsprechende Briefe vor.

Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng forderte am Sonntag die Partei auf, Johnson zu unterstützen. In der Ukraine drohe ein Krieg, im Inland bedrohten die steigenden Energiekosten die Menschen, sagte Kwarteng der BBC. „Deshalb denke ich, dass die Konzentration auf die Partys nicht der beste Weg für uns ist, diese Probleme anzugehen.“

Johnson und die Bierdose

Doch so schnell dürfte Johnson den Skandal nicht loswerden. Der „Mirror“ berichtete unter Berufung auf nicht genannte Quellen, der Polizei liege ein Foto vor, das Johnson bei einer Feier zu seinem Geburtstag 2020 mit einer Bierdose in der Hand zeige. Der Regierungschef betont immer wieder, nur kurz und in Zusammenhang mit Arbeitsterminen bei Versammlungen dabei gewesen zu sein.

Auch im Kabinett sorgt „Partygate“ für Unruhe: Finanzminister Rishi Sunak, der als möglicher Nachfolger gehandelt wird, distanzierte sich von einem persönlichen Angriff Johnsons auf Oppositionschef Keir Starmer, bei dem sich der Premier einer rechten Verschwörungstheorie bedient hatte. Daraufhin sollen andere Kabinettsmitglieder der „Times“ zufolge Sunak egoistische Manöver vorgeworfen oder sich für dessen Rücktritt ausgesprochen haben.