Tunesien: Präsident löst Justizrat auf

Tunesiens seit vergangenem Jahr mit weitgehenden Machtbefugnissen regierender Präsident Kais Saied hat in einem weiteren umstrittenen Schritt den Obersten Justizrat (CSM) des Landes aufgelöst. „Der CSM gehört ab jetzt der Vergangenheit an“, sagte Saied in einem gestern verbreiteten Video. Der aus 45 Mitgliedern bestehende Rat war im Jahr 2016 geschaffen worden, um die Unabhängigkeit der Justiz zu überwachen.

Der Rat erklärte am Nachmittag, man werde die Anordnung nicht befolgen und vielmehr die Arbeit fortsetzen. Saied wirft dem Gremium jedoch Parteilichkeit, Korruption und die Verschleppung bestimmter Verfahren vor. Konkret nannte der Staatschef die Ermittlungen zur Ermordung linker Aktivisten im Jahr 2013. „Bestimmte Richter“ im CSM hätten die entsprechenden Verfahren manipuliert.

Mordermittlungen verschleppt?

Gestern fanden in Tunis Demonstrationen zum Jahrestag der Ermordung des tunesischen Oppositionsführers Chokri Belaid statt, der am 6. Februar 2013 vor seinem Haus erschossen worden war. Im selben Jahr war auch der linke Aktivist und Anwalt Mohamed Brahmi ermordet worden.

„Dies ist nicht der erste Prozess, bei dem sie seit Jahren versuchen, die Wahrheit zu verbergen“, sagte Saied über den CSM. In dem Gremium würden Posten verkauft und nach Parteizugehörigkeit vergeben. „Sie können sich nicht vorstellen, wie viel Geld einige Richter erhalten haben, Milliarden und Milliarden“, kritisierte der Staatschef. Die Richter gehörten selbst auf die Anklagebank.

Saied kündigte an, den Justizrat neu zu begründen und zu organisieren. Nach Einschätzung von Beobachtern zielt der Präsident mit der Auflösung des Gremiums vor allem auf die islamistische Ennahdha-Partei ab, die seit dem Sturz des Langzeitmachthabers Zine El-Abidine Ben Ali während des „arabischen Frühlings“ im Jahr 2011 starken Einfluss auf die tunesische Politik ausgeübt hatte.

Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) hatte die Morde an Belaid und Brahmi für sich reklamiert. Die vergleichsweise moderate Ennahdha wird von vielen im Land beschuldigt, die Ermittlungen zu den Anschlägen blockiert zu haben.