Polnische Flagge vor dem EU-Komissionslogo
Reuters/John Thys
Rechtsstreit mit Polen

Kommission behält erstmals EU-Hilfen ein

Neue Eskalation im Rechtsstreit mit Polen: Wie am Dienstag bekanntwurde, behält die EU-Kommission erstmals Hilfsgelder in Millionenhöhe für das Land ein – ein bis dato beispielloser Vorgang. Die EU-Behörde reagiert damit auf die Weigerung Polens, seit September ein tägliches Zwangsgeld von einer halben Million Euro zu zahlen. Polen will die Kürzung juristisch anfechten und beruft sich dabei auf eine kürzliche Einigung mit Tschechien.

Die EU-Kommission teilte mit, sie kürze die EU-Gelder für Polen zunächst um das fällige Zwangsgeld für den ersten Monat nach dem Urteil. Das entspricht umgerechnet rund 15 Millionen Euro. „Die Kommission erfüllt ihre rechtliche Verpflichtung, von dem Gericht verhängte Strafgelder einzutreiben“, sagte ein Sprecher von EU-Budgetkommissar Johannes Hahn am Dienstag.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte die Buße im Streit um den polnischen Braunkohletagebau Turow im Dreiländereck von Polen, Tschechien und Deutschland festgesetzt. Die Vorgeschichte: Tschechien hatte vor dem EuGH gegen den Tagebau Turow geklagt, da Polen keine korrekte Umweltverträglichkeitsprüfung vorgenommen habe und man gravierende Folgen für die Umwelt befürchtete.

Schließung bereits im Mai des Vorjahres angeordnet

Bewohnerinnen und Bewohner klagten über die Belastung durch Staub und Lärm und einen Rückgang des Grundwassers. Der Braunkohleabbau und das benachbarte Kraftwerk, das von PGE betrieben wird, sind allerdings eine wichtige Energiequelle für Polen. Das Kraftwerk deckt rund sieben Prozent des polnischen Strombedarfs.

Braunkohletagebau Turow
Reuters/David W Cerny
Der Braunkohleabbau und das benachbarte Kraftwerk

Bereits im Mai des Vorjahres hatte der EuGH die sofortige Schließung des Tagebaus angeordnet. Im September des Vorjahres war Polen schließlich wegen des Falls vom EuGH zur Zahlung des täglichen Zwangsgelds verurteilt worden. Trotz einstweiliger EuGH-Anordnung vom Mai habe Warschau den Braunkohleabbau nicht gestoppt, hieß es damals in einer Anordnung der EuGH-Vizepräsidentin Rosario Silva de Lapuerta, weswegen Strafzahlungen an das EU-Budget verfügt wurden – jener Vorgang, der nun in Gang gesetzt wurde.

Polen will Kürzung anfechten, beruft sich auf Einigung

Dabei hatte es um den Ausbau des Braunkohletagebaus Turow erst vor wenigen Tagen eine Einigung zwischen den Streitparteien Polen und Tschechien gegeben. Unterzeichnet wurde ein entsprechender Vertrag – er sieht unter anderem den Bau eines Erdwalls gegen die Lärmbelästigung und finanzielle Ausgleichszahlungen in Höhe von 45 Millionen Euro vor. Die Klage wurde schließlich zurückgezogen, das Geld seitens des polnischen Staats und der Betreibergesellschaft PGE an Prag überwiesen.

Mit Verweis auf diese Vereinbarung zur Beilegung des Streits will Warschau im Rechtsstreit mit Brüssel die Kürzung von EU-Mitteln nun juristisch anfechten. Dafür werde die nationalkonservative Regierung in Warschau „alle rechtlichen Mittel“ nutzen, sagte Regierungssprecher Piotr Muller am Dienstag der polnischen Nachrichtenagentur PAP. Er nannte das Urteil des EuGH völlig unbegründet.

Tschechischer Premier Petr Fiala und Polens Premier Mateusz Morawiecki
APA/AFP/Stringe
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (l.) und sein tschechischer Kollege Petr Fiala bei einer Pressekonferenz zur Unterzeichnung der Einigung in der Vorwoche

Die Einigung zwischen Prag und Warschau war fast gleichzeitig mit der Veröffentlichung eines EuGH-Gutachtens zum Fall Turow am vergangenen Donnerstag erfolgt. Darin wird festgehalten, dass Polen gegen EU-Recht verstieß, als es die Genehmigung für den Braunkohletagebau 2020 ohne Umweltprüfung verlängerte. Ein Tagebau könne erhebliche Folgen für die Umwelt haben, argumentierte Generalanwalt Priit Pikamäe.

Entzug von Geldern droht in weiterem Fall

Polen droht über den Fall Turow hinaus der Entzug weiterer EU-Gelder: Im Streit um eine Disziplinarkammer für Richter am Obersten Gerichtshof Polens hatte der EuGH ein tägliches Zwangsgeld von einer Million Euro verhängt. Hier ist Polen mit mehr als 100 Millionen Euro im Rückstand. Warschau hatte unlängst ein Einlenken in diesem Konflikt angedeutet.

Auch damit wäre das Grundsatzproblem nicht gelöst: Denn die polnische Regierung hatte im Oktober eine Verfassungsänderung erwirkt, mit der nationales Recht grundsätzlich über EU-Recht gestellt wird. In dem Konflikt liegen europäische CoV-Hilfsgelder in Höhe von 36 Milliarden Euro für Polen auf Eis.