Der 32-jährige Franzose mit frankomarokkanischen Wurzeln sprach von einer Verteidigungsaktion der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Wegen französischer Angriffe gegen Islamisten in Syrien mit zivilen Opfern habe die Miliz in Paris zugeschlagen, sagte er. Weil der IS nicht in Syrien militärisch mit Flugzeugen oder Hubschraubern habe reagieren können, habe er Cafes und einen Konzertsaal in Paris angegriffen.
Abdeslam soll in Paris einen Sprengstoffgürtel gehabt, ihn aber nicht gezündet, sondern in einem Vorort weggeworfen haben, wo dieser später gefunden wurde. „Ich habe niemanden getötet und niemanden verletzt“, sagte der 32-Jährige. Er habe sich anders entschieden, machte dazu aber keine erhellenden Angaben.
Bekenntnis zum IS
Er warf dem Gericht vor, an ihm ein „Exempel statuieren“ zu wollen: „Seit Beginn dieses Falles hat man nicht aufgehört, mich zu verleumden.“ Er kritisierte die „extrem harten Strafen“ bei Terrorismusprozessen. „Wenn künftig jemand mit einem Koffer mit 50 Kilogramm Sprengstoff in die Metro oder in einen Bus steigt und es sich im letzten Moment anders überlegt, dann wird er sich sagen, dass er das nicht machen kann, da man ihn ohnehin einsperren oder töten wird“, sagte Abdeslam.

Dennoch betonte Abdeslam im Gericht seine Unterstützung für den IS, der sich einer westlichen Dominanz weltweit entgegenstelle und die Scharia, das islamische Recht, durchsetzen wolle. „Das finde ich legitim.“ Über Stunden äußerte sich Abdeslam bereitwillig zu den Fragen des Gerichts.
Vernehmung an zwei Tagen
Mit Spannung war erwartet worden, ob er sich überhaupt umfassend zu den Anschlägen äußert, die Frankreich ins Mark trafen und viele traumatisierte Überlebende und Angehörige hinterließen. „Glaubten Sie wirklich, dass das die französische Politik verändert“, fragte der Richter, um die Motivation für die Anschläge zu ergründen. Eine klare Antwort blieb Abdeslam schuldig. Für die Vernehmung des Hauptangeklagten sind zwei Tage angesetzt.
Im September vergangenen Jahres hatte Abdeslam sich aber schon einmal geäußert und das Blutbad schon damals verteidigt. „Wir haben Frankreich angegriffen, wir haben die Bevölkerung ins Visier genommen, Zivilisten, aber persönlich haben wir nichts gegen sie“, sagte er. Als der damalige Präsident Francois Hollande entschieden habe, den IS anzugreifen, habe er gewusst, dass das Risiken mit sich bringe. Hollande wehrte sich als Zeuge in dem Prozess bereits gegen eine solche Darstellung.
In Belgien zu 20 Jahren Haft verurteilt
Abdeslam fuhr am Tag der Attentate zwei Terrorteams zu den Anschlagsplätzen. Seinen eigenen Sprengstoffgürtel warf er weg und flüchtete. Erst im März 2016 wurde er aufgegriffen. Bei einem ersten Festnahmeversuch wurden drei Polizisten verletzt, drei Tage später konnte Abdeslam in Brüssel dingfest gemacht werden. Für den Schusswechsel wurde er im April 2018 in Brüssel bereits wegen versuchten terroristischen Mordes zu 20 Jahren Haft verurteilt.
Der Prozess in Paris wird mit höchster Sicherheitsstufe in einem speziell zusammengestellten Pariser Schwurgericht verhandelt. Begonnen hat er im September des Vorjahrs, und seit damals riss der Prozess alte Wunden im durch die Terrornacht traumatisierten Frankreich auf. Die Aussage Abdeslams war eigentlich für Jänner geplant gewesen, musste aber wegen einer Coronavirus-Infektion des Angeklagten verschoben werden.
130 Tote an drei Anschlagsorten
Die Extremisten hatten am 13. November 2015, einem Freitag, in der Pariser Konzerthalle Bataclan ein Massaker angerichtet und dort 90 Menschen erschossen sowie Bars und Restaurants im Osten der Hauptstadt beschossen. Insgesamt töteten die insgesamt Attentäter in drei Gruppen bei den Angriffen an verschiedenen Orten in Paris 130 Menschen. Am Stade de France sprengten sich zudem während des Fußballländerspiels Frankreich – Deutschland drei Selbstmordattentäter in die Luft. Der IS nahm die Anschläge als seine Taten in Anspruch. Neun Attentäter, darunter Abdeslams Bruder Brahim, kamen bei den Anschlägen ums Leben, zwei, darunter der mutmaßliche Planer, Abdelhamid Abaaoud, bei einer Polizeirazzia fünf Tage später.
„Intelligenz eines leeren Aschenbechers“
Im Herbst war Abdeslam im Prozess zu seinem Lebenslauf befragt: Er sei als Kind „ruhig und freundlich“ und ein „guter Schüler“ gewesen, antwortete er. Abdeslam sagte aus, dass er in Brüssel geboren sei, aber nur die französische Nationalität habe. Seine aus Marokko stammenden Eltern hatten zuvor in Frankreich gelebt. Er ist das vierte von fünf Kindern. Als junger Mann galt er als lebenslustig und keineswegs religiös. Nach einem Überfall wurde er zu eine Haftstrafe verurteilt, offenbar der Beginn seiner Radikalisierung.
Ein ehemaliger Anwalt Abdeslams in Belgien, Sven Mary, schätzte ihn eher als Mitläufer denn als Anführer ein. Wenig schmeichelhaft meine er, der Terrorist habe die„Intelligenz eines leeren Aschenbechers“.
Neue Bedingungen für Verfahren „V13“
Für das Verfahren „V13“ (vendredi, dt.: Freitag, der 13., Anm.) wurde im Pariser Justizpalast ein neuer Saal aus hellem Holz eingezogen, der 550 Sitzplätze bietet und eine würdige Ausstrahlung haben soll. Der Gerichtssaal misst rund 700 Quadratmeter, Bildschirme stellen die Sicht auf die Verhandlung in den hinteren Bereichen sicher. Während des gesamten Prozesses steht für die Betroffenen eine psychologische Betreuung parat. Opfer und Angehörige können die Anhörungen erstmals über ein gesichertes Webradio verfolgen.

Neben Abdeslam sind 19 weitere Männer angeklagt, die mutmaßlich für den Einsatz bei Anschlägen vorgesehen waren bzw. logistische Hilfe geleistet haben sollen, indem sie Abdeslam bei der Flucht halfen oder falsche Papiere besorgten. 14 der Angeklagten sind beim Prozess anwesend, von den sechs abwesenden Angeklagten gelten fünf als tot, einer befindet sich in der Türkei in Haft. Abdeslam hatte beim Prozess mehrere seiner mutmaßlichen Komplizen ungefragt für unschuldig erklärt. „Sie haben mir geholfen, aber sie wussten von nichts“, erklärte er: „Sie sind im Gefängnis, obwohl sie gar nichts getan haben.“