Die geografische Nähe sage nichts über die tatsächliche Nähe aus, vielmehr gehe es darum, wie der jeweils andere wahrgenommen werde, erklärt der äthiopisch-österreichische Professor für Politikwissenschaft, Belachew Gebrewold vom Management Center Innsbruck (MCI).
Im Fall von Afrika gebe es zwar eine gewisse Faszination für Europa, aber auch eine historisch bedingte Ablehnung. „Sie waren unsere Kolonisatoren, sie waren es, die uns versklavten. Aber sie waren es auch, die technologisch, politisch und wirtschaftlich so viel erreichten“, meint Gebrewold, der hier von einer „Hassliebe“ spricht.

„Keine gesunde Beziehung“
Und: „Derjenige, der die Macht hat, ist geachteter als derjenige, der arm ist.“ Die Muster seien immer dieselben. "Egal, ob Innsbruck oder in dem Dorf (in Äthiopien, Anm.), wo ich herkomme. „Augenhöhe klingt nett, aber das ist nicht die Wirklichkeit“, so Gebrewold.
Ähnlich äußert sich Geert Laporte vom Brüsseler Thinktank European Centre for Development Policy Management (ECDPM): „Die Europäer haben darauf gedrängt, den Begriff der Partnerschaft zu verwenden. Aber in der Realität existiert diese nicht.“ Europa definiere die Agenda, während Afrika immer noch die Hand für Hilfen aufhalte. Das ist „keine gesunde Beziehung, es braucht mehr Ausgewogenheit“.
Migration an erster Stelle
In dieser ungleichen Partnerschaft gebe es zwei Agenden – die europäische und die afrikanische. Im Bereich der Migration kämen diese am sichtbarsten zutage, meint Laporte. Gebrewold verweist hierbei etwa auf die aktuelle EU-Afrika-Strategie. Hier werden fünf Themebereiche genannt.
EU-Afrikastrategie
Die aktuelle EU-Afrikastrategie zielt auf fünf Bereiche ab: grüne Transformation, digitale Transformation, nachhaltige Entwicklung, Friede und Sicherheit, Migration und Mobilität.
Migration stehe auf dem Papier zwar an letzter Stelle, sei in Wahrheit aber die erste Priorität für Europa. „Was sie wollen, ist, dass keine Afrikaner nach Europa kommen.“ In Europa sei immer noch die Angst vor dem schwarzen Mann offensichtlich. Man sehe Afrika potenziell als Gefahr, weil es nah ist.
Wenn man Grenzen schließe und Mauern baue, mit Diktaturen kooperiere und Menschen gefangen halten lasse, könne das dazu führen, dass weniger Geflüchtete kommen. „Die Frage ist aber, für wie lange? Und ist das vereinbar mit den europäischen Werten und Menschenrechten?“
Kritik an Europa, aber auch an Afrika
Langfristig könne Europa durch dieses Vorgehen an Glaubwürdigkeit verlieren, so die Einschätzung Gebrewolds. Schon jetzt kritisiere die afrikanische Zivilbevölkerung die „Heuchelei und das Pharisäertum“ europäischer Politiker. Afrika reagiere dementsprechend mit Zynismus, was ebenso abzulehnen sei.
Laut Laporte müssten aber auch die afrikanischen Führungen stärker ihre Ressourcen mobilisieren und in ihre eigene Entwicklung investieren, anstatt auf externe Finanzierung und Hilfe angewiesen zu sein. Ansonsten werde diese ungleiche Partnerschaft anhalten.

Appell: Ursachen bekämpfen
Politikwissenschaftler Gebrewold plädiert indes dafür, nicht nur Symptome zu behandeln, sondern sich stärker mit den Ursachen der Konflikte auseinanderzusetzen. „Man muss sich fragen, woher kommen diese Konflikte, woher kommt Armut, der Krieg. Und welchen Beitrag haben wir (in Europa, Anm.) dazu geleistet?“

Ähnlich verhalte es sich etwa auch mit Klimamigration und der Klimakrise an sich. Der Globale Süden müsse die Rechnung für die Klimazerstörung tragen, für die der Globale Norden verantwortlich sei. Auch hier zeige sich erneut der Paternalismus. Umweltschutz sei zwar in der gemeinsamen Partnerschaft als Begriff festgeschrieben, doch Europa zeige sich nicht willig, entsprechende Maßnahmen für den Klimaschutz zu ergreifen.
„Die Wüste wird größer, Dürre verbreitet sich, Überschwemmungen wüten, Heuschreckenplagen zerstören Lebensgrundlagen, Hunger und Armut wird immer mehr. Alles bedingt durch den Klimawandel. Und die Afrikaner sehen, wie Europäer einfach nur zusehen“, analysiert Gebrewold. Dabei wären Investitionen in den Umweltbereich wie in die Entwicklung alternativer Energien eine große Chance für Europa – im Interesse aller.

Zusammenarbeit „nicht aus Nächstenliebe“
Schließlich würden Konflikte in afrikanischen Ländern nicht nur Afrika destabilisieren, sondern hätten auch Auswirkungen auf Europa. „Ein instabiles Afrika destabilisiert Europa.“ Das würde nicht nur die Klimakrise zeigen, sondern etwa auch die Pandemie. Gerade was die Impfstofflieferungen betreffe, habe Europa hier auf ganzer Linie versagt, meint Gebrewold.
„Die reichen Europäer konnten es sich leisten, nicht nur als Erstes, sondern auch mit dem besten Impfstoff geimpft zu werden.“ Die „schlechten“ Impfstoffe oder jene, die kurz vor dem Ablaufdatum standen, seien dann nach Afrika geschickt worden, erklärt Gebrewold die Wahrnehmung der Afrikanerinnen und Afrikaner.
Beiden Seiten fehle das Bewusstsein, dass es sich um gemeinsame Probleme handle, die eben wie bei Klimakrise oder Pandemie keine Grenzen kennen würden. Hierbei brauche es eine Zusammenarbeit – nicht aus ethischen Gründen oder Nächstenliebe, sondern aufgrund eigener Interessen. „Wir brauchen Partnerschaft. Eine echte Partnerschaft. Und nicht nur eine, die auf Papier existiert.“ Um globale Herausforderungen und Probleme zu bewältigen, bedürfe es vor allem Investitionen in die Bildung.
Wettlauf mit China und Russland
Bildung und Umwelt, Demokratie und Menschenrechte, das seien zusammengefasst jene Bereiche, in denen Europa Impulse setzen könne – und auch müsse. Denn der Wettlauf um den afrikanischen Kontinent, und nicht zuletzt auch um seine Rohstoffe, ist längst im Gange.
Während sich die USA eher zurückziehen würden, drängten vor allem China und Russland nach Afrika. Den beiden Experten zufolge versuche Russland vor allem, seinen Einflussbereich zu erweitern, und zeige militärische Präsenz. China sei in den Bereichen Politik und Wirtschaft aktiv – besonders mit großen Infrastrukturprojekten.
Gipfel als „Meilenstein“?
Genau hier will die EU auch nachziehen – etwa mit der „Global Gateway“-Initiative, der europäischen Seidenstraße. Im Vorfeld des Gipfels reiste EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Senegal und kündigte dort an, dass mehr als 150 Milliarden Euro für Investitionen in Afrika mobilisiert werden sollen. Details dazu, sollen am Rande des EU-Afrika-Gipfels in Brüssel vorgestellt werden.
Der Gipfel selbst soll nichts weniger als ein „wichtiger Meilenstein in den Bemühungen um eine Vertiefung der Beziehungen und eine verstärkte Partnerschaft“ werden, wie es seitens der EU heißt. Ob dieses Vorhaben eingehalten werden kann, scheint fraglich, wird doch erwartet, dass die Ukraine-Krise doch einen großen Teil der Gespräche der EU-Staats- und -Regierungsspitzen einnehmen wird.
Auch Laporte meint: „Es ist immer das gleiche Spiel. Man hat immer hohe Erwartungen. Wir verwenden andauernd diese großen Begriffe wie ‚neue Allianzen‘.“ Wichtiger sollten aber konkrete Handlungen sein: „Auch wenn es nur kleine Fortschritte sind, die aber auf gegenseitigem Respekt basieren. Erst dann können wir eine neue Art der Beziehung aufbauen.“