Szene aus „Moonfall“
LEONINE
„Moonfall“

Emmerich lässt den Mond herabstürzen

Er hat Alieninvasionen inszeniert, die Welt schockgefrostet und den Weltuntergang in Szene gesetzt: Der deutsche Hollywood-Export Roland Emmerich arbeitet gern mit großem Besteck. Mit „Moonfall“ gelingt ihm nun ein neuer Höhepunkt an krachgewaltigem Unsinn – und nie war das Bedürfnis danach größer.

Das kommt jetzt eher ungünstig: Wissenschaftler der NASA haben festgestellt, dass der Mond seine Umlaufbahn verlassen hat. Noch sind die Veränderungen fast unmerklich, doch dass sie katastrophale Folgen haben werden, ist fix. Es herrscht helle Aufregung im Johnson Space Center in Houston, denn die Vorzeichen, dass im All etwas faul ist, hätte man längst merken können. Sogar Hobbyastronom K.C. Houseman (John Bradley), mehr Verschwörungstheoretiker als Experte, ist auf die Unregelmäßigkeiten gestoßen, doch niemand wollte seine Warnungen hören.

Zehn Jahre zuvor verunglückte bei einer Routinereparatur an der Außenhaut des Spaceshuttle „Endeavour“ ein Astronaut durch eine Druckwelle. Seine Kollegin Jocinda „Jo“ Fowler (Halle Berry) wurde dabei ohnmächtig, der dritte Astronaut Brian Harper (Patrick Wilson) sah noch eine seltsame schwarze Masse, die auf das Shuttle zuraste.

Szene aus „Moonfall“
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„Wie jetzt, Weltuntergang?“ Jo (Halle Berry) und Brian (Patrick Wilson) sind die Einzigen, die die Erde retten können

Der Mond steht kopf

Nur Einbildung, hieß es damals bei der offiziellen Untersuchung des Vorfalls. Harper beharrte auf seiner Wahrnehmung, verlor seinen Job, lebt heute geschieden und von seinem Sohn entfremdet in einer Junggesellenabsteige und hält im Griffith Observatorium (übrigens eine legendäre Filmlocation) kleine Vorträge vor Schulkindern, um sich über Wasser zu halten. Seine Kollegin Fowler ist inzwischen ein hohes Tier bei der NASA.

Als sie von den Unregelmäßigkeiten bei der Mondumlaufbahn hört, weiß sie: Nur gemeinsam mit Harper kann sie der Erde aus diesem Schlamassel helfen. Denn wenn der Mond der Erde über die Roche-Grenze nahe kommt, wird das nicht nur die Gezeiten durcheinanderbringen, die Mondanziehungskraft wird auch die Erdatmosphäre zerstören. Die Folgen sind unabsehbar – und Emmerich findet spektakuläre Bilder dafür.

Szene aus „Moonfall“
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„Moonfall“ bietet ein Bedrohungsszenario, wie Emmerich es liebt

Noch ein Weltuntergang

„Moonfall“ ist innerhalb kurzer Zeit schon der zweite Film, in dem der Erde aus dem Weltall die komplette Zerstörung droht: Erst vor ein paar Wochen startete auf Netflix die Satire „Don’t Look Up“ von Adam McKay, in der ein Komet auf die Erde zurast. Nur wenn alle großen Nationen zusammenhelfen, kann es gelingen, die sichere Katastrophe abzuwenden. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, doch anstatt sich mit konkreten Lösungen zu befassen, verlieren sich Politik und Medien in Relativierungen und Umdeutungen.

In „Don’t Look Up“ ist der Umgang mit der planetaren Bedrohung eine didaktische Klimakatastrophenmetapher, der Filmtitel in den sozialen Netzwerken längst zur Kurzformel für Klimaleugnerei avanciert. „Moonfall“ ist dazu der eskapistische Gegenentwurf, ein überdrehtes, glanzvoll albernes Science-Fiction-Spektakel, das sich für die Erde und ihre Bewohnerinnen und Bewohner nur nebenbei interessiert. Vor allem geht es um einen gigantomanischen Verschwörungsmythos, von dem bisher nur der schrullige Houseman überzeugt war und der sich im Film als wahr herausstellt.

Der Mond ist nämlich gar kein natürlicher Trabant, sondern eine hohle Megastruktur außerirdischen Ursprungs, und sein Abweichen von der Erdumlaufbahn ist Resultat einer konkreten Aggression, doch mehr soll hier nicht verraten werden.

„Moonfall“ ist in seiner hemmungslosen, bombastischen Überdrehtheit ein großer Spaß, der jeden Anspruch auf irgendeine Form von Bedeutsamkeit auf ein absolutes Minimum herunterschraubt, die Emmerich-typischen Katastrophen-Familien-Zusammenführungen ausgenommen.

Wohlige Klischees

Der ganze Film fühlt sich so vertraut an wie jene abgetragene Lederjacke, die Draufgängerastronaut Harper trägt, wenn er aufs unvermeidliche Motorrad steigt. Zugleich hat der Film fast alles im Programm, was in einem freundlich diversen, gemäßigt liberalen Amerika en vogue ist, allen voran Berry als patente schwarze Heldin, die die NASA übernimmt, als der alte weiße Mann an der Spitze lieber in den Bunker zur Familie flüchtet. Dritter im Bunde ist der schräge K.C., der mit dementer Mama und einer Katze namens Fuzz Aldrin die Kurve von gruselig zu liebenswürdig kriegt.

Vor 18 Jahren, als die Klimakatastrophe noch nicht so spürbar war wie jetzt, setzte Emmerich mit „The Day After Tomorrow“ ihre Auswirkungen drastisch ins Bild. Heute greift er ausgerechnet zu einem Katastrophenplot, der in seiner surrealen Anmutung wie frisch aus einer Telegram-Gruppe wirkt: „Moonfall“ ist ein kruder Mix aus Science-Fiction-Motiven, gewürzt mit etwas Metaphysik, überraschend unterhaltsam und wohltuend sinnbefreit.