Wobei es das Wort „Renaissance“ nicht ganz trifft: Schon bisher hat Frankreich stark auf Atomkraft gesetzt und ist nach den USA der zweitgrößte Produzent der Welt. Aktuell verfügt das Land über 56 Kraftwerke und bezieht fast 71 Prozent seines Stroms aus AKWs – der höchste Anteil weltweit. EU-weit dagegen stand die Atomkraft 2020 nur für einen Anteil von rund 25 Prozent, wie das EU-Statistikamt Eurostat jüngst mitteilte.
Anders als etwa Deutschland hielt Frankreich auch nach der Katastrophe im japanischen Fukushima 2011 an der Atomkraft fest. Macron räumte am Donnerstag ein: „Das letzte Jahrzehnt war geprägt von einem internationalen Zweifel an der Atomkraft, einer Eiszeit, die natürlich auf das schreckliche Ereignis in Fukushima zurückzuführen war. Einige Nationen haben in dieser Zeit radikale Entscheidungen getroffen, um der Kernenergie den Rücken zu kehren. Frankreich hat diese Wahl nicht getroffen, es hat Widerstand geleistet, aber nicht wieder investiert, weil die Zweifel da waren.“
CO2-Neutralität als Argument
Aber nun gäbe es „einen Bruch mit der vergangenen Zeit“, die Bedingungen seien nun für die „Wiedergeburt der Kernenergie“ gegeben. Macron begründete das vor allem damit, dass auf diese Weise die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringert werde. Nur so ließe sich das Ziel der CO2-Neutralität bis 2050 erreichen. „Wir nehmen unser Schicksal mit Blick auf die künftige Energieproduktion wieder selbst in die Hand“, sagte Macron.

Die neuen Atommeiler sollen vom staatlichen Versorger EDF gebaut und betrieben und mit Milliarden Euro öffentlicher Mittel gefördert werden. Zugleich werde die Laufzeit aller bestehenden Kraftwerke verlängert, wenn die Sicherheit es erlaube. Es solle kein Kraftwerk mehr vom Netz gehen, wenn es keine zwingenden Sicherheitsgründe dafür gebe. Der Stromkonzern EDF sei angewiesen worden zu prüfen, ob die Laufzeit der Atomkraftwerke über 50 Jahre hinaus verlängert werden kann.
„Wir sind glücklich, dass wir in Frankreich auf eine starke nukleare Industrie zählen können, reich an Fachwissen und mit Hunderttausenden Arbeitsplätzen“, sagte Macron. Baubeginn für die neuen Atomkraftwerke sei 2028. Der erste Reaktor der neuen Generation EPR werde aber erst 2035 ans Netz gehen. Das werde „die Baustelle des Jahrhunderts“, sagte Macron.

Ausbau auch von Windenergie
Parallel kündigte Macron einen Ausbau der erneuerbaren Energie an, um die lange Bauzeit der neuen Atomkraftwerke zu überbrücken. „Da es 15 Jahre dauert, einen Reaktor zu bauen, müssen wir den Anteil erneuerbarer Energien erhöhen“, sagte Macron. Deswegen sollten 50 Offshore-Windparks gebaut werden. Bisher hat das küstenreiche Land noch keinen funktionierenden Windpark im Meer.
„Wir müssen ehrlich eingestehen, dass wir da spät dran sind“, sagte Macron. Die Kapazität der Windkraftanlagen auf dem Land solle bis 2050 verdoppelt werden, fügte er hinzu. Ursprünglich hatte Frankreich eine Verdopplung der aus Windkraft gewonnenen Energie innerhalb von zehn Jahren angestrebt.
Macron zeigte Verständnis für diejenigen, die eine Verschandelung der Landschaften befürchteten. Künftig sollten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister besser in die Entscheidungen über Standorte eingebunden werden, bürokratische Hürden sollten wegfallen. Generell sei davon auszugehen, dass der Energiebedarf um bis zu 60 Prozent steigen werde, sagte der Präsident und nannte unter anderem die Zunahme von Elektroautos und die Produktion von Wasserstoff.

Betreiber EFD in Nöten
Es sei nicht möglich, ausschließlich auf erneuerbare Energien zu setzen, da diese nicht stabil genug seien, sagte Macron. An der Finanzierung der neuen Atomkraftwerke werde sich der Staat beteiligen. Der Betreiber EDF geht von 50 Milliarden Euro für den Bau von sechs EPR-Reaktoren der nächsten Generation aus.
Aktuell bereiten dem Stromkonzern EDF jedoch schadhafte Atomkraftwerke Sorgen. Wegen möglicher Korrosionsschäden gingen im vergangenen Jahr bereits fünf Kraftwerke für Wartungsarbeiten vom Netz. Vor drei Tagen kündigte EDF eine Revision von drei weiteren Kraftwerken wegen möglicher Schäden an und korrigierte seine für 2022 erwartete Atomstromproduktion nach unten.
Ausufernde Kosten und technische Probleme hatten den Ausbau der Atomkraft durch EDF zuletzt behindert. Für einen umstrittenen Atomreaktor in Flamanville am Ärmelkanal, dessen Bau bereits 2007 begann, wurde erst kürzlich die Betriebsgenehmigung erteilt. Die Umweltorganisation Greenpeace nannte die Ankündigung am Donnerstag entsprechend „komplett unvernünftig“.
Ungelöstes Müllproblem, uneinige EU
Ungelöst ist auch das Problem des Atommülls: Im lothringischen Dorf Bure gibt es 500 Meter unter der Erde ein „Labor“, wo die Lagerung von Atommüll vorbereitet wird. „Das ist das Referenzmodell, das Projekt ist auf gutem Weg“, hieß es aus dem Präsidentenamt. Eine Baugenehmigung ist allerdings noch nicht vorhanden, und die Abklingbecken in der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague sollen bereits 2030 voll sein.
Macrons Atomplan kommt kurz nach der umstrittenen Entscheidung der EU-Kommission, die eine Einstufung von Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich erlaubt. Paris setzte sich stark für den Entschluss ein. Österreichs Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat dagegen bereits eine Klage gegen die Taxonomie angekündigt. „Die Ankündigung von Laufzeitverlängerungen bedeutet, dass das atomare Risiko in Europa erhöht wird und das können wir nicht hinnehmen“, kritisierte am Donnerstag auch Martin Litschauer, Anti-Atom-Sprecher der Grünen.