Person hält BLM-Plakat hoch
picturedesk.com/ALEX HALADA
Österreichische Geschichte

Vom weißen Blick zur schwarzen Stimme

Über die Geschichte schwarzer Menschen in Österreich ist nur wenig bekannt. Unterdrückung und Exotisierung sollten ihr Schicksal über Jahrhunderte prägen, ebenso wie der Kampf für die eigenen Rechte. Dass schwarze Geschichte heute noch Relevanz hat, steht für die Fachleute Walter Sauer und Vanessa Spanbauer, aber auch die Aktivistin Noomi Anyanwu außer Frage. In ORF.at-Interviews zum „Black History Month“ erklären sie warum.

„Heidnisch“, „feindlich“, „exotisch“, „kriminell“, aber auch „kämpferisch“, „stark“ und „politisch“ – seit jeher hat die Hautfarbe schwarzer Menschen hierzulande eine Rolle gespielt. Ihre Bedeutung und auch Bewertung durch lange Zeit meist weiße Beobachterinnen und Beobachter sollte sich über die Jahrhunderte stets wandeln. Das zeigt ein Blick auf die bis in die Spätantike zurückreichende Geschichte schwarzer Menschen in Österreich bzw. auf dem heutigen österreichischen Territorium.

Vor allem mit der Neuzeit beginnt jene Geschichte, Gesichter und Namen zu bekommen. „Nach Österreich kamen Afrikanerinnen und Afrikaner ab dem 15. und 16. Jahrhundert teils über den Sklavenhandel in Portugal und Spanien, teils waren sie aber auch Gefangene des habsburgischen Heers aus den Kriegen mit dem osmanischen Reich. Auch freie Reisende, etwa äthiopische Geistliche, gab es anfänglich, aber das hörte sich bald auf“, wie der Historiker Sauer, der seit Jahrzehnten zum Thema forscht, sagt.

Bild von El Greco mit dem Titel „Anbetung der Könige“
Public Domain
Bei der Vorstellung schwarzer Menschen in der damaligen Bevölkerung spielten auch die Heiligen Drei Könige eine Rolle

Die Vorstellung vom schwarzen König

Begegnet wurde schwarzen Menschen damals mit Vorurteilen, noch nicht aber mit Rassismus, wie er sich im 19. Jahrhundert entwickeln sollte, so der Experte. „Man hat sie eingeordnet in die Vorstellungswelt, die man hatte. Die war großteils religiös geprägt“, erklärt er und verweist auf die Vorstellung der Heiligen Drei Könige, von denen der dritte der Überlieferung nach schwarz gewesen sein soll. „Andererseits gab es auch Vorstellungen aus der Antike: Schwarz ist eine böse Farbe.“

Für Spanbauer ist hingegen klar, dass die damalige Bevölkerung nach heutigen Maßstäben keineswegs frei von rassistischem Denken war: „Menschen als anders zu bezeichnen und anders zu behandeln – also dieses „Othering“ – hat schon immer stattgefunden“, sagt sie. „Beim Thema schwarze Menschen war das natürlich immer umso relevanter, weil es da um etwas geht, was man nicht verstecken kann – die Hautfarbe.“

„Black History Month“

Der „Black History Month“ wird in vielen Ländern weltweit alljährlich im Februar gefeiert. Bei der Tradition, die erstmals in den USA initiert wurde, wird der Geschichte schwarzer Menschen gedacht.

„Schwarz“ wurde von der weißen Bevölkerung in der Neuzeit gerne auch mit dem Wort „exotisch“ gleichgesetzt und in gewisser Weise romantisiert. Für Aristokraten und später auch Bürgerliche sollte die Beschäftigung von schwarzen Sklavinnen und Sklaven als Dienerinnen und Diener ab dem 17. Jahrhundert deshalb auch ein Aushängeschild für den eigenen Reichtum darstellen.

Kolonialismus ohne Kolonien

„Österreich hatte keine Kolonien, aber sein Bürgertum dachte und handelte zunehmend kolonialistisch“, schrieb etwa Christine Sulzbacher in Sauers „Von Soliman bis Omofuma“. Gut behandelt wurden schwarze Dienerinnen und Diener nur so lange, bis sie „alt, krank oder ungehorsam“ wurden, so der Historiker Sauer.

War die gefangen genommene Magd Anna Elisabeth etwa eine der ersten namentlich bekannten schwarzen Frauen, so wird mit schwarzer österreichischer Geschichte in der Öffentlichkeit oftmals vor allem ein Name verbunden: Angelo Soliman. Anhand seiner Geschichte wird einerseits das zwiespältige Verhältnis der weißen Mehrheitsbevölkerung zu den vermeintlich „Fremden“ deutlich, andererseits handle es sich laut der Historikerin und Journalistin Spanbauer auch um „den ersten bekannten Widerstand“ schwarzer Menschen hierzulande.

Angelo Soliman
picturedesk.com/Erich Lessing
Vorkämpfer mit tragischem Schicksal: Angelo Soliman

Als Vorkämpfer gilt der Sklave und Diener von Erbprinz Alois I. von Liechtenstein, weil er sich über ein Heiratsverbot hinwegsetzte und entgegen den Regeln selbstständig eine Wohnung mietete. Nach seinem Tod wurde der zuvor gefeierte Freimaurer und Edelsmann Soliman trotz Protests seiner Tochter Josephine gehäutet, ausgestopft und im Kaiserlichen Naturalienkabinett als halb nackter Wilder ausgestellt.

Ausstellungshinweise

„Re:Present“, Weltmuseum Wien, von 8. August 2021 bis 1. März 2022, täglich (außer mittwochs) 10.00 bis 18.00 Uhr, dienstags 10.00 bis 21.00 Uhr.

„My/his/her/queer-story wasn’t taught at school“, Volkskundemuseum Wien, von 11. Februar bis 4. März 2022, dienstags bis sonntags 10.00 bis 17.00 Uhr, donnerstags 10.00 bis 20.00 Uhr.

„Soloschau Belinda Kazeem-Kaminski“, Kunsthalle Wien, von 22. Oktober 2021 bis 6. März 2022, 11.00 bis 19.00 Uhr.

Der Menschenzoo

Abgeschafft wurde die Sklaverei im Kaisertum Österreich erst nach Solimans Tod im Jahr 1811. Im selben Jahrhundert sollte sich für Menschen afrikanischer Abstammung neben der Tätigkeit als Dienerinnen und Dienerein ein weiterer Beschäftigungszweig etablieren – die Unterhaltungsindustrie.

Während sich der wissenschaftliche Rassismus zu entwickeln begann, wurden insbesondere Völkerschauen plötzlich Trend. Schwarze Menschen wurden dabei als vermeintlich Wilde teils nackt zur Schau gestellt und einmal mehr entmenschlicht.

Dass jene Darstellerinnen und Darsteller mit ihrer Situation keineswegs zufrieden waren, zeigte etwa ein offener Brief von Yaarborley Domei, die 1896 als Teil einer „Völkerschau“ im Wiener Prater vorgeführt wurde. In dem Brief, der auch im Zuge einer Ausstellung der Forscherin und Künstlerin Belinda Kazeem-Kaminski in der Kunsthalle Wien beleuchtet wird, macht Domei ihrem Unmut über die gaffenden Wiener Luft. 1899 kam es zudem zu einem Streik von „Völkerschau“-Darstellern, die sich damit eine Lohnerhöhung erkämpften, so Sauer.

KZ Mauthausen
ORF.at/Roland Winkler
Über die Schicksale schwarzer Menschen in der NS-Zeit ist nur wenig bekannt

Schicksale in der NS-Zeit

Das letzte dunkle Kapitel war das nicht: In den folgenden Jahren und mit dem Erstarken des Nationalsozialismus wurde der Rassismus in Österreich zunehmend zum Problem. Nur wenig ist über das Schicksal schwarzer Menschen bekannt. Laut einer Studie der Uni Wien aus dem Jahr 2021 befanden sich allein rund 200 auf dem afrikanischen Kontinent geborene Häftlinge im KZ Mauthausen. Die Hautfarbe der Menschen wurde durch die SS nicht erhoben – laut Studienautor Sauer waren aber zumindest fünf Personen schwarz.

Buchhinweise

  • Walter Sauer: Von Soliman zu Omofuma. Afrikanische Diaspora in Österreich 17. bis 20. Jahrhundert. Studienverlag. 272 Seiten. 34,90 Euro.
  • Walter Sauer: Expeditionen ins afrikanische Österreich. Mandelbaum Verlag. 480 Seiten. 24,90 Euro.
  • Claudia Unterweger: Talking Back. Strategien Schwarzer österreichischer Geschichtsschreibung. Zaglossus. 250 Seiten. 19,95 Euro.

Insgesamt lebten damals ein paar hundert Menschen mit afrikanischen Wurzeln in Österreich, so Sauer. Kinder gemischter Eltern flogen aus den Schulen, generell dürften einige geflohen sein oder sich versteckt haben. Vereinzelt wurden sie von Nazis aber auch für Propagandazwecke gebraucht.

Die schwarze Perspektive

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kommt dann auch der innerhalb der schwarzen Communitys ersehnte Perspektivenwechsel. Denn bis dahin wurden ihre Schicksale vor allem von weißer Feder niedergeschrieben. Spanbauer, die auch an der Gestaltung der Ausstellung „Re-Present“ im Weltmuseum in Wien beteiligt war, verweist etwa auf erste schwarze Quellen aus den 1960er Jahren. In jenen Jahren kamen vor allem Studierende und Geistliche aus afrikanischen Staaten nach Österreich.

Viele von ihnen schlossen sich zu Allianzen zusammen und gründeten Vereine. Zudem wurden erste afrikanische Botschaften eröffnet. Für schwarze Communitys waren und sind ebendiese Allianzen zentral, so Spanbauer: „Es geht darum, gegen eine Mehrheitsgesellschaft zu bestehen und für seine eigenen Rechte zu kämpfen. Da tut man sich leichter, wenn man verbunden ist.“

Omofuma: Österreichs George-Floyd-Moment

Eine Zäsur erlebte die afrikanische Diaspora in Österreich mit dem Tod des Nigerianers Marcus Omofuma in Polizeigewahrsam 1999. Omofuma starb bei einem Abschiebeflug, weil er von Polizisten zu fest gefesselt und seine Atemwege teils mit Klebebändern zugeklebt worden waren. Hintergrund der zu dieser Zeit aufkeimenden Polizeigewalt waren einerseits die Pauschalisierungen von Schwarzen als Drogenhändler in Boulevardmedien und andererseits xenophobe Kampagnen der FPÖ.

Die Bestürzung über den Vorfall war groß und mündete in die bis dahin größte Protestbewegung afrikanischer Migranten und Flüchtlinge hierzulande. Auch folgte die Polizeiaktion „Operation Spring“: Dabei wurden landesweit rund hundert mutmaßliche Drogenhändler afrikanischer Herkunft verhaftet – viele Vorwürfe blieben haltlos. Mit der Tötung des mauretanischen Studenten Seibane Wague kam 2003 ein weiterer Mann mit afrikanschen Wurzeln durch Polizeigewalt ums Leben.

Foto von Marcus Omofuma mit Kerzen und Blumen daneben
picturedesk.com/AP/Ronald Zak
Die Tötung von Marcus Omofuma durch drei Polizisten sorgte für große Bestürzung

Von „#nichtmituns“ bis Black Voices

Rassistische Polizeigewalt ist freilich auch heutzutage noch Thema. 2018 kursierte etwa der Hashtag „#nichtmituns“, mit dem die Praxis des „Racial Profiling“ thematisiert wurde. 2020 kam es infolge der weltweiten „Black Lives Matter“-Proteste, die sich an der brutalen Tötung des Afroamerikaners George Floyd entzündet hatten, auch hierzulande zu Demonstrationen. Allein in Wien waren daran 50.000 Menschen beteiligt, österreichweit gingen 100.000 auf die Straße.

„Das war der ausschlaggebende Faktor für uns“, sagt Noomi Anyanwu, Koinitiatorin und Sprecherin des „Black Voices“-Volksbegehrens, über die Geburtsstunde der Initiative im Gespräch mit ORF.at. Mit dem noch bis 6. Mai laufenden Volksbegehren wird ein Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus gefordert – rund 32.000 Unterschriften zählt es bisher. „Wir haben gesehen: O. k., es gibt auch hier Menschen, denen das nicht egal ist, die etwas für eine antirassistische Gesellschaft machen wollen.“

Demonstration #BLACKLIVESMATTERVIENNA gegen Polizeigewalt am Freitag, 05. Juni 2020, vor der US-Botschaft in Wien.
APA/Hans Punz
Rund 100.000 Menschen gingen im Zuge der „Black Lives Matter“-Proteste österreichweit auf die Straße

„Politik macht eher etwas für Rassismus“

Seit den Demos habe sich „viel getan“, so die Aktivistin über die Situation schwarzer Menschen in Österreich 2022. Deutlich werde das abgesehen von dem Volksbegehren etwa dadurch, dass Rassismus im öffentlichen Diskurs verstärkt thematisiert werde, dass es immer mehr Anti-Rassismus-Initiativen gebe, und zuletzt auch durch die Ankündigung eines Kompetenzzentrums für Diversität, Antirassismus und Antidiskriminierung, das im Ministerium für Kunst, Kultur, Sport und öffentlichen Dienst angesiedelt sein soll.

Bis hin zu einer strukturellen Veränderung sei es aber dennoch ein Weg, sagt Anyanwu. „Jetzt gerade macht die Politik wenig bis gar nichts. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, die Politik macht eher etwas für Rassismus“, kritisiert die Aktivistin. Aktuell würde die Politik „vor allem antimuslimischen Rassismus sehr schüren“. Es sei an der Zivilgesellschaft, Druck zu machen und der Politik einen „Stupser zu geben“.

Kampf gegen rassistische Traditionen

„Rassismus ist heutzutage immer noch sehr präsent“, hält sie fest. Heuer wie auch im Vorjahr machte die Initiative etwa auf die rassistische Praxis des Gesichtschwärzens („Blackfacing“, Anm.) beim Sternsingen aufmerksam. Für Aufsehen sorgten in der jüngeren Vergangenheit auch Debatten über rassistische Logos, aber auch über rassistische Namen traditioneller Nachspeisen sowie Vorfälle kultureller Aneignung.

Nicht zuletzt lösten jüngst Aussagen der Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP), die erst feststellte, dass Afrika nicht nur „ein Land“ sei, „aus dem Flüchtlinge kommen“, und in ihrer darauffolgenden Entschuldigung bei Geografen von einem „schönen Land“ sprach, Entrüstung aus. „Problematisch“, wenn auch nicht überraschend, findet Spanbauer den Sager. Vor allem im Bildungsbereich werde immer noch ein „sehr eingeschränktes Afrikabild“ vermittelt, sind sich Spanbauer und Sauer einig.

All das mache deutlich, warum eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit immer noch notwendig ist, betont Anyanwu: „Um heute zu verstehen, inwiefern wir heute Rassismus haben und in was für Strukturen dieser auftaucht, muss man einen Blick auf die Geschichte werfen.“ Dabei dürften auch die Geschichten schwarzer Vorkämpfer und ihrer Errungenschaften nie aus den Augen verloren werden.