Panzer der Ukrainischen Armee
APA/AFP/Armed Forces of Ukrain
Ukraine-Konflikt

Viele Staaten fordern zu Ausreise auf

In der Ukraine-Krise zeichnet sich weiterhin keine Deeskalation ab. Auch ein Telefonat zwischen Kreml-Chef Wladimir Putin und US-Präsident Joe Biden brachte keine Annäherung. Angesichts der Warnungen aus den USA, eine russische Invasion in die Ukraine könne bevorstehen, wollen etliche Länder ihre Staatsbürgerinnen und -bürger in Sicherheit bringen.

Durch die Truppenaufmärsche Russlands in Grenzgebieten zur Ukraine wächst die Sorge vor einem Einmarsch. Washington hatte zuletzt davor gewarnt, Russland könnte sein Nachbarland schon sehr bald angreifen. Als mögliches Datum wurde über den kommenden Mittwoch spekuliert. Russland weist dieses Szenario als Propagandakampagne des Westens zurück.

Angesichts der angespannten Lage riefen mehrere Staaten ihre Staatsbürgerinnen und -bürger in der Ukraine dazu auf auszureisen, zuvorderst die USA. „Alle Amerikaner in der Ukraine sollten das Land so bald wie möglich verlassen – und auf jeden Fall in den nächsten 24 bis 48 Stunden“, so Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan.

Ukraine: Diplomatie ohne Erfolg

In der Ukraine-Krise sind am Samstag die Drähte heiß gelaufen. US-Präsident Joe Biden und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin sprachen direkt miteinander, erzielten aber keine wesentlichen Fortschritte. Die USA wollten den Weg der Diplomatie weiter verfolgen, so das Weiße Haus. Man sei aber genauso auf andere Szenarien vorbereitet.

Der US-Regierung lägen keine Informationen vor, dass Putin bereits eine endgültige Entscheidung für eine Invasion getroffen habe. Ein möglicher Angriff könne verschiedene Formen annehmen, darunter auch ein schneller Vormarsch der Truppen auf die ukrainische Hauptstadt Kiew. Daher sollte eine Ausreise rasch passieren. Zudem ziehen die USA – genauso wie Russland – die meisten Mitarbeiter der Botschaft in der ukrainischen Hauptstadt Kiew ab.

Abzug aus Botschaften

Auch Großbritannien und Deutschland forderten ihre Staatsbürger zum zügigen Ausreisen aus der Ukraine aus. Ähnliche Aufrufe gab es von Dänemark, Lettland, Estland, Israel, den Niederlanden, Jordanien, Italien, Spanien, Schweden, Belgien, Luxemburg sowie Australien und Neuseeland. Litauen bat alle seine Bürgerinnen und Bürger in der Ukraine zu überdenken, ob ihre Anwesenheit im Land wirklich notwendig sei. Die Türkei rät ihren Staatsbürgern, nicht in die Ostukraine zu reisen.

Polen rief seine Staatsbürger, die sich in der Ukraine aufhalten, auf, sich auf einem Portal der Regierung zu registrieren und alles für eine mögliche Abreise bereitzuhalten, teilte das Außenministerium in Warschau am Samstag mit. Auch die Slowakei riet von Reisen in die Ukraine ab. Die Familien der Mitarbeiter der diplomatischen Vertretungen in der Ukraine würden abgezogen, hieß es aus dem Außenministerium in Bratislava.

Tschechien warnte sowohl vor Reisen in die Ukraine als auch nach Belarus und empfahl seinen Bürgern, diese Länder möglichst zu verlassen. Auch die Familien der tschechischen Diplomaten in Kiew sollen aus der Ukraine abreisen. Die niederländische Fluggesellschaft KLM stellte ihre Flugverbindungen mit der Ukraine überhaupt ein. Wie bei allen Aktivitäten der Airline stehe die Sicherheit der Passagiere und der Beschäftigten an erster Stelle.

Versicherungsprobleme für Fluggesellschaften

Bei der deutschen Lufthansa und ihrer österreichischen Tochter Austrian Airlines wird die Lage beobachtet. „Zusammen mit den Behörden beobachten wir die Lage in der Ukraine laufend und nehmen gegebenenfalls weitere Anpassungen in unserem Flugplan vor“, erklärte eine Sprecherin von Austrian Airlines auf APA-Anfrage. Die Sicherheit der Crews und Passagiere habe dabei oberste Priorität, betonte sie. Bereits vor einigen Wochen seien Übernachtungen in der Ukraine ausgesetzt worden und man halte die Aufenthaltszeit der Crews so kurz wie möglich. Ähnliches gilt für den Austrian-Mutterkonzern Lufthansa, der laut Reuters die Lage in der Ukraine sehr genau beobachtet und eine Einstellung des Flugverkehrs prüfe.

„Bei einigen Fluggesellschaften sind Schwierigkeiten aufgetaucht, die mit Schwankungen am Versicherungsmarkt zu tun haben“, erklärte das ukrainische Infrastrukturministerium am Sonntagnachmittag. Bereits am Samstagabend hatte das ukrainische Onlinemedium Strana.news über Versicherungsprobleme der Branche berichtet. Ein führender britischer Versicherungskonzern habe Flugzeuginhaber darüber informiert, dass ab Montag 16.00 Uhr Ortszeit der Versicherungsschutz für Flugzeuge in und über der Ukraine ausgesetzt würde.

Eine geplante Sperre des ukrainischen Luftraums wurde am Sonntag vom zuständigen Infrastrukturministerium dementiert. Das Ministerium kündigte gleichzeitig zusätzliche finanzielle Garantien des Staates für die Branche an.

Österreich rät zu Vorsicht

Eine explizite Reisewarnung aus Österreich gibt es nicht. Doch es wird zu Vorsicht geraten: „Aufgrund der durch die russischen Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine ausgelösten Spannungen wird zurzeit von allen nicht unbedingt notwendigen Reisen in die Ukraine abgeraten“, schreibt das Außenministerium. Alle Reisenden und Auslandsösterreicher in der Ukraine sollen sich online registrieren und die Entwicklung der Lage in den Medien aufmerksam verfolgen. Für die Gebiete Donezk und Luhansk sowie für die Halbinsel Krim besteht zudem unverändert eine partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5).

Keine Annäherung zwischen Biden und Putin

Vor diesem Hintergrund telefonierten am Samstag Putin und Biden direkt miteinander. Das rund einstündige Gespräch brachte allerdings keine Fortschritte. Biden habe Putin aufgefordert, die Truppen an der ukrainischen Grenze abzuziehen. Auf eine Invasion würden die USA entschieden reagieren – eine Antwort, die Russland „rasch und schwer“ spüren würde, hieß es aus dem Weißen Haus. Ein Einmarsch würde umfassendes menschliches Leid hervorrufen und Russlands Ansehen in der Welt schaden. Die USA wollten den Weg der Diplomatie weiter verfolgen, so das Weiße Haus. Man sei aber genauso auf andere Szenarien vorbereitet.

Analyse der Ukraine-Krise

US-Korrespondentin Inka Pieh und Russland-Korrespondent Paul Krisai ordnen die jüngsten Entwicklungen der Ukraine-Krise ein.

Der Kreml bekräftigte erneut, die US-Vorschläge zu Sicherheitsfragen würden die wesentlichen Bedenken Russlands nicht berücksichtigen. Putin habe im Detail erklärt, warum das jetzt aber diskutiert werden müsse. Zudem habe der Westen nicht genug Druck auf die Ukraine ausgeübt, sich an die Vereinbarungen des Minsker Abkommens zu halten. Zu einem möglichen russischen Einmarsch teilte der Kreml lediglich mit, die Warnungen davor hätten inzwischen ein absurdes Niveau erreicht.

Vorfall im Pazifik

Kurz vor dem Telefonat hatte Moskau einen Zwischenfall mit einem US-U-Boot im Pazifik bekanntgegeben. Das U-Boot sei während einer Marineübung Russlands vor den Kurilen-Inseln in russische Gewässer eingedrungen und habe diese erst nach „geeigneten Maßnahmen“ der russischen Seite verlassen, meldete die Nachrichtenagentur Interfax. Wegen des Vorfalls sei der US-Militärattache ins russische Verteidigungsministerium zitiert worden.

Über Hintergründe des Vorfalls war nichts bekannt. Die USA wiesen aber die russische Darstellung zurück. Kyle Raines, Sprecher des US-Militärs, wollte sich am Samstag zwar nicht zu genauen Positionen von US-U-Booten äußern. Man operiere aber in internationalen Gewässern, hieß es. Die USA schienen eigentlich bestrebt, jede direkte Konfrontation mit Russland zu vermeiden. Verteidigungsminister Lloyd Austin deutete am Samstag auch an, alle noch verbliebenen US-Soldaten aus der Ukraine abzuziehen. Konkret sollten 160 Mitglieder der Florida-Nationalgarde aus dem Land verlegt werden.

Russland ortet Kampagne

Wie real die Gefahr eines russischen Einmarschs in die Ukraine ist, darüber wurde am Samstag weiter gestritten. Putin hatte auch mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron telefoniert. Wie der Elysee-Palast mitteilte, warnte Macron Putin dabei ebenfalls vor einer militärischen Eskalation. Ernsthafte Verhandlungen seien unvereinbar mit einer Eskalation der Spannungen um die Ukraine. Beide Staatschefs hätten „den Willen zur Fortsetzung des Dialogs“ geäußert, hieß es aus dem Elysee-Palast.

Putin hingegen wies auch in diesem Gespräch Berichte über einen bevorstehenden Angriff als „provokative Spekulationen“ zurück. Er warf den westlichen Verbündeten Kiews zudem vor, der Ukraine „moderne Waffen“ zu liefern, hieß es aus dem Kreml.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow bezichtigte außerdem die USA, eine Propagandakampagne über eine mögliche russische Aggression zu führen. Lawrow habe dem US-Außenminister Antony Blinken in einem Telefonat an diesem Samstag außerdem gesagt, die USA und die EU hätten Sicherheitsvorschläge Russlands ignoriert, teilte das Außenministerium in Moskau mit.

Auch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) beteiligte sich an der Telefondiplomatie und sprach mit seinem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba über die aktuelle Sicherheitslage. Man sei übereinkommen, sich weiterhin eng zu koordinieren, schrieb Kuleba auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Ebenso via Twitter dankte Schallenberg seinem Kollegen für „eine fortlaufende und enge Zusammenarbeit im Interesse der Souveränität, Unabhängigkeit sowie territorialen Integrität der Ukraine“. Schallenberg war erst am Dienstag in Kiew gewesen, wo er gemeinsam mit dem slowakischen und dem tschechischen Außenminister auch Kuleba sowie Präsidenten Wolodymyr Selenski getroffen hatte.

Ukraine fürchtet Panik im eigenen Land

Dieser hatte sich am Samstag verwundert über die US-Warnungen gezeigt. „Falls Sie oder jemand anderes zusätzliche Informationen über einen 100-prozentigen Einmarsch am 16. (Februar) haben, dann geben Sie uns bitte diese Information“, sagte Selenski vor Journalisten. Er warnte zudem vor „Panik“: „Uns ist klar, dass es Risiken gibt“, so Selenski. Jedoch sei „der größte Feind“ der Ukraine „derzeit Panik in unserem Land“.

Demonstranten in Kiev
APA/AFP/Sergei Supinsky
In Kiew demonstrierten Tausende gegen einen möglichen Einmarsch Russlands

Bidens Sicherheitsberater Sullivan hatte zuvor deutlich gemacht, dass die USA einen russischen Einmarsch in die Ukraine noch vor dem Ende der Olympischen Winterspiele in China am 20. Februar für möglich halten. „Wir befinden uns in einem Zeitfenster, in dem eine Invasion jederzeit beginnen könnte, sollte sich Wladimir Putin dazu entschließen, sie anzuordnen“, sagte Sullivan im Weißen Haus.

Die Bevölkerung in der Ukraine trug ihren Missmut auf die Straße. In Kiew demonstrierten mehrere tausend Menschen gegen eine Aggression Russlands. Teilnehmer der Kundgebung trugen ukrainische Flaggen und Transparente mit Aufschriften wie „Ruhm der Ukraine“ und „Invasoren müssen sterben“.

Säbelrasseln auf allen Seiten

In der Zwischenzeit hielten die beteiligten Seiten weiterhin ihre Drohkulissen aufrecht. Am Samstag verließen mehr als 30 Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte die Häfen Sewastopol und Noworossijsk, berichtete die russische Nachrichtenagentur RIA unter Berufung auf die Marine. Die Übung sei Teil der größer angelegten, geplanten Marinemanöver.

Auch die US-Luftwaffe rüstete weiter auf: Acht Kampfjets vom Typ F-16 wurden nach Rumänien verlegt. Die Flugzeuge trafen im Luftwaffenstützpunkt Borcea, 150 Kilometer östlich von Bukarest, ein, wie das rumänische Verteidigungsministerium am Freitagabend mitteilte. Sie würden zusammen mit 150 US-Soldaten an gemeinsamen Übungen mit dem rumänischen Militär teilnehmen, hieß es in der Mitteilung. Die Manöver würden zwei Wochen dauern.

Bereits vor einigen Tagen waren vier Kampfjets der US-Marine vom Typ F/A-18 Super Hornet und 50 US-Soldaten in Borcea eingetroffen. Auch sie sollen an der Übung teilnehmen. Rumänien grenzt unmittelbar an die Ukraine. Zudem kündigte das Pentagon an, Anfang kommender Woche weitere 3.000 Soldaten nach Polen zu verlegen. Erst Anfang Februar hatten die USA die Verlegung von 2.000 Soldaten an die NATO-Ostflanke in die Wege geleitet.