Russischer Panzer im Grenzgebiet zur Ukraine
Reuters/Russisches Verteidigungsministerium
Konflikt mit Moskau

Ukraine sieht russische Invasion abgewendet

Nach Einschätzung der Ukraine ist eine mögliche russische Invasion vorerst abgewendet. „Es ist uns und unseren Verbündeten gelungen, Russland von einer weiteren Eskalation abzuhalten“, sagte Außenminister Dmytro Kuleba am Dienstag. „Es ist bereits Mitte Februar, und Sie sehen, dass die Diplomatie weiter funktioniert.“ Indes traf der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) zu einem Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau zusammen.

Die Regierung in Moskau hatte zuvor einen Teilabzug der russischen Truppen von der ukrainischen Grenze angekündigt. Einheiten aus den Militärbezirken im Süden und Westen Russlands hätten ihre „Aufgaben erfüllt“ und würden sich auf den Weg zurück in ihre Militärbasen machen, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen. Nähere Angaben machte der Kreml allerdings nicht.

Laut Kuleba sind die Spannungen entlang der ukrainischen Grenzen jedoch weiterhin hoch. Russland müsse verbleibende Streitkräfte zurückziehen, forderte der ukrainische Außenminister. Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte Putin am Montag mitgeteilt, dass einige der umstrittenen Militärmanöver der russischen Armee im eigenen Land sowie in Belarus ihrem Ende zugingen. Andere Manöver gingen weiter, auch im Nachbarland Belarus.

Ukrainische Soldaten im Grenzgebiet
AP
Ukrainische Soldaten bei einer Patrouille nahe dem Frontverlauf in Popasna in der Region Luhansk

Moskau: Westen hat sich blamiert

Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Konaschenkow, betonte, dass Russland einen „Komplex von großangelegten Maßnahmen zur operativen Ausbildung von Truppen und Streitkräften“ fortsetze. Russland kündigte auch ein weiteres Manöver zur See an. Laut Nachrichtenagentur TASS ist der Einsatz der Marine im östlichen Mittelmeer geplant. Laut Agentur RIA treffen für das Manöver bereits russische Kampfjets in Syrien ein.

Bei dem Rückzug der Truppen handle es sich um einen „gewöhnlichen Vorgang“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Dienstag vor Journalisten. Zugleich kündigte er an, dass Russland „weitere Militärübungen vornehmen“ werde. Dennoch wurde das Vorgehen als möglicher Schritt der Entspannung gewertet. Die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, schrieb im sozialen Netzwerk Telegram: „Der 15. Februar 2022 wird als Tag des Sсheiterns der westlichen Kriegspropaganda in die Geschichte eingehen.“ Der Westen habe sich blamiert.

Grafik zu den russischen Rebellengebieten in der Ukraine
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Der riesige russische Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine schürt seit Wochen die Furcht vor einem russischen Einmarsch in das Nachbarland. Nach US-Angaben wurden in dem Grenzgebiet „deutlich“ über 100.000 russische Soldaten mobilisiert. Für zusätzliche Besorgnis sorgte auch ein russisches Marinemanöver nahe der Krim-Halbinsel im Schwarzen Meer.

Stoltenberg: Keine Deeskalation

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sieht in der Ukraine-Krise „Grund zu vorsichtigem Optimismus“. Stoltenberg begründete das am Dienstag in Brüssel mit Signalen aus Moskau, dass weiter nach einer diplomatischen Lösung gesucht werden solle. Bei den Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine gebe es aber noch kein Zeichen der Deeskalation, betonte der NATO-Generalsekretär.

Luhansk und Donezk sollen „Volksrepubliken“ werden

Putin soll nach dem Willen des russischen Parlaments, der Duma, über die Anerkennung der beiden abtrünnigen Regionen Luhansk und Donezk im Osten der Ukraine als „Volksrepubliken“ entscheiden. Eine entsprechende Aufforderung verabschiedete das russische Parlament am Dienstag in Moskau mit großer Mehrheit. Das Dokument werde Putin umgehend übergeben, sagte Parlamentschef Wjatscheslaw Wolodin. Die Ukraine warnte Russland vor einem solchen Schritt.

Sitzung der Staatsduma
APA/AFP/Staatsduma
Ein Blick in das russische Parlament, die Duma

„Im Falle der Anerkennung tritt Russland de facto und de jure aus den Minsker Vereinbarungen mit allen Begleiterscheinungen aus“, sagte der ukrainische Außenminister Kuleba dazu. Der unter deutsch-französischer Vermittlung 2015 vereinbarte Friedensplan von Minsk, der Hauptstadt von Belarus, sieht eine Wiedereingliederung der prorussischen Separatistengebiete in die Ukraine mit weitreichender Autonomie vor.

Russland warnt vor Angriff auf Donbass

Russland droht für den Fall von Angriffen auf seine Bürger und Bürgerinnen in der ostukrainischen Separatistenregion Donbass mit einer „Reaktion“. „Wir werden nicht in die Ukraine einmarschieren, wenn wir nicht dazu provoziert werden“, zitierte die Nachrichtenagentur RIA den russischen EU-Botschafter Wladimir Tschischow.

„Aber wenn die Ukrainer einen Angriff auf Russland starten, sollten sie sich nicht wundern, wenn wir einen Gegenangriff starten. Oder wenn sie anfangen, russische Bürger irgendwo offen zu töten – im Donbass oder wo auch immer.“ Die von Moskau unterstützten Separatisten im Donbass werfen der Kiewer Regierung vor, eine Offensive zu planen.

Ukraine will in NATO und EU

Seit 2014 kämpfen vom Westen ausgerüstete ukrainische Regierungstruppen gegen von Russland unterstützte Separatisten in der Donbass-Region nahe der russischen Grenze. UNO-Schätzungen zufolge wurden seitdem mehr als 14.000 Menschen getötet, die meisten im Separatistengebiet.

Die ukrainische Regierung unterstrich unterdessen weiter ihre Absicht, der NATO und der EU beizutreten. Das habe für das Land absolute Priorität, sagte ein Sprecher von Präsident Wolodymyr Selenski am Montag. Russland stemmt sich dagegen und will das verhindern.

Moskau weiter zu Gesprächen bereit

Russland zeigt sich bereit für neue Gespräche mit dem Westen. Der Dialog mit den USA und der NATO über die von Russland geforderten Sicherheitsgarantien werde fortgesetzt, sagte Außenminister Sergej Lawrow am Dienstag in Moskau. Dabei gehe es etwa um die Nichtstationierung von Mittelstreckenraketen und die „Verringerung militärischer Risiken“. Dank der Bemühungen könne ein „wirklich nicht übles Paket erarbeitet werden“, meinte Lawrow.

Indes bot die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit Sitz in Wien Moskau einen neuen Dialog an. Dazu flog Polens Außenminister Zbigniew Rau in die russische Hauptstadt. Polen hat derzeit den OSZE-Vorsitz. Die Situation um die Ukraine bleibe außerordentlich angespannt und drohe, ernsthaft zu eskalieren, sagte Rau. „In diesem Sinne haben wir eine Initiative für einen neuen Dialog über europäische Sicherheit vorgeschlagen.“

Lawrow nannte den Vorschlag „interessant“. „Wir sind bereit zu einer sehr engen Zusammenarbeit mit dem OSZE-Vorsitz.“ Lawrow hatte seine OSZE-Kollegen Ende Jänner zu einer schriftlichen Antwort auf die Frage aufgefordert, wie die Sicherheit eines Landes nicht auf Kosten eines anderen gewährleistet werden könne. Für Russland sei aber derzeit der Dialog mit den USA und der NATO das Wichtigste.

Scholz: Truppenabzug „gutes Zeichen“

Der deutsche Kanzler Scholz traf indes am Dienstag in Moskau mit Putin zusammen. Im Anschluss an das Gespräch sagte Scholz, er begrüße es, dass Russland einzelne Truppen von der Grenze zur Ukraine abzieht. „Das ist ein gutes Zeichen, und wir hoffen, dass noch weitere folgen.“ Sicherheit in Europa sei nicht gegen, sondern nur mit Russland möglich. Die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen hätten weiterhin großes Potenzial. Zugleich kritisierte er, dass „die Räume für die Zivilgesellschaft“ in Russland enger würden.

Putin erklärte, sein Land strebe keinen Krieg an. „Wollen wir das oder nicht? Nein, natürlich nicht“, sagte er: „Genau deshalb haben wir Vorschläge für einen Verhandlungsprozess unterbreitet.“ Er bekundete seine Bereitschaft, mit dem Westen weiter in Fragen der europäischen Sicherheit zusammenzuarbeiten.

Scholz verweigert russischen CoV-Test

Nach seiner Landung Dienstagvormittag hatte es Scholz abgelehnt, sich von russischer Seite auf CoV testen zu lassen. Stattdessen entschied sich der SPD-Politiker dafür, den für den Zutritt zum Kreml erforderlichen PCR-Test am Dienstag nach seiner Landung in Moskau von einer Ärztin der deutschen Botschaft vornehmen zu lassen. Die russischen Gesundheitsbehörden seien eingeladen worden, bei dem Test dabei zu sein, hieß es. Ein Testgerät sei aus Deutschland mitgeführt worden.

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz in Moskau
APA/AFP/Maxim Shemetov
Der deutsche Kanzler Scholz bei seinem Empfang in Moskau

Auch der französische Präsident Emmanuel Macron hatte bei seinem Besuch in Moskau vor wenigen Tagen einen russischen PCR-Test abgelehnt. Die Folge waren drastische Abstandsregeln bei dem Gespräch im Kreml: Putin und Macron nahmen an den Enden eines sechs Meter langen, weißen Tisches Platz. Auch bei der Pressekonferenz standen die Rednerpulte mehrere Meter voneinander entfernt.