Olaf Scholz und Vladimir Putin
Reuters/Sputnik
Ukraine-Konflikt

„Deeskalation dringend nötig“

Die diplomatischen Gespräche zur Beilegung des Ukraine-Konflikts gehen weiter. „Deeskalation ist dringend nötig“, betonte der deutsche Kanzler Olaf Scholz nach einem Treffen mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin. Russland begann unterdessen am Dienstag mit dem Abzug von Truppenteilen aus Grenzregionen. US-Präsident Joe Biden warnte dagegen weiter.

Das russische Verteidigungsministerium erklärte am Dienstag, dass Teile der Streitkräfte nach dem Ende einiger Manöver in ihre Kasernen zurückkehren werden. Andere Militärübungen – auch in Belarus – würden aber fortgesetzt.

Die Reaktion der Ukraine fiel verhalten aus. „Erst wenn wir einen Abzug sehen, dann glauben wir an eine Deeskalation“, sagte Außenminister Dmytro Kuleba. Moskau erzähle viel. Grundsätzlich bewertete er die diplomatischen Bemühungen der vergangenen Wochen als Erfolg. Moskau sei von einer Eskalation der Lage abgehalten worden, sagte Kuleba. „Heute ist bereits Mitte Februar, und die Diplomatie arbeitet weiter.“

Der Außenminister der Ukraine, Dmytro Kuleba
AP/Alex Brandon
Ukrainischer Außenminister Kuleba: „Heute ist bereits Mitte Februar, und die Diplomatie arbeitet weiter“

Ebenfalls skeptisch zeigte sich die NATO. Dass Russland Bereitschaft zum Dialog signalisiert, wertete NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg als positiv. „Das gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus“, sagte er.

Scholz: Teilabzug der Armee „gutes Zeichen“

Der deutsche Kanzler Scholz betonte bei seinem Besuch in Moskau, der Abzug von Teilen der russischen Armee sei ein „gutes Zeichen“. „Für uns Deutsche, aber auch für alle Europäer ist klar, dass nachhaltige Sicherheit nicht gegen Russland, sondern nur mit Russland erreicht werden kann“, sagte Scholz. Er bekräftigte, dass eine weitere Aggression gegen die Ukraine schwerwiegende Folgen für Russland hätte.

Scholz ging in der Frage von Sanktionen erneut nicht direkt darauf ein, dass im Falle eines Krieges auch die Ostseepipeline „Nord Stream 2“ zum Sanktionspaket gehören würde. Alle Beteiligten wüssten aber, was auf dem Spiel stehe, fügte er hinzu.

Scholz versucht in Moskau zu vermitteln

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau getroffen. Scholz versuchte, die Deeskalation in der Ukraine-Krise voranzutreiben.

Kritik übte Scholz am Vorgehen Russlands gegen die Nichtregierungsorganisation Memorial und bemängelte, dass die Verurteilung des Regierungskritikers Alexej Nawalny nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen genüge.

Putin betonte nach dem Treffen, Russland wolle keinen neuen Krieg in Europa. „Dazu, ob wir das wollen oder nicht: Natürlich nicht!“, sagte er. Moskau sei weiter bereit, mit der NATO und mit den USA über Sicherheitsgarantien zu verhandeln. Putin sicherte der Ukraine zu, dass sie auch nach einer Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline „Nord Stream 2“ Transitland für russisches Gas bleiben solle.

Schlagabtausch zum Thema NATO

Zugleich forderte er den Westen auf, auf die Führung in Kiew Druck auszuüben, damit diese den Friedensplan von Minsk für die Ostukraine umsetzt. Putin hatte zuletzt mehrfach auch vor einer Aufnahme der Ukraine in die NATO gewarnt, weil damit ein Krieg drohe – etwa wenn Kiew sich die von Russland 2014 annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim mit militärischer Gewalt zurückholen wolle.

Schon seit Jahren werde versprochen, dass sich die NATO nicht ausdehne, behauptete Putin. Russland fordert schriftliche Garantien, dass das nicht passiert. Die Frage einer Aufnahme der Ukraine in das Bündnis müsse jetzt entschieden werden. Putin wies einmal mehr zurück, dass die NATO ein friedliches Verteidigungsbündnis sei.

Putin sagte, in Serbien habe die NATO Belgrad ohne ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates bombardiert. Scholz widersprach und betonte, dass damals ein Völkermord verhindert worden sei. Putin entgegnete, dass es heute auch in der Ostukraine einen „Völkermord“ gebe. Scholz widersprach dieser Darstellung später vor Journalisten: „Das ist ein heftiges Wort, (…) es ist aber falsch.“

Biden: Russischer Angriff immer noch möglich

Eine russische Invasion ist nach Einschätzung von US-Präsident Joe Biden unterdessen „immer noch“ eine klare Möglichkeit. Jüngste Äußerungen aus Moskau, wonach einige Truppen von der Grenze zur Ukraine abgezogen würden, seien bisher nicht unabhängig bestätigt worden, sagte Biden am Dienstag im Weißen Haus. US-Erkenntnisse deuteten darauf hin, dass die russischen Streitkräfte weiter in einer „bedrohlichen Position“ verharrten, sagte Biden. Zugleich bot Biden Verhandlungen über neue Rüstungskontrollabkommen an.

Duma: Putin muss über Luhansk und Donezk entscheiden

Das russische Parlament, die Duma, forderte Putin indes auf, über die Anerkennung der beiden abtrünnigen Regionen Luhansk und Donezk im Osten der Ukraine als „Volksrepubliken“ entscheiden. Die NATO und Brüssel warnten den Kreml umgehend vor einem solchen Schritt. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schrieb auf Twitter, damit würde Russland die Minsker Abkommen brechen.

Grafik zu den russischen Rebellengebieten in der Ukraine
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Russland sieht sich als Schutzmacht der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine. Putin beklagte, dass die Ukraine die russische Sprache unterdrücke. Nach UNO-Schätzungen starben im Konflikt in der Ostukraine bisher mehr als 14.000 Menschen, die meisten in dem Gebiet, das von prorussischen Separatisten kontrolliert wird.

Überschattet wurde der Besuch Scholz’ einmal mehr von einem Cyberangriff auf ukrainische Institutionen. Das Verteidigungsministerium und zwei wichtige staatliche Banken waren das Ziel, wie Kiew mit indirektem Verweis auf Russland bekanntgab. „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Aggressor zu schmutzigen Tricks greift“, erklärte die zuständige Behörde. Erst im Jänner waren mehrere Internetseiten der ukrainischen Regierung einer schweren Cyberattacke ausgesetzt, die mehrere Ministeriumsseiten lahmlegte. Zudem waren damals auf der Homepage des Außenministeriums vorübergehend die drohenden Worte „Habt Angst und rechnet mit dem Schlimmsten“ in ukrainischer, russischer und polnischer Sprache zu lesen.