Russische Panzer bei Manöver in Grenznähe
AP/Russisches Verteidigungsministerium
NATO

Kein Anzeichen für russischen Truppenabzug

Nach Erkenntnissen der NATO setzt Russland seinen Truppenaufmarsch im Grenzgebiet zur Ukraine entgegen eigenen Ankündigungen fort. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sah am Mittwochvormittag noch keine konkreten Anzeichen dafür im ukrainisch-russischen Grenzgebiet. „Bisher haben wir dort keine Deeskalation gesehen. Im Gegenteil: Russland scheint den Militäraufmarsch fortzusetzen“, sagte Stoltenberg in Brüssel am Rande eines Treffens der Verteidigungsminister der Bündnisstaaten.

Es bleibe aber dabei, dass die NATO bereit zu Gesprächen mit der Regierung in Moskau sei, so Stoltenberg weiter. Stoltenberg sagte zu russischen Angaben, dass man Bewegungen von Truppen und Kampfpanzern sehe, beweise nicht, dass es einen echten Rückzug gebe. „Sie haben Truppen immer vor und zurück bewegt.“

Die kanadische Verteidigungsministerin Anita Anand sagte, gegenwärtig würden die russischen Truppen an der Grenze zur Ukraine eher verstärkt. Sie hoffe auf einen Beleg, dass Russland sein Militär von der Grenze abziehe, sagte sie vor den NATO-Beratungen. Man müsse auf jede Eventualität vorbereitet sein. Der Konflikt sei in einer entscheidenden Phase.

NATO Generalsekretär Jens Stoltenberg
AP/Olivier Matthys
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg stellt sich vor Beginn des NATO-Treffens der Presse

Zudem teilten die NATO-Verteidigungsminister mit, dass man angesichts des russischen Aufmarschs neue Aufrüstungsprojekte erwäge. Russlands Handlungen stellten eine Bedrohung für die euro-atlantische Sicherheit dar. Schon jetzt würden infolge des russischen Truppenaufmarschs zusätzliche Streitkräfte im östlichen Teil des Bündnisses stationiert. Zudem sei das Bereitschaftsniveau der Truppen erhöht worden, heißt es in einer verabschiedeten Erklärung.

Geprüft würden „neue Battlegroups in Ost- und Südosteuropa“, im Gespräch ist unter anderem die Einrichtung einer neuen multinationalen Gefechtseinheit in Rumänien. Offensivwaffen sollen nicht stationiert werden, die NATO sei keine Gefahr für Russland. Es gehe um eine „Stärkung der Abschreckung und Verteidigung“, so Stoltenberg.

Russland: Ziehen Truppen von Krim-Manöver ab

Russland rief als Reaktion gleich darauf die NATO zu einer nüchternen Betrachtung der Lage im Ukraine-Konflikt auf. „In der NATO gibt es Probleme bei der Einschätzung der Situation“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Mittwoch in Moskau der Agentur Interfax zufolge. Die Lage werde nicht nüchtern beurteilt.

Russland setzt laut eigenen Angaben seinen angekündigten Teiltruppenabzug nach dem Ende von Manövern fort. Mehrere Einheiten, die an Übungen auf der von Russland widerrechtlich annektierten ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim beteiligt waren, kehrten nun zu ihren Standorten zurück, teilte das russische Verteidigungsministerium am Mittwoch mit.

Die Staatsagentur RIA Nowosti veröffentlichte ein Video, das einen Zug mit Panzern und anderen Militärfahrzeugen auf der Krim-Brücke bei Dunkelheit zeigt. Die Brücke führt von der Halbinsel, die sich Russland 2014 einverleibt hat, aufs russische Festland. Nicht mitgeteilt wurde, um wie viele Soldaten es sich handelt. Auf der Halbinsel ist zudem Militär dauerhaft stationiert.

Russische Panzer
AP/Russian Defense Ministry Press Service
Russische Panzer sind laut russischen Angaben auf dem Weg zu ihrem Stützpunkt

Russischer Botschafter: In drei, vier Wochen

Die Anzahl russischer Truppen an den Grenzen zur Ukraine werde nach Angaben des russischen Botschafters in Irland in den kommenden Wochen auf das reguläre Maß schrumpfen. Im Westen Russlands werde sich in drei, vier Wochen die Präsenz der Streitkräfte wieder auf normalem Niveau bewegen, berichtete die russische Nachrichtenagentur TASS unter Berufung auf den Botschafter.

Das Ministerium hatte am Mittwoch einen Teilabzug von Soldaten im Süden und Westen des Landes angekündigt. Der Westen reagierte zurückhaltend darauf. Andere Manöver wie die Übung im Nachbarland Belarus gingen aber weiter, hieß es aus dem russischen Verteidigungsministerium. Der belarussische Außenminister Wladimir Makej sagte am Dienstag ebenfalls, dass die russischen Truppen nach den gemeinsamen Manövern vollständig in ihre Heimat zurückkehren würden. Nicht ein russischer Soldat oder auch nur ein Ausrüstungsbestandteil werde in Belarus bleiben.

Schallenberg sieht „Nagelprobe für Diplomatie“

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) sieht die jüngsten Entwicklungen zurückhaltend. Moskau sende „gemischte Signale“, sagte Schallenberg am Mittwoch gegenüber Journalisten vor seinem ersten bilateralen Arbeitsgespräch mit der deutschen Amtskollegin Annalena Baerbock (Grüne) in Berlin. Einerseits gebe es die Entscheidung der Duma, den Donbass anzuerkennen, andererseits den startenden Abbau von russischen Manövern. „Wir müssen sehr vorsichtig sein.“

Putin kündigt weitere Entspannungsschritte an

In der Ukrainekrise hat Russland einen Teilabzug seiner Truppen aus dem Grenzgebiet und das Ende einer Militärübung auf der Krim.angekündigt. US-Präsident Biden dagegen misstraut Russland und hält eine russische Invasion in der Ukraine weiterhin für möglich.

Schallenberg sprach von einer „Situation der Nagelprobe für die Diplomatie“. In dieser Frage gebe es einen „Paarlauf zwischen Österreich und Deutschland“. Beide Länder versuchten, europäische Einigkeit herzustellen. Der russische Präsident Wladimir „Putin hat es geschafft, dass der Westen geeint ist wie noch selten“, so der Außenminister.

Blinken warnt vor Anerkennung von Donezk und Luhansk

Auch die deutsche Regierung forderte von Russland klare Belege für den angekündigten Teilabzug. Die Ankündigungen seien zwar ein gutes Zeichen, aber es fehlten noch die Belege dafür, sagte ein Regierungssprecher. Er rechne damit, dass sich das Bild in den kommenden Tagen klären werde. Am Abend soll es ein Telefonat zwischen dem deutschen Kanzler Olaf Scholz und Biden geben.

US-Außenminister Antony Blinken warnte indes vor einer Anerkennung der beiden von prorussischen Separatisten kontrollierten ostukrainischen Gebiete Luhansk und Donezk. Blinken kritisierte das Votum des russischen Parlaments, der Duma, das Putin nach einer Abstimmung zu diesem Schritt aufgefordert hatte. Damit würde die Souveränität der Ukraine untergraben und gegen das Völkerrecht verstoßen, sagte Blinken weiter.

Grafik zu den russischen Rebellengebieten in der Ukraine
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Russland: US-Militär in Europa Bedrohung für Russland

Der russische Sicherheitsrat bezeichnete indes das US-Militär in Europa als Bedrohung für Russland. Die USA hätten dort zur Abschreckung Russlands Truppen mit einer Stärke von 60.000 Soldaten, 200 Panzern und 150 Kampfflugzeugen stationiert. „Ihr Hauptziel in Europa ist es, eine ständige Bedrohung für unser Land zu schaffen“, sagte der stellvertretende Sekretär des Sicherheitsrats, Michail Popow, in einem Interview.

Zudem würden die USA taktische Atomwaffen bereithalten. In den vergangenen sieben Jahren hätten die Vereinigten Staaten ihr militärisches Potenzial stark ausgebaut, sagte Popow der Regierungszeitung „Rossijskaja Gaseta“.

Putin weiter für Gespräche

Der russische Außenminister Sergej Lawrow bekräftigte am Mittwoch die Bereitschaft Moskaus zum Dialog mit dem Westen über die Sicherheit in Europa – „aber nicht zum Schaden“ der grundsätzlichen Positionen Russlands. Dazu gehöre auch ein Ende der „bedingungslosen Ausdehnung der NATO nach Osten“. Lawrow machte vor Journalisten deutlich, dass sich der Westen nun auf einen Dialog eingelassen habe, nachdem „wir das Problem der Sicherheit in Europa verschärft haben“.

Auch Putin betonte nach Angaben des russischen Präsidialamts seine Bereitschaft zu Verhandlungen über die Ukraine-Krise. Er befürworte Verhandlungen und Diplomatie und sehe die Gesprächsbereitschaft von US-Präsident Joe Biden positiv, teilte das Präsidialamt am Mittwoch in Moskau mit. Der Kreml begrüße Bidens direkten Appell an die russischen Bürger und Bürgerinnen.

Der Kreml in Moskau
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Der Kreml, der Amtssitz des russischen Präsidenten Wladimir Putin

„Es ist wahrscheinlich zu begrüßen, dass der Präsident der Vereinigten Staaten (…) an das russische Volk denkt“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Mittwoch der Agentur Interfax zufolge. „Aber wir würden es vorziehen, nicht alle möglichen Drohungen darüber zu hören, was mit uns passieren wird, wenn wir dort etwas tun, was wir nicht vorhaben zu tun“, sagte Peskow.

„Keine Erklärung schuldig“

Putin sei den US-Bürgern keine Erklärung schuldig, betonte sein Sprecher: „Der ganzen Welt zu erklären, warum Russland nicht das tut, was die USA und europäische Hauptstädte faktisch informell verlangen, wäre wahrscheinlich nicht vernünftig.“ Der Kreml-Sprecher bezog sich damit auf Warnungen aus Washington, Russland könne möglicherweise noch in dieser Woche das Nachbarland Ukraine angreifen.

Russland sieht den Konflikt im Donbass als innerukrainischen Bürgerkrieg an. Die Regierung in Kiew und der Westen werfen Russland dagegen vor, die Separatisten direkt zu unterstützen, was die Regierung in Moskau zurückweist. Allerdings wurden seit 2014 bereits 700.000 russische Pässe in der Ostukraine ausgestellt.

US-Präsident Joe Biden
AP/Alex Brandon
US-Präsident Joe Biden bei seinem Aufruf an die russische Bevölkerung

Biden hatte in seiner Rede am Dienstag einen russischen Angriff auf die Ukraine weiter für sehr wohl möglich gehalten. Den USA würden bisher keine Belege vorliegen, dass russische Einheiten abgezogen worden seien, sagte Biden am Dienstag in einer Fernsehansprache. Auf die russischen Sicherheitsbedenken könne eingegangen werden, gab sich Biden zugleich kooperativ. Die USA böten neue Rüstungskontrollen und andere Maßnahmen an.

Russland mit Verweis auf „Nord Stream 2“

Russland warf den USA darüber hinaus vor, die Spannungen im Ukraine-Konflikt zu schüren, um sich einen Anteil am Gasmarkt zu sichern. Mit ihrem Vorgehen wollten die USA sicherstellen, dass die Gaspipeline „Nord Stream 2“ nicht in Betrieb genommen werde, zitieren Nachrichtenagenturen eine Sprecherin des russischen Außenministeriums.

Die USA strebten danach, Russland einen Teil seines europäischen Gasmarktes abzunehmen. Die USA sehen die Ostseepipeline „Nord Stream 2“ kritisch, da sie ihrer Ansicht nach die Abhängigkeit Europas von russischem Gas erhöht. Sie wollen sie sanktionieren, sollte Russland in die Ukraine einmarschieren. Die USA wollen zudem ihr Flüssiggas exportieren, das aber durch das umstrittene Fracking-Verfahren gewonnen wird. Grundsätzlich müsse „damit aufgehört werden, alles zu glauben, was sie in Washington reden – insbesondere in Bezug auf die Ukraine, das ukrainische Volk und Russland“.

EU fordert von Russland konkrete Schritte

Angesichts der Bedrohung durch Russland brachte EU-Ratspräsident Charles Michel eine internationale Geberkonferenz für die Ukraine ins Spiel. Man müsse über die bisher geplanten EU-Finanzhilfen von 1,2 Milliarden Euro hinausgehen, sagte Michel am Mittwoch im EU-Parlament. Ziel der Konferenz solle sein, die „finanzielle Robustheit“ der Ukraine und Reformen zu unterstützen. Die derzeitigen Umstände hätten der ukrainischen Wirtschaft schon jetzt großen Schaden zugefügt.

„Wir fordern Russland dazu auf, konkrete und handfeste Schritte zur Deeskalation zu ergreifen“, so Michel weiter. Die EU könne nicht „ewig Diplomatie auf einer Seite versuchen, wenn die andere Seite Truppen anhäuft“, fügte er hinzu. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte, dass die EU „wachsam“ bleiben müsse.

Korrespondenten zum Ukrainekonflikt

Christian Wehrschütz und Paul Krisai kommentieren die jüngsten Wendungen in der diplomatischen Krise zwischen der NATO und Russland um die Zukunft der Ukraine.

Die 27 EU-Staats- und -Regierungschefs werden Donnerstagmittag zusammenkommen, um über die russische Truppenverstärkung an der ukrainischen Grenze zu diskutieren. Bei dem einstündigen informellen Gespräch sollen die jüngsten Entwicklungen beraten werden, wie ein Ratssprecher am Mittwoch via Twitter mitteilte. Das Ad-hoc-Treffen findet kurz vor Beginn eines lange geplanten EU-Afrika-Gipfels statt. Es wird keine formellen Schlussfolgerungen geben.

Gegen den Widerstand von Linken und Teilen des rechten Lagers forderten die Fraktionschefs des EU-Parlaments scharfe Sanktionen gegen Russland, falls es zu einem Angriff auf die Ukraine kommen sollte. Die Sanktionen sollten auch den Ausschluss Russlands aus dem internationalen Bankenzahlungssystem Swift, Reiseverbote und ein sofortiges Ende des Pipelineprojekts „Nord Stream 2“ umfassen, heißt es in einer Erklärung.

Der Linken-Fraktionschef im EU-Parlament, Martin Schirdewan, bezeichnete die Erklärung als nicht hilfreich zur Deeskalation. Auch die rechte Fraktion Identität und Demokratie, der unter anderem Abgeordnete der FPÖ, der deutschen AfD, der italienischen Lega und des französischen Rassemblement National angehören, unterstützte die Erklärung nicht. Mit ihr werde weiter „Öl ins Feuer“ gegossen

Ukraine feiert „Tag der nationalen Einheit“

Angesichts von US-Warnungen vor einem russischen Einmarsch am Mittwoch feierte die Ukraine am Mittwoch einen „Tag der nationalen Einheit“. In der Hauptstadt Kiew war am Vormittag über viele Lautsprecher die Nationalhymne zu hören, wie ein Reporter der dpa berichtete. Zudem wurde in der ehemaligen Sowjetrepublik vielerorts die Landesflagge gehisst.

Feier zum „Tag der Einheit“ in Kiew
APA/AFP/Sergei Chuzavkov
Eine gigantische ukrainische Flagge am „Tag der nationalen Einheit“ in einem Stadium in Kiew

Im Fernsehen standen Sondersendungen auf dem Programm. Staatsangestellte wurden zum Singen der Hymne verpflichtet. In allen Schulen des Landes wurde der Unterricht dafür unterbrochen. Präsident Wolodymyr Selenski sprach in einem Video von einem wichtigen Tag für sein Land. Die Menschen in der Ukraine sprächen zwar verschiedene Sprachen und wohnten in verschiedenen Landesteilen. „Aber uns eint der Wunsch, in Frieden zu leben, glücklich zu leben. Nur gemeinsam können wir unsere Heimat schützen.“ Selenski hatte den 16. Februar erst am Montag per Dekret zum „Tag der Einheit“ erklärt.