Frauen mit Maske in der Stadt
AP/Lisa Leutner
Öffnungsschritte

Fachleute mit gemischten Reaktionen

Die Reaktionen von Fachleuten auf die von der Regierung verkündeten Lockerungen mit 5. März fallen durchwachsen aus. Die weitgehende Abkehr von den meisten Pandemiemaßnahmen ist für den Komplexitätsforscher Peter Klimek mit Blick auf die aktuelle Auslastung im Spitalsbereich „vertretbar“, andere Experten sind skeptischer. Für GECKO-Leiterin Katharina Reich sind die Öffnungsschritte nicht „in Stein gemeißelt“.

Aufpassen sollte man, was die Kommunikation und die Signalwirkung der Lockerungen betrifft, so Klimek. Tituliere man das als „Freedom Day“ und nicht als Aussetzen von Maßnahmen, könne das wieder zum Problem werden. Ob die Omikron-Welle nochmals Fahrt aufnimmt, werde sich nächste Woche weisen. Dass sich bei den Quarantäneregeln und bei der Meldepflicht von Infektionen offenbar nichts ändern wird, sei „in Ordnung“. Hier handle es sich um ein Signal, dass die Pandemie nicht plötzlich zu Ende ist.

Seit der Omikron-Welle liege das Problem im Gesundheitsbereich mehr auf den Normalstationen, da sehr schwere Verläufe aufgrund der höheren Impf- und zuletzt Durchseuchungsraten seltener geworden sind. Gegen Öffnungen würde also eher eine zu hohe Covid-19-Belastung bei Normalbetten sprechen.

Komplexitätsforscher Peter Klimek
APA/Hans Punz
Die Lockerungen seien „in Ordnung“, jedoch mit Vorsicht zu genießen, so Klimek

Diese sei aber fast überall relativ niedrig, was auch die Auswirkungen auf die Versorgung von Nicht-CoV-Patientinnen und -Patienten in Grenzen halte, so der Forscher vom Complexity Science Hub Vienna (CSH) und der Medizinischen Universität Wien. Von den definierten Kapazitätsgrenzen sei man aktuell „weit weg“.

BA.2 könnte nächste Woche dominant werden

Das Prognosekonsortium, dem Klimek angehört, geht für nächste Woche davon aus, dass die Omikron-Untervariante BA.2 hierzulande dominant werden könnte. „Wir erwarten aber nicht, dass BA.2 so stark aufschlägt, dass es die bisherigen Höchstwerte nochmals pulverisiert“, sagte der Forscher. Dementsprechend werde sich die Krankenhausbelastung wohl nicht deutlich erhöhen, sondern eher „in die Länge ziehen“.

Trotzdem könne man davon ausgehen, dass auch die von der Regierung geplanten weitgehenden Öffnungsschritte die Spitalskapazitäten höchstwahrscheinlich nicht sprengen werden. Klimek: „Insofern sind die Schritte jetzt auch vertretbar.“

Die mittlerweile kleine Gruppe der Ungeimpften trage aktuell zu rund 50 Prozent zu den Neuinfektionen bei. Die Inzidenz unter den Ungeimpften und Nichtgenesenen liege momentan bei rund 12.000. In dieser Gruppe schreite die Durchseuchung also sehr rasch voran. Dementsprechend sei auch deshalb davon auszugehen, dass die Welle in ein paar Wochen abebbe. „Ob wir aber schon am 5. März in einer nachhaltigen Abwärtsbewegung sind, kann ich jetzt noch nicht sagen“, so Klimek.

Katharina Reich (GECKO)
APA/Georg Hochmuth
GECKO-Leiterin Reich mahnte bei der Pressekonferenz am Mittwoch weiterhin zu Vorsicht

Er rechne damit, dass der Großteil der Bevölkerung auch nach dem 5. März weiter Vorsicht walten lassen wird. Für die meisten sei Covid-19 aus nachvollziehbaren Gründen „nach wie vor etwas, was man nicht bekommen möchte“. Wie rund um den Stichtag kommuniziert werde, könnte sehr wichtig werden. Denn ob man die Maßnahmen nicht wieder brauchen wird, könne niemand vorhersagen. „Da muss man auf die Signalwirkung aufpassen“, betonte der Komplexitätsforscher.

Zeitlinger: Derzeit keine Überlastung der Spitäler

„Vorsichtige Öffnungsschritte sind, glaube ich, akzeptabel“, sagte auch Markus Zeitlinger, Vorstand der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie an der MedUni Wien/AKH. Der Trend zeige international, dass die Zahlen leicht zurückgehen. Es sei darum gegangen, eine „punktuelle Überlastung in den Spitälern“ zu vermeiden, „die haben wir im Moment nicht“, sagte er, eine „Belastung“ schon noch.

Regierung kippt CoV-Vorschriften

Die Bundesregierung wird nach großem Druck von mehreren Seiten mit 5. März die meisten ihrer CoV-Vorschriften aufheben. An der FFP2-Maskenvorschrift und der Impfpflicht für alle hält sie derzeit noch fest. Bis auf Wien, das noch länger CoV-Beschränkungen für seine Bürger beibehalten will, unterstützen die Länder die Lockerungen.

Zur Impfpflicht äußerte sich der Pharmakologe wie bisher nicht befürwortend oder ablehnend. Er würde aber „keinen neuen Grund sehen, warum man sie nicht durchziehen sollte“, so Zeitlinger im APA-Gespräch.

Bergthaler und Gartlehner kritischer

Mikrobiologe Andreas Bergthaler äußerte sich skeptischer: „Von unserer Seite her, auch basierend auf Prognosen von Peter Klimek und anderen, sehen wir noch nicht ganz den Zeitpunkt erreicht, um jetzt völlig aufzumachen.“ Aber es gebe einen Stufenplan, sagte Bergthaler auch: Es werde „noch nicht komplett alles Mitte Februar geöffnet. Aber trotzdem: Ich persönlich habe ein bisschen einen vorsichtigeren Zugang dazu.“

Kritisch zum weitgehenden Aus der Maskenpflicht äußerte sich der Epidemiologe Gerald Gartlehner. „Ich hätte wahrscheinlich die Maskenpflicht generell als Basismaßnahme gelassen“, so Gartlehner gegenüber Ö1. Und: „Dort, wo Masken nicht getragen werden können, hätte wahrscheinlich 2-G bleiben können oder sollen, weil es doch noch keine deutliche Bewegung nach unten gibt.“

Reich: Öffnungen nicht „in Stein gemeißelt“

Die Öffnungsschritte verteidigte am Donnerstag Reich, die Generaldirektorin für die öffentliche Gesundheit und Leiterin der gesamtstaatlichen Covid-Krisenkoordination (GECKO), wiewohl sie im Ö1-Morgenjournal auch eine gewisse Skepsis durchblicken ließ: „Auch in meiner Seele schlagen zwei Herzen.“

Dass man nicht wie Deutschland bis Ende März gewartet habe, begründete Reich damit, dass „alles einen gewissen Vorlauf braucht“. Zunächst müssten die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. „Und wir haben noch drei Wochen Zeit“, so Reich: „Schauen wir, wie es läuft!“

Nur weil diverse Regeln wie die Maskenpflicht fallen, heiße das ja nicht, dass sie nicht weiter praktiziert würden. Jeder könne weiterhin Masken verwenden. „Wir haben 75 Prozent unserer Bevölkerung bis dato in einem guten Mitmachmodus“, so Reich. Das werde auch weiterhin so sein, gab sie sich überzeugt.

Die Öffnungen zum 5. März seien nicht in „Stein gemeißelt“, sondern vom Systemrisiko abhängig, sagte Reich: „Wie geht es eben den Intensivstationen und den Normalstationen? Und wenn dieses Systemrisiko nach wie vor gering ist und die Auslastungen nach wie vor in einem vertretbaren Rahmen bleiben, dann ist gegen diese Öffnung ja nichts einzuwenden.“

SPÖ mit harscher Kritik

Die Reaktionen auf die Öffnungen fielen am Mittwoch generell gemischt aus. Während Vertreterinnen und Vertreter der Nachtgastronomie jubelten, reagierten Landeshauptleute zufrieden, wenn auch skeptisch. Kritisch bis besorgt äußerten sich Teile der Opposition. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner legte am Donnerstag nach und mahnte Vorbereitungen für den Herbst ein.

„Die Pandemie ist noch nicht vorbei“, warnte sie. „Wichtig ist jetzt, uns parallel zu Lockerungsschritten für den nächsten Herbst vorzubereiten.“ Mittelfristig sieht Rendi-Wagner Handlungsbedarf: „Die Politik muss die richtigen Lehren ziehen und das Gesundheitssystem robust gegenüber künftigen Gesundheitskrisen machen.“ Die SPÖ-Chefin sagte, dass man bis zum Sommer „eine hohe Durchimpfungsrate“ brauche. Die flächendeckenden Tests sollen beibehalten werden, fordert Rendi-Wagner. Sie plädierte weiterhin für das Tragen von Masken in geschlossenen Räumen.

Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) ließ kein gutes Haar an den Entscheidungen des Bundes: „Im Augenblick fahren wir einen Kurs, dass wir bei Höchstgeschwindigkeit die Tür aufmachen und aussteigen.“ Die Prognosen würden ihm Sorge bereiten, zugleich würde die Rücknahme von Maßnahmen gefährlich sein, warnte er.

Die Impflotterie habe man „wieder einmal nicht hingekriegt“: „Jetzt machen wir halt eine Infektionslotterie daraus. Nach dem Motto: Schauen wir, wen es erwischt.“ Das finde er „schon bemerkenswert“ nach zwei Jahren Pandemiepolitik. Die Stadt gehe dabei nicht mit. Das Leitprinzip sei hier, die Menschen sicher durch die Pandemie zu bringen.

Mückstein verteidigt Strategie

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) verteidigte am Mittwochabend in der ZIB2 die von der Regierung angekündigten Öffnungsschritte trotz anhaltend hoher Infektionszahlen. Mehrmals verwies er auf die „stabilen Verhältnisse auf den Normal- und Intensivstationen“ und auf die Prognosen, wonach die Zahl der Neuansteckungen demnächst sinken werde.

Mückstein: Impfpflicht wird umgesetzt

Gesundheitsminister Mückstein (Grüne) geht davon aus, dass Nichtgeimpfte ab Mitte März 2022 gestraft werden. Ob Türkis-Grün den Österreichern eine vierte Injektion gegen das Coronavirus für eine eventuelle Welle im Herbst vorschreibt, werde auf Basis von Einschätzungen von „Expertinnen und Experten“ entschieden.

Basis für Öffnungsschritte seien die Prognosen, die sich in den vergangenen Wochen schon als sehr treffsicher erwiesen hätten, so Mückstein. Laut diesen sei nach einer Seitwärtsbewegung bei der Zahl der neu positiv Getesteten ein Abfall Anfang März zu erwarten. Dass die Öffnungen vor allem von der ÖVP forciert worden seien, um von deren Problemen abzulenken, verneinte der Gesundheitsminister: Die Maßnahmen sollten nicht länger in Kraft sein als „unbedingt notwendig“.

In Sachen Impfung räumte Mückstein zwar „Probleme der Kommunikation“ ein. Zur Frage, wie es mit der Impfpflicht weitergehe, wollte er aber keine politische Festlegung abgeben. Er verwies erneut auf die im Gesetz vorgesehene Kommission, die eine medizinische und juristische Einschätzung abgeben soll. Diese hat sich am Donnerstag konstituiert.