Soldat einer pro-russichen Miliz in Donezk
Reuters/Alexander Ermochenko
Ostukraine

Gefechte stacheln Konflikt weiter an

Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland ist durch Gefechte weiter angestachelt worden. Die USA und die NATO sehen nach wie vor keine Anzeichen für einen Abzug aus der Grenzregion – im Gegenteil, es wird weiter vor einer Invasion gewarnt. Russland übergab sein lange erwartetes Antwortschreiben an die USA und wies den stellvertretenden Leiter der US-Botschaft in Moskau aus. Unterdessen hieß es von dem mit Russland verbündeten Belarus, man sei zur Stationierung von russischen Atomwaffen bereit.

In der Ostukraine war es laut Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am Donnerstag zu Gefechten gekommen. Es habe einen Artilleriebeschuss gegeben, hieß es aus diplomatischen Kreisen unter Berufung auf die OSZE. In Luhansk in der Ostukraine sei ein Kindergarten getroffen worden. Von der OSZE hieß es, dass drei Menschen verletzt wurden, die Separatisten sprachen von einer verletzten Zivilistin. In Donezk waren Zeugen zufolge in der Nähe des Flughafens und in dem Dorf Elenowka in der Provinz Donezk Artillerieschüsse zu hören, hieß es laut Reuters.

Ein ranghoher ukrainischer Regierungsvertreter sagte, die jüngsten Beschüsse aus dem Gebiet der prorussischen Separatisten im Osten des Landes passten nicht in die Art der üblichen Verletzungen der Waffenruhe. Es sehe vielmehr nach einer „Provokation“ aus. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski sprach ebenfalls von einer „großen Provokation“.

Grafik zu den russischen Rebellengebieten in der Ukraine
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Zudem betonte Selenski den Verbleib von Diplomaten und der OSZE in der Region. Das habe eine weitere zusätzliche abschreckende Wirkung. „Wir brauchen einen effektiven Mechanismus, um alle Verstöße gegen die Waffenruhe aufzuzeichnen“, teilte der Präsident auf Twitter mit.

USA sehen Anzeichen für Invasionsvorbereitung

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sieht indes Anzeichen für Vorbereitungen einer möglichen Invasion der Ukraine. Russland stocke die Blutkonserven für die in Grenznähe zusammengezogenen Truppen auf, die Einheiten würden näher an die Grenze gerückt, und es seien mehr Kampfflugzeuge als üblich in der Luft. „Ich war selber Soldat vor gar nicht so langer Zeit. Ich weiß aus erster Hand, dass man diese Dinge nicht ohne Grund macht“, sagte der Ex-General.

„Und man macht diese Dinge ganz gewiss nicht, wenn man sich fertigmacht, um zusammenzupacken und nach Hause zu gehen“, sagte er mit Blick auf russische Angaben, mit dem Abzug der Truppen sei begonnen worden. Kurz darauf sagte auch US-Präsident Joe Biden, dass er trotz aller Beteuerungen aus Moskau einen russischen Einmarsch in die Ukraine in den nächsten Tagen befürchte. Biden sagte am Donnerstag in Washington, die Gefahr einer Invasion sei „sehr hoch“, und nach seiner Einschätzung könne es „in den nächsten paar Tagen“ dazu kommen.

Lage weiter angespannt

In der Ukraine-Krise gibt es laut OSZE-Berichten neue Gefechte zwischen prorussischen Rebellen und der Ukraine. Die EU warnt vor einer möglichen russischen Invasion und fordert Moskau zur Deeskalation auf.

Blinken: Moskau will Vorwand schaffen

US-Außenminister Antony Blinken sagte vor dem UNO-Sicherheitsrat, Russland bereite sich auf einen Angriff „in den kommenden Tagen“ vor. Moskau wolle einen Vorwand dazu schaffen. „Das könnte ein gewaltsames Ereignis sein, das Russland gegen die Ukraine vorbringen wird, oder eine unerhörte Anschuldigung, die Russland gegen die ukrainische Regierung erheben wird.“ Möglich seien ein vermeintlicher Terroranschlag in Russland, die „erfundene Entdeckung eines Massengrabes“ und Vorwürfe eines Völkermordes, ein inszenierter Drohnenangriff auf Zivilisten oder ein vorgetäuschter oder echter Angriff mit Chemiewaffen.

Der ukrainische Präsident Selenski sprach sich gegen Streitkräfte verbündeter Staaten in seinem Land aus. „Wir brauchen keine Soldaten mit ausländischen Flaggen auf unserem Gebiet“, sagte er der ukrainischen Website RBK am Donnerstag. „Andernfalls würde die ganze Welt destabilisiert werden.“ Die Ukraine wolle „Russland keinen zusätzlichen Grund geben, zu sagen, dass wir hier (ausländische) Stützpunkte haben, gegen die sie sich ‚verteidigen‘ müssen“, sagte Selenski. „Aber wir wollen alles andere“, fügte er mit Blick auf finanzielle Unterstützung und Waffenlieferungen westlicher Staaten hinzu.

Russland: Invasion ist ausgeblieben

Russland wies Befürchtungen des Westens vor einem bevorstehenden Einmarsch Moskaus in die Ukraine jedoch erneut zurück. „Ich denke, wir haben genug darüber spekuliert“, sagte Russlands stellvertretender Außenminister Sergej Werschinin am Donnerstag vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York. Eine Invasion sei entgegen der Warnungen ausgeblieben – in Richtung der USA und ihrer westlichen Verbündeten sagte Werschinin: „Mein Rat an Sie ist, sich nicht in eine unangenehme Situation zu begeben.“

Moskau fordert in Antwort Sicherheitsgarantien

Die USA erhielten unterdessen die Antwort Russlands auf die von ihnen unterbreiteten Vorschläge zu Sicherheitsgarantien. Das teilte ein Vertreter des US-Außenministeriums mit. Die Antwort sei dem Botschafter der USA in Russland, John Sullivan, in Moskau überbracht worden.

Russland fordert in der Antwort weiterhin den Abzug sämtlicher US-Soldaten aus Ost- und Mitteleuropa. Sollten die USA nicht die geforderten Sicherheitsgarantien geben, wäre Moskau „gezwungen zu reagieren, einschließlich militärisch-technischer Mittel“, erklärte das russische Außenministerium am Donnerstag in seiner schriftlichen Antwort auf ein Schreiben aus Washington.

„Kreml ist alarmiert“

Russland teilte den USA offiziell auch mit, dass es zu einer Reaktion gezwungen sei, sollten die USA mit Moskau keine rechtsverbindlichen Sicherheitsgarantien aushandeln. Zu der Reaktion würde auch der Einsatz „militärtechnischer Maßnahmen“ gehören, berichtete die Agentur TASS unter Berufung auf die schriftliche Antwort Russlands.

Ukrainischer Soldat in Donezk
Reuters/Oleksandr Klymenko
Ein ukrainischer Soldat an der „Grenzlinie“ in Donezk

Weiter heiße es in dem Papier, Russlands rote Linien würden ignoriert, und der Kreml sei alarmiert durch zunehmende militärische Aktivitäten der USA und der NATO in der Nähe Russlands. Nach Angaben von Beobachtern könnten „militärtechnische Maßnahmen“ die Stationierung von Raketen und Soldaten, elektronische Kriegsführung und den Einsatz weltraumgestützter Waffensysteme umfassen.

Zusätzliche US-Soldaten in Polen eingetroffen

Russland wies unterdessen den stellvertretenden Leiter der US-Botschaft in Moskau aus. Die Ausweisung des Diplomaten Bart Gorman sei „ohne Grund“ erfolgt und stelle einen „Schritt der Eskalation“ dar, erklärte das Außenministerium in Washington am Donnerstag. „Wir prüfen unsere Antwort.“ Die Regierung in Moskau äußerte sich später zu dem Grund der Ausweisung Gormans: Es handle sich um eine Vergeltungsmaßnahme für eine vorhergehende Ausweisung eines russischen Diplomaten, erklärte das Außenministerium.

In Polen trafen unterdessen die zusätzlichen US-Soldaten fast vollständig ein. Die US-Regierung hatte sie wegen des Ukraine-Konfliktes dorthin verlegt. Rund 4.600 Soldaten der 82. Luftlandedivision aus North Carolina seien bereits dort, sagte ein Sprecher der US-Armee in Europa am Donnerstag der Nachrichtenagentur PAP. Insgesamt sollen 4.700 zusätzliche amerikanische Soldaten die östliche Flanke der NATO in Polen schützen.

Unterdessen sieht der Westen keine Anzeichen eines Abzugs der russischen Truppen. Berichte aus dem Gebiet stünden im Widerspruch zu den jüngsten Erklärungen aus Moskau, wonach Russland seine Truppen im Grenzgebiet zur Ukraine nach Manövern teilweise in die Kasernen zurückbeordern würde. Nach Angaben aus US-Regierungskreisen ist das Gegenteil der Fall. Russland baue seine Truppen in den Grenzregionen aus.

NATO Generalsekretär Jens Stoltenberg
AP/Olivier Matthys
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg stellt sich vor Beginn des zweitägigen NATO-Treffens der Presse

NATO: Kein Anzeichen für Rückzug oder Deeskalation

Auch die NATO hat weiter keine glaubwürdigen Hinweise auf einen Rückzug russischer Truppen aus dem Grenzgebiet zur Ukraine. „Es gibt Signale aus Moskau, dass die Diplomatie fortgesetzt werden könnte, aber bisher haben wir keine Anzeichen für einen Rückzug oder eine Deeskalation gesehen“, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Donnerstag.

Russland habe zuletzt erneut seine Fähigkeit und Bereitschaft unter Beweis gestellt, Gewalt anzudrohen, um seine Ziele zu erreichen. „Leider fürchte ich, dass dies der neue Normalzustand ist, auf den wir vorbereitet sein müssen“, sagte Stoltenberg zu Beginn des zweiten Tages von Beratungen der Verteidigungsminister der Bündnisstaaten in Brüssel.

Warnung vor „Operationen unter falscher Flagge“

Das russische Militär sei jederzeit in der Lage, kurzfristig eine umfangreiche Offensive gegen die Ukraine zu starten. „Sie haben genug Truppen und Möglichkeiten für eine großangelegte Invasion der Ukraine mit sehr geringer beziehungsweise gar keiner Vorwarnzeit“, so Stoltenberg: „Das ist es, was die Situation so gefährlich macht.“

Man sei besorgt darüber, „dass Russland versucht, einen Vorwand für einen bewaffneten Angriff auf die Ukraine zu inszenieren“, so der NATO-Generalsekretär. Man wisse nicht, was passiere, aber der russische Truppenaufmarsch im Grenzgebiet zur Ukraine sei der größte in Europa seit Jahrzehnten. Zugleich wisse man auch, dass es in der Ukraine viele russische Geheimdienstler gebe, die auch im Donbass aktiv seien. Und man habe Versuche gesehen, mit „Operationen unter falscher Flagge“ einen Vorwand für eine Invasion der Ukraine zu schaffen.

Auch die EU sieht keine Zeichen der Deeskalation Russlands in der Region. Vielmehr dauere der Truppenaufmarsch an, obwohl Russland das Gegenteil behaupte, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Wir fordern Russland zur Deeskalation auf“, sagte EU-Ratspräsident Charles Michel. Großbritannien hielt eine von Russland über Monate ausgedehnte Ukraine-Krise für möglich.

Nehammer: Auf Knopfdruck Invasion möglich

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) schenkt der Ankündigung Russlands, Truppen von der ukrainischen Grenze abzuziehen, keinen Glauben. Der Abzug von der Halbinsel Krim sei ein „Fake-Abzug“ gewesen, sagte Nehammer am Donnerstag in Brüssel vor einem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen zu diesem Thema. „Wir gehen nach wie vor davon aus, dass auf Knopfdruck eine Invasion der Ukraine möglich ist.“

Nehammer: „Auf Knopfdruck Invasion möglich“

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) schenkt der Ankündigung Russlands, Truppen von der ukrainischen Grenze abzuziehen, keinen Glauben. Der Abzug von der Halbinsel Krim sei ein „Fake-Abzug“ gewesen, sagte Nehammer in Brüssel vor einem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen. Es sei „generell eine angespannte Situation, und Feuergefechte können dort rasch entstehen“, es könne aber auch der Beginn einer „Erzählung“ seitens Russlands sein, dass aufgrund der Eskalation dort ein Eingreifen von russischer Seite notwendig sei, sagte der Bundeskanzler.

Am Abend sagte Nehammer, die Invasionsgefahr, die von Russland ausgehe, sei „ernst zu nehmen“. Er verwies auf die Einigkeit der EU-Staaten: „Unter den EU-Mitgliedern gibt es eine klare Einigkeit, dass es hier tatsächlich eine große Invasionsgefahr gibt“, so Nehammer. Seitens der EU gebe es daher ein Sanktionsregime, das ebenso bereits mit Drittstaaten abgesprochen sei. Nehammer sprach dabei von einem „klaren Signal an Russland, wenn Gewalt angewandt wird“.

Gleichzeitig sei bei den Sanktionen aber auch die Energieversorgung der EU-Staaten sichergestellt. Hierbei hätten bereits „intensive Gespräche mit alternativen Anbietern von Energie“ stattgefunden. Nicht zuletzt betonte Nehammer aber auch die Bedeutung des Dialogs und lobte die „große Gesprächsdiplomatie“ der EU.

Belarussischer Präsident  Alexander Lukashenko
Reuters/Belta
Der belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko ist mit Kreml-Chef Wladimir Putin verbündet

Belarus zur Stationierung von Atomwaffen bereit

Das mit Russland verbündete Belarus ist nach den Worten seines Staatschefs Alexander Lukaschenko im Falle einer Bedrohung durch den Westen zur Stationierung von Atomwaffen bereit. „Wenn es notwendig ist“, werde sein Land nicht nur Atomwaffen, „sondern auch Super-Nuklearwaffen, vielversprechende Waffen“ aufnehmen, um „unser Territorium zu verteidigen“, sagte Lukaschenko nach Angaben der belarussischen Nachrichtenagentur Belta am Donnerstag. Minsk und Moskau hatten vergangene Woche gemeinsame Militärübungen in Belarus begonnen, die bis zum 20. Februar dauern sollen.

NATO-Generalsekretär Stoltenberg wies die Vorwürfe von Lukaschenko zurück. „Die NATO ist keine Bedrohung, die NATO ist ein Verteidigungsbündnis“, sagte Stoltenberg am Donnerstag. Die NATO sei ihrerseits „besorgt“, weil Russland sein Atomwaffenarsenal modernisiere.