US-Präsident Joe Biden
AP/Patrick Semansky
Ukraine-Konflikt

USA orten „sehr hohe“ Gefahr für Invasion

Die Situation im Ukraine-Konflikt entspannt sich nicht: US-Präsident Joe Biden warnte am Donnerstag vor einer Invasion Russlands „in den nächsten paar Tagen“, die Gefahr dafür sei „sehr hoch“. Russland bekräftigte dagegen erneut seine Darstellung, es ziehe einen Teil seiner Truppen von der ukrainischen Grenze ab. Gefechte im Osten der Ukraine fachten den Konflikt weiter an.

Biden warnte einmal mehr vor einem Krieg. Alles deute darauf hin, dass Russland bereit dazu sei, die Ukraine anzugreifen. Es gebe auch Grund zur Annahme, dass Moskau in Operationen unter falscher Flagge verwickelt sei, so Biden. Ähnliche Sorgen äußerten NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell.

US-Außenminister Antony Blinken legte in einer Rede vor dem UNO-Sicherheitsrat in New York dar, wie ein Angriffsvorwand konstruiert werden könnte. „Das könnte ein gewaltsames Ereignis sein, das Russland gegen die Ukraine vorbringen wird, oder eine unerhörte Anschuldigung, die Russland gegen die ukrainische Regierung erheben wird.“ Möglich seien ein vermeintlicher Terroranschlag in Russland, die „erfundene Entdeckung eines Massengrabes“ und Vorwürfe eines Völkermordes, ein inszenierter Drohnenangriff auf Zivilisten oder ein vorgetäuschter oder echter Angriff mit Chemiewaffen.

US-Außenminister Antony Blinken
Reuters/Carlo Allegri
US-Außenminister Blinken sprach vor dem UNO-Sicherheitsrat

Blinken soll Lawrow treffen

Blinken will nach Angaben seines Ministeriums mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow in der kommenden Woche über die Ukraine-Krise beraten. Die Russen hätten ein entsprechendes Angebot Blinkens zu Gesprächen in Europa angenommen und Termine für Ende kommender Woche vorgeschlagen, teilte Ministeriumssprecher Ned Price am späten Donnerstagabend (Ortszeit) mit.

Die US-Regierung akzeptiere die Vorschläge, „sofern es nicht zu einem (…) russischen Einmarsch in die Ukraine kommt“. „Wenn sie in den kommenden Tagen einmarschieren, wird deutlich, dass es ihnen mit der Diplomatie nie ernst war.“

Russischer Außenminister Sergei Lavrov und Präsident Vladimir Putin
Reuters/Sputnik/Alexei Nikolsky
Der russische Außenminister Sergej Lawrow und Kreml-Chef Wladimir Putin

Biden wird unterdessen am Freitag ein Gespräch mit den Staats- und Regierungschefs Kanadas, Frankreichs, Deutschlands, Italiens, Polens, Rumäniens, Großbritanniens sowie Spitzenvertretern der Europäischen Union und der NATO führen. Das teilte das Büro von Kanadas Premierminister Justin Trudeau mit.

Lukaschenko bei Putin

Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko traf zu Beratungen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin in Moskau ein. Dabei dürfte es darum gehen, wie lange die russischen Truppen nach dem für den 20. Februar geplanten Abschluss des gemeinsamen Manövers in Belarus bleiben.

Lukaschenko ließ am Donnerstag den Abzugstermin offen. „Wenn wir eine Entscheidung treffen, werden wir (die Truppe) innerhalb von 24 Stunden abziehen. Wenn wir uns für einen Monat entscheiden, bleiben sie einen Monat. Die Streitkräfte bleiben so lange wie nötig“, sagte er der Nachrichtenagentur Belta zufolge.

Belarus ist im Falle einer Bedrohung durch den Westen zur Stationierung von Atomwaffen bereit. „Wenn es notwendig ist“, werde sein Land nicht nur Atomwaffen, „sondern auch Super-Nuklearwaffen, vielversprechende Waffen“ aufnehmen, um „unser Territorium zu verteidigen“, sagte Lukaschenko am Donnerstag.

Neue Gefechte – gegenseitige Schuldzuweisungen

Im Konfliktgebiet der Ostukraine kam es am Freitag nach Darstellung von Regierung und Separatisten erneut zu Angriffen. Beide Seiten gaben einander in Mitteilungen die Schuld an Verstößen gegen den geltenden Waffenstillstand.

Grafik zu den russischen Rebellengebieten in der Ukraine
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Die Aufständischen in der Region Donezk und Luhansk teilten mit, seit Mitternacht seien mehrere Dutzend Granaten auf das eigene Gebiet abgefeuert worden. Gegenüber dem Vortrag sei der Beschuss deutlich intensiviert worden. Zwei Umspannwerke seien beschädigt worden. Eine Straße sei wegen der unsicheren Lage gesperrt worden.

Die ukrainische Armee sprach ebenfalls von knapp zwei Dutzend Verstößen gegen den Waffenstillstand. Diese Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Ob es Tote und Verletzte gab, ist nicht bekannt. Der Westen hatte sich bereits am Mittwoch besorgt über die Lage geäußert.

Warnung vor Flüchtlingskrise

Der Vizepräsident der EU-Kommission, Margaritis Schinas, warnte unterdessen bei einer weiteren Verschärfung der Krise vor der Flucht zahlreicher Menschen in die Europäische Union. „Es wird geschätzt, dass zwischen 20.000 und mehr als eine Million Flüchtlinge kommen könnten“, sagte er der deutschen Zeitung „Die Welt“. Zudem gebe es derzeit rund 20.000 EU-Bürger, die in der Ukraine lebten und Unterstützung bei einer möglichen Ausreise benötigen dürften. Die EU sei auch bereit, eine „bedeutende humanitäre Hilfe zu mobilisieren und beim Zivilschutz zu helfen“.

Sicherheitskonferenz zum Ukraine-Konflikt

Die Ukraine-Krise und ihre geopolitischen Folgen dominieren die Münchner Sicherheitskonferenz. Bis Sonntag werden 30 Regierungschefs und 100 Ministerinnen versuchen, einen Ausweg aus der „westlichen Hilflosigkeit“ zu finden.

Polens Regierung traf bereits erste Maßnahmen für den Fall eines „massiven Flüchtlingsstroms“, wie es aus Warschau hieß. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sagte dazu im Ö1-Morgenjournal: „Wir werden solidarisch zueinanderstehen.“ Ob Österreich mit einer Migrationswelle aus der Ukraine konfrontiert werde, bezeichnete der Regierungschef als vorerst „theoretische“ Frage. Es gebe aber in allen zuständigen Ministerien entsprechende Vorbereitungen.

Das gelte auch für mögliche Versorgungsengpässe mit russischem Gas, etwa als Reaktion auf westliche Sanktionen nach einer potenziellen Militäraktion Moskaus. Es sei vorgesorgt, beruhigte Nehammer: „Es gibt ausreichend Alternativgasversorgung.“

Satellitenbild zeigt russische Einheiten in Kursk
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Russische Truppenbewegungen in einem Manövergebiet im russischen Kursk von einem Satelliten aufgenommen

Russland: Manöver für Samstag angekündigt

Russland kündigte am Freitag für Samstag ein Manöver unter Einbeziehung „strategischer“ Streitkräfte an. Präsident Putin, der „Oberbefehlshaber der russischen Armee“, werde die „geplante Übung mit strategischen ballistischen Raketen und Marschflugkörpern beaufsichtigen“, teilte das russische Verteidigungsministerium laut Nachrichtenagenturen mit.

Russland begann unterdessen nach eigenen Angaben mit dem Abzug weiterer Soldaten und militärischer Ausrüstung von der ukrainischen Grenze. Einige Soldaten seien nach dem planmäßigen Abschluss ihrer Militärübungen in ihre Garnisonen in der westrussischen Region Nischni Nowgorod zurückgekehrt, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau am Freitag mit.

Ebenfalls abgezogen worden sei militärisches Gerät, das Panzereinheiten im westlichen Militärdistrikt gehöre. Laut einer separaten Mitteilung des Ministeriums wurden auch zehn Kampfflugzeuge vom Typ Su-24 von der Schwarzmeer-Halbinsel Krim abgezogen, die Russland im Jahr 2014 annektiert hatte.

Ukraine-Krise: Gefahr vor Invasion hoch

Russland hat zwar einen Rückzug seiner Truppen bis 20. März angekündigt, doch der Westen glaubt der Ankündigung nicht. Brüssel wiederholt abermals die Sanktionsdrohungen gegen Russland. Zugleich droht Belarus mit der Stationierung von Atomwaffen.

Washington sieht Truppenaufstockung

Russland weist seit Wochen Behauptungen zurück, wonach ein Angriff auf die Ukraine geplant sei. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin warf Moskau jedoch vor, Truppen und Ausrüstung weiterhin aufzustocken und noch näher an die Grenze zur Ukraine zu rücken.

Er sagte nach Beratungen der Verteidigungsminister der NATO-Staaten, Russland würde zwar den Abzug einiger Truppen nach militärischen Übungen beteuern, „aber wir sehen das nicht – ganz im Gegenteil“. Der Pentagon-Chef sagte: „Wir sehen, dass sie die mehr als 150.000 Soldaten, die sie bereits entlang der Grenze stationiert haben, aufstocken. Sogar in den vergangenen paar Tagen.“

USA: „Sehr hohe“ Gefahr für Invasion

Die Situation im Ukraine-Konflikt entspannt sich nicht: US-Präsident Joe Biden warnte vor einer Invasion Russlands „in den nächsten paar Tagen“, die Gefahr dafür sei „sehr hoch“. Russland bekräftigte dagegen erneut seine Darstellung, es ziehe einen Teil seiner Truppen von der ukrainischen Grenze ab. Gefechte im Osten der Ukraine fachten den Konflikt weiter an.

EU-Mitglieder: Lage angespannt

Wie die USA und die NATO sehen auch die EU-Staats- und -Regierungschefs keine Anzeichen für einen russischen Truppenabzug an der Grenze zur Ukraine. Bundeskanzler Nehammer schenkt der Ankündigung Moskaus keinen Glauben. Der angekündigte Abzug russischer Truppen von der Halbinsel Krim sei ein „Fake-Abzug“ gewesen, sagte Nehammer am Donnerstag in Brüssel. „Wir gehen nach wie vor davon aus, dass auf Knopfdruck eine Invasion in die Ukraine möglich ist.“

Nehammer: „Auf Knopfdruck Invasion möglich“

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) schenkt der Ankündigung Russlands, Truppen von der ukrainischen Grenze abzuziehen, keinen Glauben. Der Abzug von der Halbinsel Krim sei ein „Fake-Abzug“ gewesen, sagte Nehammer in Brüssel vor einem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen. Es sei „generell eine angespannte Situation, und Feuergefechte können dort rasch entstehen“, es könne aber auch der Beginn einer „Erzählung“ seitens Russlands sein, dass aufgrund der Eskalation dort ein Eingreifen von russischer Seite notwendig sei, sagte der Bundeskanzler.

Nehammer verwies in einer Stellungnahme am Abend darauf, dass es nun auch nachrichtendienstliche Berichte gebe, wonach an den ukrainischen Grenzen mittlerweile Blutkonserven „in großen Mengen“ eingelagert werden. „Das wird dazu gemacht, dass wenn eine Invasion stattfindet und es viele Verwundete gibt, ausreichend Blutkonserven vorhanden sind“, erklärte der Bundeskanzler. „Die Invasionsgefahr bleibt weiter aufrecht und ist sehr ernst zunehmen.“ Das Heeresnachrichtenamt habe diese Einschätzung ebenso wie andere Geheimdienste bestätigt.