Vladimir Putin
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Nach Anerkennung

Putin entsendet Truppen in Ostukraine

Die Lage in der Ukraine-Krise wird kritischer. Erst verkündete der russische Präsident Wladimir Putin am Montagabend die Anerkennung der Separatistengebiete Donezk und Luhansk, nur wenig später ordnete er die Entsendung von Truppen in die Ostukraine an. Die Einheiten sollen in den beiden „Volksrepubliken für Frieden sorgen", wie aus einem Dekret hervorgeht, das der Kreml-Chef in Moskau unterzeichnete. In einer UNO-Dringlichkeitssitzung hagelte es Kritik an Putins vorgehen.

Putin hatte zuvor in einer TV-Ansprache bestätigt, dass er die Unabhängigkeit der prorussischen Separatistengebiete Donezk und Luhansk in der Ostukraine anerkennt. Er halte es für notwendig, diese „längst überfällige Entscheidung zu treffen“, so Putin. Zugleich schloss er mit den Vertretern der beiden prorussischen Separatistenrepubliken einen Vertrag über „Freundschaft und Beistand“. Die Duma soll das Dekret bereits am Dienstag ratifizieren.

Die Abkommen, die eine Laufzeit von zehn Jahren haben, schaffen „die rechtliche Grundlage“ für die Präsenz russischer Einheiten in den Separatistengebieten. Sie sollen es Russland auch ermöglichen, in den Regionen Militärbasen bauen zu können.

Sanktionen angekündigt

Der Schritt sorgte international für scharfe Kritik. EU, USA und Großbritannien kündigten Sanktionen an. Berlin, Paris und Washington teilten mit, man werde gemeinsam auf Putins Vorgehen reagieren. Es handle sich um einen klaren Bruch des Minsker Friedensabkommens für die Ostukraine, der Schritt werde nicht unbeantwortet bleiben. Sie erklärten sich solidarisch mit der Ukraine und lobten die bisher zurückhaltende Reaktion der ukrainischen Regierung.

Donezk und Luhansk offiziell anerkannt

Der russische Präsident Wladimir Putin hat seine Drohung wahr gemacht. Er anerkannte die beiden selbst erklärten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk in der Ostukraine offiziell. Damit ist die Hoffnung, das Friedensabkommen von Minsk wiederzubeleben, dahin. Die Gefahr einer Annexion der Ostukraine und die Kriegsgefahr steigen.

Noch am Montagabend (Ortszeit) wurde in New York eine Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats einberufen. Die US-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield nannte Putins Vorgehen „die Grundlage für den Versuch Russlands, einen Vorwand für eine weitere Invasion der Ukraine zu schaffen“, sagte sie. Putin habe das Minsker Abkommen „in Stücke gerissen“. Die Botschafterin kündigte schwere Konsequenzen für Moskau an.

Russlands UNO-Botschafter Wassili Nebensja tat diese und andere Wortmeldungen – unter anderem von Verbündeten wie Irland, Norwegen oder Albanien – als „emotionale Stellungnahmen“ ab. In seiner Rede nahm er die Ukraine ins Visier. Diese habe „militärische Pläne“ und beschieße und provoziere Luhansk und Donezk. Um einen Krieg zu vermeiden, müsse die Ukraine nun zu einem Ende seiner Provokationen gezwungen werden. „Wir beabsichtigen nicht, ein neues Blutbad im Donbass zuzulassen“, sagte Nebensja.

Chinas Stellungnahme zurückhaltend

Russlands engster Partner im Sicherheitsrat kam derweil nicht zur Hilfe: Nur 1:16 Minuten dauerte das Statement von Pekings Gesandtem Zhang Jun, in dem er sagte, dass alle internationalen Streitigkeiten „mit friedlichen Mitteln im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der UNO-Charta“ gelöst werden müssten.

Der deutschen UNO-Botschafterin Antje Leendertse zufolge offenbarte Russland mit seinem Vorgehen seine wahren Absichten. Wie auch Frankreich, Großbritannien und weitere westliche Länder kündigte sie „entschiedene und angemessene Maßnahmen“ an.

Unter dem Eindruck der amerikanischen Aussage, dass ein Angriff auf die Ukraine ein Angriff auf die territoriale Integrität aller Staaten ist, entschieden sich auch eine Reihe von weiteren Ländern – darunter Kenia, Gabun, Ghana und mit Abstrichen auch Brasilien – zu Kritik an Russland. Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate nahmen neutralere Rollen ein. Der ukrainische UNO-Botschafter Serhij Kyslyzja gab sich kämpferisch: „Wir werden standfest sein. Wir befinden uns auf unserem Grund und Boden. Wir haben vor nichts und niemandem Angst. Wir schulden niemandem etwas und wir geben niemandem etwas“.

Putin attackiert Ukraine in Rede

Zuvor hatte Putin in der rund einstündigen Rede einen Rundumschlag gegen die Ukraine absolviert. Den Osten des Landes bezeichnete er als historisch russisches Gebiet. Die Ukraine sei ein integraler Bestandteil der eigenen Geschichte, erklärte Putin. Er sprach der Ukraine ab, eine eigene Staatstradition zu haben. Dem Land sei es nie gelungen, einen stabilen Staat zu schaffen, so der Präsident. Deshalb habe sich die Ukraine auf andere Länder wie die USA verlassen müssen.

Die ukrainischen Behörden seien von Nationalismus und Korruption verunreinigt, das Land befinde sich in den Händen von oligarchischen Clans. Die Ukraine habe in der Vergangenheit russisches Gas gestohlen und das Thema Energie genutzt, um Russland zu erpressen. Radikale und Nationalisten hätten das Sagen – unter den Kuratoren des Westens, die das Land in die Sackgasse geführt hätten. Korruption und Machtkämpfe von Oligarchen würden verhindern, dass es den Menschen in der Ex-Sowjetrepublik besser gehe. Westliche Geheimdienste hätten der Ukraine bei Verbrechen geholfen.

Angriffe auch gegen NATO

Der NATO lastete er erneut an, sich Russland bedrohlich anzunähern. NATO-Infrastruktur befinde sich an der russischen Grenze, die Ukraine wäre der hauptsächliche Ausgangsort für einen Angriff auf Russland. Die Ukraine bezeichnete er als eine US-Kolonie mit einer „Marionettenregierung“. Die USA und die NATO hätten die Ukraine unverhohlen zu einem Kriegsschauplatz gemacht, dort stationierte US-Drohnen in der Ukraine würden ständig Russland ausspionieren. Die NATO habe russische Sicherheitsbedenken komplett ignoriert, dabei unterstütze die Regierung in Moskau immer diplomatische Wege zur Lösung von Problemen.

Grafik zur Stationierung russischer Truppen
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: NY Times

Putin warf der Ukraine zudem vor, eigene Atomwaffen bauen zu wollen. Das komme Vorbereitungen für einen Angriff auf Russland gleich, sagte Putin. Die Ukraine habe Atom-Know-how aus der Sowjetzeit. Wenn die Ukraine in den Besitz von Massenvernichtungswaffen komme, werde sich die globale Lage drastisch ändern. Das könne nicht ignoriert werden. Er wiederholte auch den Vorwurf von „Massenverbrechen“ am russischstämmigen Volk in der Ostukraine.

Separatistenführer riefen zu Anerkennung auf

Zuvor hatten die Separatistenführer der selbst ernannten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk Putin dazu aufgerufen, ihre Unabhängigkeit anzuerkennen. Putin berief anschließend einen nationalen Sicherheitsrat ein, in dem sich alle Beteiligten – darunter Außenminister Sergej Lawrow und Verteidigungsminister Sergej Schoigu – für die Anerkennung der Regionen aussprachen.

Vladimir Putin
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Putin beim nationalen Sicherheitsrat

Putin hatte im Rahmen des Treffens gesagt, er sehe keine Chancen mehr für eine Umsetzung der Minsker Abkommen. In den von Deutschland und Frankreich 2014 und 2015 vermittelten und gemeinsam mit der Ukraine und Russland vereinbarten Abkommen hatten sich die Konfliktparteien in der Ostukraine zu mehreren Schritten verpflichtet, um eine Friedenslösung in dem Konflikt zu erreichen.

„Eklatante Verletzung internationalen Rechts“

Die EU und die USA kündigten unmittelbar Sanktionen an. „Die Anerkennung der zwei Separatistengebiete in der Ukraine ist eine eklatante Verletzung internationalen Rechts, der territorialen Integrität der Ukraine und der Minsker Vereinbarungen“, erklärten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel. „Die Union wird mit Sanktionen gegen diejenigen reagieren, die an diesem rechtswidrigen Vorgehen beteiligt sind.“ Laut dem niederländischen Premier Mark Rutte hätten sich die EU-Staatschefs auf ein Sanktionspaket geeinigt, auf Details wolle man sich am Dienstag einigen.

Scharfe Kritik an Russland

Unter anderem die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und der britische Premierminister Boris Johnson zeigen sich in ersten Reaktionen auf Putins Anerkennung der Separatistengebiete Donezk und Luhansk als „unabhängige Volksrepubliken" bestürzt und sehr besorgt.

Aus dem Weißen Haus hieß es, die Maßnahmen träfen unter anderem Investitionen oder Handel von US-Personen mit Blick auf Donezk und Luhansk. Biden kündigte eine „rasche und entschlossene“ Reaktion an, Details soll es am Dienstag geben. Der britische Premierminister Boris Johnson prangerte den Schritt Putins als „offenen Bruch internationalen Rechts“ an. Großbritannien bereitet laut der Regierung ebenfalls Sanktionen vor. Auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock kritisierte einen „eklatanten Bruch des Völkerrechts“ und rief Russland zu einer Rücknahme auf. Putin habe das Normandie-Format willentlich zunichtegemacht.

Krisendiplomatie läuft

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz soll in Kürze mit Biden und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron telefonieren. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg verurteilt das russische Vorgehen. Die Regierung in Moskau verschärfe den Konflikt mit der Ukraine weiter. Russland versuche, einen Vorwand zu inszenieren, um erneut in die Ukraine einzudringen. Auch der UNO-Generalsekretär Antonio Guterres sah einen Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen und die Souveränität der Ukraine. Er brach eine geplante Reise in die DR Kongo ab.

Russische Panzer an der Grenze zur Ukraine
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Russische Truppen bei einem Militärmanöver in Belarus

„Es ist leider eingetreten, was wir seit Tagen befürchtet und wovor wir gewarnt haben“, teilte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) mit. Aufgrund der dramatischen Lage berief Nehammer für Dienstag erneut das Krisenkabinett der Bundesregierung zum Ukraine-Konflikt ein. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) nannte das Vorgehen „eine eklatante Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine“. Auch die Grünen verurteilten das Vorgehen Putins. Von einem „Schlag ins Gesicht der Diplomatie“ sprach die außenpolitische Sprecherin Ewa Ernst-Dziedzic.

Der Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, schließt nicht aus, dass Russland im Zuge der Ukraine-Krise Energie als Waffe einsetzen und Lieferungen nach Europa verringern oder einstellen könnte. „Angesichts der gegenwärtig sehr angespannten Situation und einer möglichen Eskalation kann ich das natürlich nicht ausschließen. Das kann passieren“, sagt der EU-Handelskommissar dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Noch halte sich Russland an die Verpflichtungen.

Staaten alarmiert

Die Ukraine hatte noch vor Putins Rede eine Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats gefordert und berief einen nationalen Sicherheitsrat ein. Es seien „dringende Maßnahmen zur Deeskalation und konkrete Schritte“ erforderlich, um die Sicherheit der Ukraine zu gewährleisten, so Außenminister Dmytro Kuleba. Auch bei einer Sondersitzung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) rief ein Vertreter der Ukraine zur Deeskalation auf.