Der deutsche Kanzler Olaf Scholz
APA/AFP/John Macdougall
Ukraine-Krise

Berlin stoppt „Nord Stream 2“

Die USA und Großbritannien haben als Reaktion auf die russische Anerkennung der Separatistengebiete in der Ostukraine erste Sanktionen verhängt, die EU folgte am Abend.. Deutschland hat aber bereits mittags die Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline „Nord Stream 2“ gestoppt.

Das kündigte der deutsche Kanzler Olaf Scholz am Dienstag in Berlin an. Er habe das Wirtschaftsministerium angewiesen, eine Neubewertung der Pipeline vorzunehmen, durch die russisches Gas direkt nach Deutschland geleitet werden soll. Derzeit werde es keine Zertifizierung für den Betrieb der Pipeline geben.

„Das geht jetzt einen neuen Gang“, sagte Scholz. „Das wird sich sicher hinziehen.“ Klar sei, die Situation müsse jetzt neu bewertet werden. „Die Lage ist heute eine grundlegend andere.“ Deshalb müssten „all die Fragen, die uns bewegen, mit einfließen“. Scholz gab das vorläufige Aus des Projekts nach einem Treffen mit Irlands Ministerpräsidenten Micheal Martin bekannt.

Lob aus Kiew

Der ukrainische Außenminister Dmitro Kuleba lobte die Entscheidung von Scholz. „Das ist moralisch, politisch und praktisch der richtige Schritt unter den gegenwärtigen Umständen“, schreibt Kuleba auf Twitter. „Wahre Führung bedeutet harte Entscheidungen in schwierigen Zeiten. Deutschlands Schritt beweist genau das.“

Politikwissenschaftler mit Analyse

Gerhard Mangott, Politikwissenschaftler an der Universität Innsbruck, mit einer Analyse der aktuellen Situation im Ukraine-Konflikt.

Moskau zeigt sich unbeeindruckt

Die russische Regierung zeigte sich unbeeindruckt von der Entscheidung aus Berlin. Sie habe keine Angst und glaube nicht an Tränen, sagte Vizeaußenminister Andrej Rudenko der Nachrichtenagentur TASS zufolge. Auf die Frage eines Journalisten, ob die zugespitzte Lage möglicherweise geplant gewesen sein könnte, um die Inbetriebnahme der Gasleitung durch die Ostsee von Russland nach Deutschland zu verhindern, sagte er: „Es ist schwer zu sagen, ob es einen Zusammenhang gibt oder nicht. Ich will nicht spekulieren.“ Die USA und die Ukraine wollten die Pipeline verhindern.

Grafik zur Gaspipeline Nord Stream
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/dpa

Scholz habe das Wirtschaftsministerium gebeten, den bestehenden Bericht zur Analyse der Versorgungssicherheit bei der Bundesnetzagentur zurückzuziehen, sagte Scholz. „Das klingt zwar technisch, ist aber der nötige verwaltungsrechtliche Schritt, damit jetzt keine Zertifizierung der Pipeline erfolgen kann.“ Ohne diese Zertifizierung könne „Nord Stream 2“ nicht in Betrieb gehen, betonte Scholz.

„Weitere Eskalation verhindern“

Die zuständige Abteilung des Wirtschaftsministeriums werde eine neue Bewertung der Versorgungssicherheit unter Berücksichtigung dessen vornehmen, „was sich in den vergangenen Tagen verändert hat“, sagte der Bundeskanzler. „In dieser Phase ist es jetzt wichtig, neben ersten Sanktionen eine weitere Eskalation und damit eine weitere Katastrophe zu verhindern. Darauf zielen alle unsere diplomatischen Anstrengungen.“

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte am Montag die selbst ernannten „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk als unabhängige Staaten anerkannt und die Entsendung von Truppen in den umkämpften Osten der Ukraine angeordnet. Die EU und die USA haben Sanktionen angekündigt.

Grafik zu russischen separatistischen Gebieten
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Washington Post

Fertig, aber nicht in Betrieb

Der 1.230 Kilometer lange Doppelstrang von Russland durch die Ostsee nach Deutschland ist zwar fertiggestellt, es fließt bisher aber noch kein Erdgas durch die Pipeline. Das Zertifizierungsverfahren lag zuletzt bereits auf Eis. Die Bundesnetzagentur hatte das Verfahren im November ausgesetzt und verlangt, dass die Betreibergesellschaft nach deutschem Recht organisiert ist. Die Nord Stream 2 AG will der Auflage mit der Gründung einer deutschen Tochtergesellschaft nachkommen.

US-Präsident Joe Biden hatte bei einem Treffen mit Scholz jüngst deutlich gemacht, dass ein russischer Einmarsch in die Ukraine das Aus für die bereits fertiggestellte Leitung bedeuten würde.

Die in der Schweiz ansässige Projektgesellschaft der „Nord Stream 2“ gehört dem russischen Staatskonzern Gasprom. An der Finanzierung der Röhre beteiligen sich auch der deutsche Versorger Uniper sowie das heimische Energieunternehmen OMV. Die Gesamtkosten waren auf 9,5 Milliarden Euro beziffert worden.