Gleich 21-mal „nichts dagegen“ (etwa „Seelenwanderung nichts dagegen“), diesmal aber nur sechsmal „Hilfsausdruck“ und achtmal „dings“ – so lautet die neue Bilanz. Der „Brenner“ hat seit jeher ein ganz spezielles Vokabular und einen hochraffinierten, pseudonatürlichen Sound, auf den sich irgendwie alle einigen können – eine riesige Leserfangemeinde genauso wie die Kritik. Und so wird es einem gleich einmal warm ums Herz, wenn nach so langer Wartezeit die Schublade mit den Vokabeln und verschluckten Satzgliedern wieder weit geöffnet und um hübsche Wortkreationen wie „Mistbuddhismus“ ergänzt ist. Wobei Haas und sein geschwätziger Erzähler anfangs recht tief ins Brenner-Klischeefass greifen.
Gestartet ist die Serie 1996, als Haas mit „Die Auferstehung der Toten“ seinen Ex-Polizisten Simon Brenner zum ersten Mal ermitteln ließ. Nach Band sechs sollte eigentlich Schluss sein. Doch dann hat Haas zum Glück – nach seinem Bestellerroman „Das Wetter vor 15 Jahren“ 2006 – die Figur wieder gereizt. Und wieder. Und wieder. Womit nun mit „Müll“ Band neun des old-style-charmanten, bisweilen chauvinistischen, aber immer liebenswert sich durchwurschtelnden Ermittlers erschienen ist.
Leiche bringt Mistplatzordnung durcheinander
Eine „furchtbare Geschichte, da kannst du als Kind einen lebenslangen Schock davontragen, frage nicht. Aber dir kann ich es ja schnell erzählen“, heißt es da ganz am Beginn – wobei von schnell natürlich keine Rede sein kann. Handlungsort ist diesmal der Mistplatz, wo der Brenner – nach Stationen als Privatdetektiv, Rettungsfahrer und Chauffeur – nun als Müllmann arbeitet, ein, wenn man so will, prototypisch randständiges Brenner-Setting.

Der Brenner liebt jedenfalls seinen neuen Arbeitsplatz – und das tun offenkundig auch Haas und sein legendär geschwätziger Erzähler, der das MA48-Biotop auf den ersten 70 Seiten entsprechend ausweidet: Auf dem Mistplatz schalten und walten urige Wiener Gestalten mit „einem gewissen Miststolz“, das dortige Ordnungssystem inspiriert zu alltagsphilophischen Abhandlungen: „Beim Müll geht es immer um das Trennen. Darum sag ich, Müll beste Schule für das Denken. Weil ohne klare Trennung kannst du jedes Recycling vergessen. Und da bin ich noch nicht einmal bei den Problemstoffen“, heißt es da etwa.

Für Turbulenzen in der strengen Mistplatzordnung sorgt eine nicht ordnungsgemäß einsortierte, zerstückelte Leiche, die Brenner und seine Kollegen quer über die Wannen verteilt finden. Was den Ex-Polizisten natürlich in den Fall hineinschlittern lässt, ausgerechnet unterstützt von seinem früheren Kollegen Kopf, über den ein abgedroschener Schmäh lautet, dass der Kopf „aus dem Bauch heraus ermittelt“. Wobei es der Brenner ist, der intuitiv auf der richtigen Spur ist. Das menschliche „Puzzle“ ist nämlich nicht ganz vollständig, das Herz fehlt – und das ist kein Zufall. Die Spur weist in Richtung Organhandel.
Filmreife Verfolgungsjagden
Erst als dieses Fass aufgemacht ist, nimmt das Buch so richtig Fahrt auf – mit teils überraschenden, mehrfachen Schlenkern. Da ist zum einen der Handlungsstrang um den Brenner selbst, der – wie schon in „Das ewige Leben“ (2003) – erneut obdachlos ist, sich aber als zeitgenössischer Bettgeher in den Luxusapartments urlaubender Wohlbetuchter hübsch einrichtet – unerlaubt und natürlich nicht ohne Komplikationen.
Die Krimihandlung selbst führt schließlich über die deutsche Grenze, und dabei geht es auch um juristische Spitzfindigkeiten im Transplantationsgesetz. Es soll natürlich nicht zu viel verraten werden, nur so viel: Mit Verfolgungsjagden mit einem voll beladenen, vor sich hin surrenden Glaswagen und einem defekten, dauerwasserspritzenden Einsatzfahrzeug hat Haas Szenen geschrieben, die eine Verfilmung quasi verlangen und schon als Kopfkino richtig lustig sind. Vor dem inneren Auge sieht man bereits Josef Hader – der den Brenner schon viermal gemimt hat – in der orangefarbenen Kluft vor sich hin stiefeln, und etwa auch über einen Tesla mit Batterieausfall schimpfen.
Neuer Brenner-Roman von Wolf Haas
Wolf Haas hat sich mit seinen Büchern in den Kreis der erfolgreichsten österreichischen Schriftsteller geschrieben. Gesellschaftskritik kombiniert er mit feinem Sprachwitz. Nach acht Jahren Pause schickt Wolf Haas seinen Ermittler wieder in ein neues turbulentes Abenteuer.
Bisweilen schablonenhaft
Der rasante Plot und die eingestreuten lustig-cleveren Beobachtungen entschädigen schließlich auch dafür, dass es bisweilen doch etwas schablonenhaft zugeht: Auf dem Mistplatz werkt etwa ein schmächtiger Porridge-essender Praktikant, der zum Erstaunen der Restbelegschaft auch die schöne Mistplatzdauerbesucherin Iris um den Finger winkelt – zwei Figuren, die in dem Fall eine größere Rolle spielen und die erst nach und nach etwas mehr Farbe bekommen.
Wie vom Reißbrett wirkt zunächst auch der Transportunternehmensfahrer namens Herr Ngyuen, der ohne sein Wissen die Leiche auf den Mistplatz chauffiert hatte und als zuvorkommend-höflicher Asiate ein etwas umständliches Deutsch spricht, was zum einen oder anderen Schmäh verleitet. Dass sich der Brenner seit jeher um Korrektheit wenig schert: eh. Und dennoch: Ein wenig Staub angesetzt hat das dann doch.
Mistplatz als „schöne Metapher“
Das neue Haas-Buch war ursprünglich übrigens gar nicht als Brenner gedacht, sondern als Geschichte über einen Mistplatz: „Das ist eine schöne Metapher für das gesellschaftlich Verdrängte, die Dinge, die man wegschmeißt und von denen man nichts mehr wissen will“, so Haas im „kultur.montag“-Interview: „So funktioniert unsere innere Welt, wir verdrängen andauernd Dinge, die wir nicht mehr sehen wollen und die sich doch zurückmelden.“ Wie eben die besagte Leiche.