Schauspieler Jason Roabards im Anti-Kriegsfilm The Day After
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Die 1980er

Populärkultur in dauernder Atomangst

Eigentlich hat man gedacht, man hätte 1990 mit „Wind of Change“ das Schlimmste überstanden. Doch die Gegenwart zwingt auch zur popkulturellen Erinnerung an die Zeit des Kalten Krieges. Rund um die Wiederaufrüstung zwischen Ost und West lauerte die nukleare Katastrophe in beinahe jedem Popsong ab den 1980ern. Der Film „The Day After“ lud 1983 die Nukleardystopien in der Populärkultur noch auf. Bevor die Ukraine angegriffen wurde, hatten viele Frankie Goes to Hollywoods „Two Tribes“ wiederentdeckt. Auch hier ging es, sarkastisch zwar, um ein Endspiel zwischen Russland und den USA.

Wer sich an die 1980er erinnern könne, habe sie nicht erlebt, heißt ja ein gern abgegriffener Slogan. Tatsächlich aber können sich noch viele an die 80er erinnern und breiten diese Erinnerung dieser Tage gern auf sozialen Plattformen aus. Wer sich in den 80ern nicht politisch engagierte, könnte man auch sagen, war eigentlich nicht dabei in der Oberliga der ganz großen Stars. Seit „Life Aid“ stand die Popkultur im Zeichen des politischen Engagements. Man rief zum Ende der Apartheid auf, zur Bewältigung des Hungers, zu Frieden allemal.

Michael Jackson vor dem Reichstag in Berlin
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Michael Jackson 1988 in Westberlin vor dem Reichstag. Tief in die DDR hineinschallen war das Motto.

Berlin 1988: Welcher Teil hat die besseren Stars?

Und tatsächlich schien sich ja 1989 das bewahrheitet zu haben, was US-Präsident Ronald Reagan einst in Berlin auf die Formel brachte: „Mr. Gorbachev, tear down this wall.“ Zwar war Reagan Hass- und Spottfigur vieler Songs, doch die Maxime, den Kommunismus zu überwinden, wurde popkulturell bis tief in die geteilte Stadt Berlin getragen. Vor dem Berliner Reichstag traten im Frühsommer 1988 Pink Floyd und Michael Jackson vor je hunderttausend Zusehern auf und schallten so tief in den Osten, dass sich die Freie Deutsche Jugend der DDR entscheiden durfte, im Treptower Park ebenfalls Konzerte mit Weststars abzuhalten. Gastspiele von Barclay James Harvest und Bruce Springsteen sowie das eines schlecht gelaunten Bob Dylan in Berlin Ost waren die Folge.

Bruce Springsteen in Weißensee 1988
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160.000 Zuseher kamen zu Bruce Springsteen im Ostberliner Weißensee

Kalter Krieg als Dauerframing

Bis die Popkultur in die Haltung einbog, die sehr an die „Literature engagee“ eines Jean-Paul Sartre erinnerte, verging freilich in den 80ern auch Zeit. Die Popbewegungen wie Wave waren noch nicht sehr weltverbesserlich gestimmt. Doch alle griffen den Geist der Zeit auf. Und der stand im Zeichen eines nuklearen Wettrüstens. Der Kalte Krieg, er war quasi das Framing jedes Popsongs, bereits in den frühen 80er Jahren, ja natürlich der breiten Kultur. Ohnedies griffen James-Bond-Filme tief in das Sentiment antirussischer bzw. antisowjetischer Klischees.

Dass die Stimmungsspannungen zwischen West und Ost in den 80er Jahren so groß wurden und letztlich ja auch in der Bildung neuer Politströmungen mündeten, man denke an die Verbindung von Friedens- und Umweltbewegungen, lag an Vorgängen im Schatten von Vietnam und Watergate-Affäre. Während die USA sehr stark mit sich selbst beschäftigt war, setzte die Sowjetunion 1974 auf eine neue weltpolitische Offensive. „Offenbar war man in Moskau zur Einschätzung gelangt, die Schwächung der westlichen Führungsmacht biete in Verbindung mit der gewachsenen Stärke der UdSSR neue Möglichkeiten für den sowjetischen Einflussbereich in der Welt“, erinnert etwa der deutsche Historiker Manfred Görtemaker. Die Revolution in Portugal 1974 etwa nutzte man, um eine kommunistische Partei in einem NATO-Land zu fördern.

Joseph Beuys in der Menschenmenge im Bonner Hofgarten 1982
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Protest gegen die Pershing-Stationierung in Europa im Bonner Hofgarten 1982. In der Mitte der Menschen: Joseph Beuys als Missionar der guten Haltung.

Die Ostannäherung der Ära Willy Brandt war Geschichte, in den USA siegte der krasse Außenseiter Jimmy Carter mit einer auf Menschenrechten forcierten Kampagne gegen den Konservativen Gerald Ford, worauf die sowjetische Seite mit Verhärtung reagierte. Die Versuche einer Ost-West-Annäherung unter Helmut Schmidt und Valery Giscard d’Estaing blieben Makulatur. Die USA schwankten bei fast allen Rüstungs- wie Abrüstungsfragen. Und schließlich verschob der sowjetische Einmarsch in Afghanistan jede Chance für eine Rüstungsbegrenzung bei Mittelstreckenwaffen. Spätestens mit dem Antritt der Regierung Reagan und dem NATO-Doppelbeschluss war die Gefahr eines nuklearen Kriegs in den 80er Jahren in allen Köpfen. 1983 erschien der Film „The Day After“, der die Folgen eines Nuklearschlages einer breiten Öffentlichkeit vor Augen führte.

Beuys und die Pershings

In Deutschland wurde die Populärkultur im Schatten der Demonstrationen gegen die Pershing-Stationierung politischer. „Sonne statt Reagan“ sang Joseph Beuys 1982 bei der Friedensdemo im Bonner Hofgarten gemeinsam mit Udo Lindenberg. Und dieser legte ja im Jahr darauf mit seinem „Sonderzug nach Pankow“ einen Flachs auf die Ost-Westspannung nach. Für Samstagabend-Shows wie „Wetten, dass..?“, die am Höhepunkt des Kalten Krieges starteten, war ohnedies die Einstrahlung in den Osten eines der entscheidendsten Kriterien.

Szene aus dem Film „The Day After“: Vorstellung einer Welt nach dem Atomkrieg
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Szene aus dem Film „The Day After“: Vorstellung einer Welt nach dem Atomkrieg

Wenn Pop, wie Peter Wicke schreibt, „ein herausragendes Medium der Alltagsreflexion“ sei, dann ist mit dem Beginn das 80er Jahre festzustellen, dass sich die atomare Bedrohung so ziemlich durch die Arbeiten aller Künstler durchzieht, nicht nur jener, die sie, man denke an „99 Luftballons“, direkt zum Thema machten. Prince etwa, dem man wohl kaum zuschreiben würde, Musik mit einer primär politischen Ausrichtung zu machen, reflektierte in seinem Album „1999“ die Conditio von Tanzmusik Anfang der 80er Jahre: „Everybody’s got a bomb, we could all die any day/but before I let that happen, I’ll dance my life away.“

„Two Tribes“: Die Überwindung des Betroffenheitstopos

Im Orwell-Jahr 1984 sollte ein Song erscheinen, der in den Tagen vor dem russischen Angriff auf die Ukraine neue Konjunktur in sozialen Netzen bekommen sollte. Die vom Produzenten Trevor Horn auf Skandal gebürstete Liverpooler Band Frankie Goes to Hollywood legte nach dem Ersterfolg ihrer Single „Relax“ eine zweite Nummer nach, die wie der erste Hit mit einem provokanten Video unterlegt ist. Die Frontmänner Holly Johnson und Paul Rutherford befinden sich im Clip der Produzenten Godly & Cream als Reporter am Rande eines Ringkampfes, der von Ronald Reagan und Konstantin Tschernenko bestritten wird. Ein weltverbesserlicher Ansatz wird bei Frankie Goes to Hollywood wie schon in ihrer Thematisierung der eigenen Homosexualität bewusst unterlaufen. So ist die Welt, love it or leave it, so der Ansatz, der das Kräftemessen der Supermächte als einen derben Ringkampf liest, in dem sich das auf das Ergebnis wettende Publikum mitverstrickt.

Die Verbindung von Hedonismus und Provokation weist jedenfalls deutlicher in die Gegenwart als vieles, was im Umkreis dieses Songs an Antikriegspop komponiert wurde. Auch den Bruce-Springsteen-Klassiker „War“ brachte die britische Band in einer Spielart auf den Markt, der aggressive Baselines mit einem orwellschen Kriegsreporting verband. Viele Foren hatten freilich Probleme, den russischen Politiker, der von Reagan unter die Gürtellinie geschlagen wird und ebenso zurück austeilt, zu erkennen. Tschernenko folgte als KPdSU-Generalsekretär auf den nach Leonid Breschenjews Tod amtierenden Juri Andropow. Wie Andropow war aber auch Tschernenko kein langes Leben an der Spitze beschert.

Den Skorpions-Song „Wind of Change“ durfte schon Michail Gorbatschow mitanhören, nachdem dieser ja entscheidend für die Wende 1989 und die Endabwicklung der Sowjetunion wurde. Man darf sicher sein, dass Wladimir Putin den Skorpions-Klassiker mit dem beinahe schon kindlichen Optimismus auf eine bessere Welt nicht in seiner Plattensammlung aufgenommen hat.

10 Songs zum Kalten Krieg

  • Kate Bush, „Breathing“, 1980
  • XTC, „Generals and Majors“, 1980
  • OMD, „Enola Gay“, 1980
  • REM, „Radio Free Europe“, 1981
  • Pink Floyd, „Two Suns in the Sunset“, 1983
  • Nik Kershaw, „I Won’t Let The Sun Go Down on Me“, 1984
  • Frankie Goes to Hollywood (Bruce Springsteen), „War“, 1984
  • The Sisters of Mercy, „Dominion“, 1985
  • Banana Rama, „Ready or Not“, 1987
  • Billy Joel, „Leningrad“, 1989