Das europäische Parlament
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„Vorsätzlich Krieg begonnen“

Eisige Reaktionen auf Russlands Angriff

Die Ukraine-Krise ist am Donnerstag aufgrund der Invasion Russlands zum Hauptthema auf dem internationalen Tapet geworden. Nicht nur politisch fallen die Reaktionen harsch aus, sondern auch wirtschaftlich. Im Westen ist man sich einig: Der russische Präsident Wladimir Putin hat auch im Sinne der Diplomatie sämtliche Grenzen überschritten. Konsequenzen gibt es bereits, doch werden sie noch härter ausfallen.

Die neuen geplanten EU-Sanktionen gegen Russland etwa werden nach Angaben von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vom Donnerstag den Zugang russischer Banken zu den EU-Finanzmärkten stoppen. Zudem sollen russische Vermögenswerte in der EU eingefroren werden, und wichtigen Sektoren der russischen Wirtschaft soll der Zugang zu Schlüsseltechnologien und Märkten verwehrt werden. Laut Insiderinnen und Insidern wird die EU noch auf einen Ausschluss Moskaus vom SWIFT-Zahlungssystem verzichten.

Angestrebt wird laut EU-Kreisen ein größtmögliches Paket an Sanktionen. Die Schnürung eines umfangreichen Pakets habe bereits am Freitag Priorität, sagte ein EU-Diplomat, wie verschiedene Medien berichten. Ziele seien Industrie, Exportkontrollen, Finanzen und die Energiebranche. Getroffen werden sollten die Führung in Moskau und Oligarchen, die Putin nahestehen. Offenbar laufen auch Vorbereitungen für Sanktionen gegen Russland-Unterstützer Belarus.

EU kündigt umgehend neue Sanktionen an

Die EU wird nach Angaben von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratschef Charles Michel umgehend ein neues Sanktionspaket gegen Russland beschließen. Dieses werde „massive und schwerwiegende Folgen“ für das Land haben.

Biden berät mit Nationalem Sicherheitsrat

Neben der EU verurteilten Hunderte westliche Politikerinnen und Politiker sowie Wirtschaftsvertreterinnen und -vertreter das Vorgehen Russlands öffentlich scharf. Russland hat nach den Worten von US-Präsident Joe Biden „vorsätzlich“ einen „Krieg“ gegen die Ukraine begonnen. Er beraumte ein Treffen des Nationalen Sicherheitsrats an. Aus dem Weißen Haus hieß es am Donnerstag, Biden habe sich mit dem Team im „Situation Room“, dem streng gesicherten Lagezentrum der US-Regierungszentrale in Washington, versammelt.

Vertreter der 30 NATO-Staaten beriefen einen Sondergipfel ein. Militärische NATO-Unterstützung für die Ukraine gilt weiter als ausgeschlossen, weil dadurch ein noch größerer Krieg zwischen der NATO und Russland ausgelöst werden könnte. Die G-7-Staats- und -Regierungschefs kamen unterdessen zu einem Videocall zusammen, der russische Angriff wurde als ernste Bedrohung der internationalen Ordnung bezeichnet.

Nehammer telefonierte mit Selenski

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) reagierte auf Putins Angriff schon in der Früh. „In den letzten Stunden hat die Russische Föderation erneut eine eklatante Verletzung des Völkerrechts begangen, die wir zutiefst ablehnen und klar verurteilen“, hieß es in einer Mitteilung. „Österreichs uneingeschränkte Solidarität gilt der Ukraine. In diesen schweren Stunden sind unsere Gedanken bei der Bevölkerung der Ukraine.“

Nehammer telefonierte mit Präsident Selenski

Die Situation in der Ukraine sei „höchst dramatisch“, berichtet Kanzler Nehammer nach einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski. Er sichert der Ukraine Solidarität und humanitäre Hilfe zu. Selenski habe ihm mitgeteilt, dass er nicht wisse, wie lange es sein Land noch gebe und wie lange er noch leben werde. Seinen Aussagen zufolge wird auch zivile Infrastruktur angegriffen. Österreich könne da „auch als neutrales Land“ nicht wegschauen.

Die Situation in der Ukraine ist „höchst dramatisch“, berichtete der Bundeskanzler anschließend im Parlament von einem kurz zuvor geführten Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski. Dieser habe ersucht, seinem von Russland angegriffenen Land beizustehen. Österreich verurteile auch als neutrales Land Russlands Vorgehen scharf und trage die angekündigten scharfen EU-Sanktionen mit. Auch „humanitäre Hilfe ist jetzt mehr als geboten“, sagte Nehammer.

Der Kanzler erzählte weiters aus dem Telefonat, dass Selenski um sein Land, die Menschen und auch um sein eigenes Leben fürchte. Selenski wisse nicht, „wie lange er noch lebt“, so Nehammer. Auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) missbilligte die „ungerechtfertigten Angriffe“. „Die Basis des jahrzehntelangen Friedens in Europa war die gegenseitige Anerkennung der Staatsgrenzen“, so Kogler. Mit seinen Angriffen stelle Putin diese Friedensordnung infrage.

Russischer Botschafter ins Außenministerium zitiert

„Unsere schlimmsten Erwartungen sind wahr geworden“, schrieb unterdessen Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) auf Twitter. Bundespräsident Alexander Van der Bellen rief Russland zur Umkehr auf. „Präsident Putin muss den Angriff sofort stoppen und zu Verhandlungen zurückkehren.“ Der russische Botschafter Dmitri Ljubinski wurde in der Folge erneut ins Außenministerium zitiert.

Generalsekretär Launsky-Tieffenthal habe unmissverständlich klargemacht, „dass der russische Einmarschbefehl und die breitflächige Invasion der Ukraine eine im Europa des 21. Jahrhunderts unvorstellbare Eskalation darstellt, welche durch nichts zu rechtfertigen ist und von Österreich aufs Schärfste verurteilt wird“, hieß es aus dem Ministerium.

Scholz: NATO wird alle ihre Mitglieder verteidigen

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verurteilte die russischen Angriffe am Abend erneut, zeigte sich aber selbstbewusst über den Ausgang. „Putin wird nicht gewinnen“, sagte er in einer TV-Ansprache. Die Ukrainerinnen und Ukrainer wollten Freiheit und Demokratie. Scholz macht Putin allein für die Angriffe verantwortlich. „Er und nicht das russische Volk hat sich für diesen Krieg entschieden. Er allein trägt dafür die Verantwortung. Dieser Krieg ist Putins Krieg.“

Zerstörte Radaranlage, Ukraine
AP/Sergei Grits
Viele hatten auf eine diplomatische Lösung der Ukraine-Krise gehofft, doch Putin entschied sich anders

Außerdem warnte Scholz Russland, nach dem Angriff auf die Ukraine weitere Länder ins Visier zu nehmen. Die westlichen Bündnispartner seien sich „einig, dies mit all uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern“, sagte er. „Putin sollte die Entschlossenheit der NATO nicht unterschätzen, alle ihre Mitglieder zu verteidigen“.

Johnson bezeichnet Putin als „Diktator“

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte ein sofortiges Ende des russischen Angriffs. „Die Freiheit der Ukraine ist unsere Freiheit“, so Macron. „Frankreich steht an der Seite der Ukraine.“ Der britische Premier Boris Johnson kündigte Sanktionen gegen mehr als 100 russische Personen und Firmen an, die etwa Rüstungsgüter herstellten. Die russische Fluggesellschaft Aeroflot dürfe nicht mehr in Großbritannien landen. Putin bezeichnet Johnson in seiner Rede an die Nation als „Diktator“.

Der belgische Ministerpräsident Alexander De Croo sprach von „Europas dunkelster Stunde seit dem Zweiten Weltkrieg“. Die russische Aggression sei unnötig und unprovoziert. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki forderte eine rasche und entschlossene Antwort auf den russischen Angriff auf die Ukraine. „Wir müssen sofort auf die verbrecherische Aggression Russlands gegen die Ukraine reagieren“, schrieb er auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. „Europa und die freie Welt müssen Putin stoppen.“

Nicht westliche Staaten schließen sich Sanktionen an

Doch auch außerwestliche Staaten solidarisierten sich mit der Ukraine – etwa Japan. Der ostasiatische Staat stellte sich klar auf die Seite des Westens. „Der russische Angriff erschüttert das Fundament der internationalen Ordnung, dass keine einseitige Änderung des Status quo mit Gewalt toleriert werden sollte“, sagte der japanische Ministerpräsident Fumio Kishida. Japan hatte sich zuvor den Sanktionen gegen Russland angeschlossen.

Ähnliche Pläne verfolgt Südkorea, das internationale Bemühungen einschließlich wirtschaftlicher Sanktionen unterstütze, so Präsident Moon Jae In. Diese hätten den Zweck, „eine bewaffnete Aggression abzuwehren und die Situation friedlich zu lösen“. Und auch Israel kritisierte im Ukraine-Konflikt erstmals klar Russland und den Angriff auf das Nachbarland. „Der russische Angriff auf die Ukraine ist eine ernsthafte Verletzung der internationalen Ordnung, Israel verurteilt den Angriff“, schrieb Außenminister Jair Lapid am Donnerstag auf Twitter.

Russlands Nachbarländer höchst besorgt

Besonders besorgt sind weitere, westlich ausgerichtete Nachbarländer Russlands. Der litauische Präsident Gitanas Nauseda verhängte wegen der russischen Aggression den Ausnahmezustand für sein Land. Litauen fordert zudem neue Sanktionen gegen das benachbarte Belarus, weil russische Truppen die Ukraine auch von dort angegriffen haben.

Estlands Staatspräsident Alar Karis äußerte sich bestürzt. „Wieder einmal hat Präsident Putin den Weg des Krieges gewählt. Ich bin zutiefst schockiert und enttäuscht“, erklärte er am Donnerstag in Tallinn. Russlands neuerliche Offensive sei eine „Kriegserklärung an alle demokratischen Nationen und an die bestehende Sicherheitsordnung“.

In Lettland trafen inzwischen die ersten US-Truppen zur Verstärkung der NATO-Ostflanke ein. Ein Kontingent von etwa 40 amerikanischen Soldatinnen und Soldaten kam in der Nacht zum Donnerstag in dem baltischen NATO-Land an, wie das Verteidigungsministerium in Riga mitteilte. Insgesamt sollen mehr als 300 US-Soldatinnen und -Soldaten nach Lettland verlegt werden. Lettland beorderte außerdem seinen Botschafter in Moskau nach Hause. Lettland, so wie viele andere europäische Länder, bereitet sich zudem auf die Aufnahme von Flüchtlingen vor.

„Abscheuliche kriegerische Handlung“

Das Europaparlament kündigte eine Sondersitzung an. Heimische EU-Abgeordnete fanden scharfe Worte. Als „abscheuliche kriegerische Handlung“ bezeichnete der Vizepräsident des Europaparlaments, Othmar Karas (ÖVP), den Schritt Russlands. „Die EU muss und wird jetzt weitere Sanktionen verhängen. Putin wird dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Unsere Solidarität und Gebete sind bei den Menschen in der Ukraine“, schrieb er auf Twitter.

„Es sind schwere Stunden für die Ukraine und die ganze Welt“, sagte der SPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, Andreas Schieder, laut einer Aussendung. Mit Blick auf die EU-Sanktionen gegen Russland erklärte Schieder, die EU müsse weiterhin schnell, konsequent und geschlossen vorgehen. Es brauche aber auch „umfassende humanitäre Hilfe“ für die ukrainische Zivilbevölkerung und ukrainische Flüchtlinge in der EU.

Kern verlässt Aufsichtsrat der russischen Staatsbahn

Thomas Waitz, grüner EU-Abgeordneter, forderte einen sofortigen Stopp der Gas- und Ölimporte, Einfrieren aller russischer Staatsvermögen und aller Konten von Oligarchen in der EU sowie umfangreiche Sanktionen gegen russische Banken. „Österreichische Ex-Politiker, wie Schüssel Kern und Co. sollten spätestens jetzt mit Kriegsbeginn einen Funken Anstand beweisen und ihren Aufsichtsratsposten abgeben“, so Waitz.

Der frühere Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) zog bereits Konsequenzen. Er verlässt den Aufsichtsrat der russischen Staatsbahn RZD. Auch Italiens Ex-Premier Matteo Renzi verlässt ein russisches Unternehmen, in dessen Board er saß. Renzi, der zwischen 2014 und 2016 italienischer Regierungschef war, wird nicht mehr für Delimobil, das größte Carsharing-Unternehmen in Russland mit Sitz in Luxemburg, tätig sein, berichtete die „Financial Times“.

Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) bleibt laut „Standard“-Informationen hingegen auch nach der militärischen Eskalation in der Ukraine im „Board of Directors“ des russischen Ölkonzerns Lukoil. Schüssels Sprecherin hatte der Zeitung gegenüber bereits vor Ausbruch des Krieges mitgeteilt, dass er sein Mandat nicht zurücklegen werde. Das Unternehmen sei an der Londoner Börse notiert und keine Staatsfirma, so die Begründung Glücks. Ex-Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ), die einen Posten im Aufsichtsrat des russischen Ölkonzerns Rosneft bekleidet, wollte sich zu ihrer Funktion nicht äußern.

OSZE-Sondersitzung in Wien

Unterdessen berief die Spitze der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine Sondersitzung in Wien ein. „Dieser Angriff auf die Ukraine gefährdet das Leben von Millionen Menschen“, erklärten OSZE-Generalsekretärin Helga Schmid und der derzeitige OSZE-Vorsitzende, Polens Außenminister Zbigniew Rau. „Es entsteht eine humanitäre Krise“, so Schmid. Viele Menschen würden fliehen, während es für die Verbleibenden keine funktionierende Grundversorgung geben werde, erklärte die deutsche Diplomatin.

US-Präsident Joe Biden
Reuters/Kevin Lamarque
Biden rechnete schon vor Tagen mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine

Sie forderten die sofortige Einstellung aller militärischen Aktivitäten. Die OSZE-Sonderbeobachterinnen und -beobachter in der Ukraine setzen nach den Worten von Schmid ihre Notfallpläne um. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden aufgefordert, nichts über den Ukraine-Krieg in sozialen Netzwerken zu schreiben. Begründet wurde die Aufforderung mit der Sicherheit von Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine.

Verbliebene Unterstützer Russlands

Freilich verbleiben Russland noch einige Unterstützerinnen und Unterstützer. Der Iran etwa machte die NATO für die Eskalation verantwortlich. Grund seien „provokative Maßnahmen“ des westlichen Verteidigungsbündnisses, schrieb Außenminister Hossein Amirabdollahian auf Twitter. Unterstützung Russlands durch die Blume signalisierte die China. Die Volksrepublik rufe „alle Parteien auf, Zurückhaltung zu üben und zu verhindern, dass die Situation außer Kontrolle gerät“, so Außenministeriumssprecherin Hua Chunying in Peking.

Stoltenberg verurteilt „kaltblütige“ Invasion

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat in Brüssel die „kaltblütige“ Invasion Russlands in der Ukraine „auf das Schärfste“ verurteilt. Laut Stoltenberg greift Russland die Ukraine aus verschiedenen Richtungen an – auf dem Boden sowie mit Luft- und Raketenangriffen.

Sie erinnerte zudem an frühere Militäraktionen der USA. „Sie definieren die russische Aktion als Invasion, aber ich frage mich, wenn die USA einseitige Militäraktionen gegen Afghanistan und andere Länder ergriffen haben, welche Worte haben Sie damals verwendet? Waren das Invasionen oder etwas anderes?“

Russland und China hatten Anfang Februar bei einem Treffen ihrer Staatschefs in Peking einen Schulterschluss in der Ukraine-Krise und bei anderen Sicherheitsfragen vollzogen. Putin und der chinesische Präsident Xi Jinping verabschiedeten eine gemeinsame Erklärung, in der sie unter anderem einen Stopp der NATO-Erweiterung forderten. Zuvor äußerten auch schon Armenien, Kasachstan, Kirgistan, Venezuela, Nicaragua und Kuba zumindest ihre moralische Unterstützung für Russland. Im Dienste Russlands sieht sich außerdem Belarus, auf dessen Staatsgebiet sich bereits zu Beginn der Krise russische Truppen befanden.