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Ukraine-Krieg

Macht und Grenzen der Sanktionen

Auf den russischen Einmarsch in die Ukraine reagiert der Westen mit harten Sanktionen. Ziel sind die Schwächung von Russlands Wirtschaft, die finanzielle Austrocknung von Moskaus Machtzirkeln und die Einschränkung von Russlands Zugang zu Finanzmärkten und Schlüsseltechnologien für Rüstung und die Entwicklung der Wirtschaft. Doch wie viel Potenzial haben die Sanktionen und wie sehr treffen sie Moskau?

Russlands Einmarsch in die Ukraine in der Nacht auf Mittwoch hat die Welt erschüttert. Kaum eine Reaktion aus dem Westen kam ohne das Versprechen aus, man werde dem Angriff mit schmerzhaften Strafmaßnahmen entgegentreten. Bereits vor dem Angriff hatten die EU und die USA in einer ersten Welle Strafmaßnahmen gegen russische Einzelpersonen, die Separatistenregionen Luhansk und Donezk sowie mehrere kleinere Banken verhängt.

Am Donnerstagabend legten EU, USA und Großbritannien nach. Mit dem EU-Paket sollen 70 Prozent der russischen Banken vom EU-Finanzmarkt abgeschnitten werden, die USA schließen sogar die Großbanken Sberbank und VTB vom Dollar-Verkehr aus. Zudem soll die Refinanzierung von russischen Staatsunternehmen in der EU verhindert werden. Ihre Aktien sollen nicht mehr in der EU gehandelt werden. Ähnliches ist für den Energiesektor geplant. Zudem will man Russland mit Exportkontrollen u. a. im Bereich Hochtechnologie zusetzen. In der EU sollen zudem die Konten von Präsident Wladimir Putin und Außenminister Sergej Lawrow eingefroren werden.

Grafik zu EU-Sanktionen gegen Russland
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Krim-Sanktionen: Die Frage nach dem Politikwechsel

Das Ende der Fahnenstange ist allerdings noch nicht erreicht, neue Sanktionen werden verhandelt. Die Frage nach deren Maß scheint derzeit entscheidend. Viele Beobachter zogen Verbindungen zur Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland im Jahr 2014. Damals hatte der Westen mit wesentlich milderen Strafmaßnahmen reagiert. Die Sanktionen in Kombination mit niedrigen Ölpreisen verursachten Russlands Führung und der Wirtschaft des Landes schmerzhafte Zeiten, führten langfristig aber – wie jetzt zu sehen ist – zu keinem nachhaltigen Politikwechsel.

Die aktuellen Sanktionen werden der russischen Wirtschaft fraglos zusetzen, vor allem auf lange Sicht. „Die Sanktionen werden Russland dazu zwingen, immer mehr Aktivitäten selbst zu finanzieren und Investitionen in Industrie und Militär einzuschränken“, sagt Jeffrey Schott, Experte für Handel und Sanktionen am Peterson Institute for International Economics, laut Reuters. JPMorgan geht davon aus, dass die Sanktionen das russische BIP-Wachstum in der zweiten Hälfte dieses Jahres um bis zu 3,5 Prozentpunkte schmälern werden. Das wird auf die russische Bevölkerung, die Einkommen und den Lebensstandard durchschlagen.

Russland legte dicken Finanzpolster an

Doch ob der wirtschaftliche Druck auf den offenbar zum Äußersten entschlossene Putin ausreicht, lässt sich angesichts der Eskalation kaum abschätzen. Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass der Angriff von langer Hand geplant war und damit auch die wirtschaftlichen Sanktionen eingepreist sind – zumindest für einen gewissen Zeitraum.

Wie die „New York Times“ bereits Anfang Februar berichtete, habe Russland seit 2014 seine Wirtschaft umstrukturiert, um finanziellen Druck aus dem Westen abfedern zu können. Das Land habe seine Abhängigkeit vom Dollar drastisch reduziert, sich auf Sparkurs begeben und vor allem Devisen angehäuft.

WIFO-Chef Felbermayr zu den Sanktionen

Gabriel Felbermayr, Leiter des WIFO, geht auf die wirtschaftlichen Folgen der Sanktionen gegen Russland ein.

Nach dem Angriff signalisierte Moskau auch, dass seine Kriegskasse gut genug gefüllt sei, um die Stabilität des Finanzsystems trotz Sanktionen und Drohungen zu gewährleisten. Verwiesen wurde auf 639,6 Mrd. US-Dollar (rund 570 Mrd. Euro), das sind die weltweit viertgrößten Fremdwährungsreserven. Die angesichts des Konflikts explodierenden Energiepreise spielen Russland weiter in die Karten. Zugleich hat das vom Energieexport abhängige Land seine Handelsbeziehungen mit dem Westen graduell Richtung China verlagert. Die Volksrepublik ist laut Daten der UNO und der Weltbank seit 2015 der wichtigste Exportpartner Russlands.

China als Ersatz?

Nun wird auch befürchtet, dass China bis zu einem gewissen Grad mit Rohstoffdeals, Krediten und der Versorgung mit Hightech-Produkten in die Bresche springen könnte. „Das Ausmaß der chinesischen Unterstützung für Russland könnte ein einflussreicher Faktor für den Verlauf der Krise sein“, so etwa Tom Rafferty von der Analysefirma Economist Intelligence Unit laut „Financial Times“. China erkennt zwar die Souveränität der Ukraine an, lehnt die Sanktionen aber ab – man habe Strafmaßnahmen noch nie für den besten Weg gehalten.

Zwar ginge das nicht von heute auf morgen, doch das energiehungrige China wäre ein naheliegender Abnehmer von russischem Öl und Gas. „Das Problem mit Sanktionen, vor allem bei Ölländern wie Russland, ist, dass das System Lecks haben wird. China könnte sagen: Wir kaufen Öl auf dem freien Markt, und wenn es russisches Öl ist, dann gut“, so Harry Broadman von der Weltbank laut Reuters. Man hat sich bereits angenähert: Bereits 2019 wurde die Pipeline „Kraft Sibiriens“ zwischen Russland und China eröffnet, seit 2014 gibt es zwischen den Staaten einen Gasliefervertrag für 30 Jahre mit einem Volumen von 400 Mrd. US-Dollar (rund 360 Mrd. Euro).

Sorge über Erdgasstrategie

Die Frage nach Erdöl und -gas ist bekanntlich auch jene, die stets über der Sanktionsdebatte schwebt. Die EU und Russland sind durch den Energiehandel eng aneinandergekettet, die gegenseitige Abhängigkeit ist immens. Einerseits könnte die EU Russland durch eine Drosselung der Öl- und Gasimporte Russland ein großes Loch ins Budget reißen, doch der Preis für die Union wäre enorm. Sie bezieht derzeit fast 40 Prozent ihres Erdgases aus Russland.

Energieministerin Gewessler zur Erdgasversorgung

Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) spricht über den Ukraine-Krieg und mögliche Folgen des Konflikts. Sie thematisiert mögliche Auswirkungen auf die Wirtschaft in Österreich und den Energiehaushalt des Landes.

Derzeit gibt es noch keine Anzeichen dafür, dass die Lieferungen enden sollen, sie zeigen keine Auffälligkeiten. In Österreich wird seitens Energieministerium weiters versichert, dass zumindest für die Haushalte die Versorgung durch den Winter gesichert sei. Doch man rechnet auch mit dem Worst-Case-Szenario, und diese Sorgen wachsen angesichts Russlands Verhaltens stetig. Das Land drohte zuletzt am Donnerstag mit „Vergeltung“ für die westlichen Sanktionen und kündigte „symmetrische und asymmetrische“ Gegenmaßnahmen an.

Auch Ukraine-Exporte im Blick

Fachleute befürchten, dass Russland seinen aggressiven Kurs auch bei Gegensanktionen durchhalten, sprich im schlimmsten Fall den Gashahn zudrehen könnte. Russland sitzt aber auch an anderen Hebeln. Das Land ist ein wichtiger Importeur für diverse Industriemetalle wie Palladium und Platin. Auch Lieferausfälle von Exporten der Ukraine werden der Weltwirtschaft zusetzen. Das Land ist etwa der wichtigste Exporteur von Neon, das bei der Herstellung der ohnehin knappen Halbleiter benötigt wird. Auch die Weizenpreise steigen.

Für die EU wird die ohnehin schwierige Lage aufgrund dieser hohen Abhängigkeit um ein Vielfaches komplizierter. Die steigenden Energiepreise werden die ohnehin hohe Inflation weiter befeuern, der Aufschwung nach der Pandemie wird gebremst und die Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) zu einem noch größeren Balanceakt. Die nächste Sitzung der EZB ist am 10. März, Präsidentin Christine Lagarde warnte bereits vor den Folgen der Krise. Schwierig ist auch, dass die EU-Staaten in unterschiedlichem Ausmaß von Russland abhängig sind.

Noch kein SWIFT-Ausschluss

Zu einem der härtesten Mittel wurde übrigens noch nicht gegriffen – dem Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungsverkehrssystem SWIFT. Das gilt als eine Art „wirtschaftliche Atombombe“ und hätte zur Folge, dass russische Finanzinstitute vom globalen Finanzsystem ausgeschlossen würden, weil SWIFT das international wichtigste System zum Austausch von Informationen zu Transaktionen ist.

Wenn Staaten ausgeschlossen werden, sind Banken nicht mehr in der Lage, mit Geldhäusern in anderen Ländern zu kommunizieren. Aufträge von Unternehmen können dann weder aufgegeben noch angenommen werden, denn sie können nicht bezahlt werden. Doch diese Maßnahme würde beide Seiten schwer treffen, die EU vielleicht noch schwerer. Denn bei einem SWIFT-Ausschluss könnten auch die Gasimporte nicht mehr bezahlt werden. Die Frage ist unter den EU-Staaten heftig umstritten.