Wie brisant ihre Aussagen sind, wusste Beinschab offenbar selbst ganz genau. Aus Angst vor „starkem medialem Druck und auch Druck anderer Beschuldigter“ bat sie gleich nach ihrer ersten Einvernahme, diese erst nach Abschluss aller Fragen zum Akt zu nehmen. Fünf mehrstündige Aussagen seit Oktober später liegen nun 222 Seiten Aussage jener Frau vor, die im Zentrum der Umfrageaffäre steht.
Beinschab belastete die frühere ÖVP-Familienministerin und Meinungsforscherin Sophie Karmasin schwer. Karmasin habe den Kontakt zum ÖVP-geführten Finanzministerium (BMF) hergestellt und Beinschabs damals noch junger Firma die lukrativen Aufträge im Ministerium „vermittelt“.
Teil der Auftragssumme an Ministerin
Im Gegenzug habe die damals noch als Ministerin tätige Karmasin 20 Prozent der Auftragssumme erhalten. „Jetzt verstehen Sie mich vielleicht auch noch ein bisschen besser, weil ich bin ja wirklich der komplette Volltrottel, können Sie auch im Protokoll schreiben. Ich habe die Studie bekommen, ich habe den Umsatz bekommen, ich habe die Fremdkosten gehabt, weil ich habe die Studie durchgeführt, und die Sophie Karmasin hat danach 20 Prozent bekommen. Jetzt wissen Sie, wie viel mir übergeblieben ist“, sagte Beinschab der WKStA.

Beinschab legte den Ermittlern auch Kontoauszüge vor, die belegen sollen, dass Geld an die Firma von Karmasins Ehemann geflossen ist. Die mündliche Vereinbarung für das „Vermittlungshonorar“ habe bis zuletzt bestanden. Der Anwalt von Karmasin bestätigte auf ORF-Anfrage die Provision, sie sei ordentlich versteuert worden und „nicht strafbar“. Dem Parlament sei die Nebenbeschäftigung Karmasins nicht gemeldet worden. Ministerinnen unterliegen einem Berufsverbot.
Geschäfte offenbar bis ins Vorjahr
Die Geschäfte dürften länger gegangen sein, als bisher bekannt war. Beinschabs Aussagen legen nahe, dass sie noch bis zu den Hausdurchsuchungen im Oktober für das Ministerium tätig gewesen sein dürfte. Noch 2021 ging sie nach eigenen Angaben in Vorleistung und habe politische Umfragen gemacht in der Hoffnung, sie bei Studienbeauftragungen im zweiten Halbjahr mitverrechnen zu können.
Ihr Ansprechpartner war bis zuletzt Johannes Frischmann, der zuerst im Finanzministerium tätig war und später Pressesprecher von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wurde: „Mit Frischmann war besprochen, dass er Fragen ‚anhängt‘ oder beauftragt, die dann das BMF (Finanzministerium, Anm.) so bezahlt, dass die Bezahlung im Rahmen von Studien erfolgt, die ich für das BMF machen sollte. Zu diesen Studien ist es 2021 nicht gekommen, daher wurde auch nichts verrechnet. Ich habe Frischmann nicht nur einmal gefragt, wann ich denn mit der Bezahlung rechnen könne, und er hat mich immer vertröstet und gesagt, er wird mit dem BMF reden.“
Beinschab legt Geständnis ab
Die Meinungsforscherin Sabine Beinschab hat ein umfassendes Geständnis abgelegt. In mehreren Einvernahmen erzählt sie, wie im Finanzministerium parteipolitische Fragen auf Steuerzahlerkosten abgerechnet wurden.
„Bestimmte Linie zugunsten der ÖVP“
Gegenüber der WKStA sagte Beinschab: „Beim Durchforsten dieser Studien ist mir jetzt noch einmal sehr bewusst geworden, dass doch etliche Fragestellungen parteipolitisch waren und nichts mit dem BMF zu tun hatten. Das tut mir leid, dass ich mir darüber früher nicht mehr Gedanken gemacht habe. Das war ein Fehler, der aber aus meiner Sicht darauf zurückzuführen ist, dass ich die letzten Jahre so viel Arbeit hatte. Wenn man sich die Studien über die Jahre gesammelt anschaut, erkennt man eine bestimmte Linie zugunsten der Anliegen der ÖVP.“
Kurz selbst will Beinschab nur einmal „im Vorbeigehen gesehen“ haben. „Ich habe keine Telefonnummer, ich habe gar nichts, ich kenne den aus dem Fernsehen“, sagte Beinschab den Ermittlern zu ihrem Verhältnis zum früheren Bundeskanzler. Auch dessen engsten Berater Stefan Steiner will sie nicht gekannt haben. Kurz’ Medienberater Gerald Fleischmann habe sie auch nur einmal getroffen, der Großteil ihrer Kontakte sei über Frischmann gelaufen.
Mails zeigen, wie Daten verändert wurden
Beinschab legte im Zuge ihrer Einvernahmen zahlreiche Mails und Unterlagen vor, die zeigen, wie Daten verändert wurden. Karmasin, damals Ministerin im Team von Reinhold Mitterlehner (ÖVP), habe ihr per Mail immer wieder Anweisungen gegeben. So antwortete Karmasin auf eine Mail von Beinschab mit Umfrageergebnissen anderer Institute am 24. August 2017, also wenige Wochen vor der Nationalratswahl: „SPÖ muss bei Gelegenheit auf Platz 2!“
Zudem zeigen von Beinschab vorgelegte Tabellen, wie Umfrageergebnisse im Interesse der ÖVP manipuliert wurden. Ihre Auftraggeber – Frischmann, damals bereits im Kabinett von Bundeskanzler Kurz, und den zuständigen Leiter der Kommunikationsabteilung im Finanzministerium, Johannes Pasquali – nannten Karmasin und Beinschab in ihren E-Mails wiederholt „unsere Freunde“. Pasquali habe Beinschab etwa angeleitet, ihre Studien unter der ausschreibungspflichtigen Grenze von 100.000 Euro anzubieten, man „könnte dafür mehr Studien“ beauftragen.
Auch zur engen Verzahnung zwischen der Tageszeitung „Österreich“, dem Finanzministerium und Ministerin Karmasin lieferte Beinschab neue Hinweise. „Diesbezüglich war mein Auftraggeber Helmuth Fellner, und ich habe die Rechnungen für die Studien auch an die Firma MONEY.AT Medien GmbH gelegt. Die Fragen betrafen Tätigkeiten des BMF, und ich gehe davon aus, dass die Fragen mir vom BMF (konkret von Frischmann oder Schmid) übermittelt wurden. Mag. Karmasin hat im Hintergrund die Abläufe koordiniert und mir mitgeteilt, dass die Fragen dieser Studien vom BMF kommen.“
Politisch brisante Aussagen zur SPÖ
Politisch brisant sind auch die Aussagen der 38-Jährigen zur Vergangenheit von Karmasin und ihre Tätigkeit für die Tageszeitung „Heute“. Beinschab sagte, es habe von 2011 bis 2013 Absprachen der SPÖ-Bundesparteiführung mit Karmasin gegeben. „Dabei sollten die Ergebnisse zugunsten der SPÖ, beispielsweise ein paar Prozentpunkte beim Ergebnis der Sonntagsumfrage, verändert werden.“
Und: „Ich weiß nicht, wie die Abrechnungsmodalitäten damals genau waren, die Umfragen wurden aber in der Gratiszeitung Heute veröffentlicht“, so Beinschab. Als Karmasin dann als Ministerin für die ÖVP in die Regierung gewechselt sei, sei der zuständige Mitarbeiter in der SPÖ verärgert gewesen.
Die SPÖ teilte gegenüber dem ORF dazu mit: „Uns liegen keine Informationen oder Hinweise zu den Behauptungen der Beschuldigten Beinschab vor. Offenbar handelt es sich um ein bewusstes Ablenkungsmanöver. Es ist festzuhalten, dass Beinschab laut Medienberichten den systematischen Missbrauch von Steuergeld für parteipolitische Zwecke im ÖVP-geführten Finanzministerium gestanden hat.“

Kurz sieht sich „vollumfänglich entlastet“
Ex-Kanzler Kurz sah sich durch die Aussagen Beinschabs in der Inseratencausa entlastet. Daraus gehe „eindeutig hervor, dass Sebastian Kurz vollumfänglich entlastet wird und keinerlei Involvierung in irgendeiner Form in dieser strafrechtlichen Causa gegeben ist“, teilte seine Anwaltskanzlei am Freitag mit.
Frischmanns Anwalt betonte am Freitag, sein Mandant sei „zu keiner Zeit in ein illegales Konstrukt aus Umfragen und Inseraten involviert“ gewesen. Pasqualis Anwalt Günther Rebisant sagte gegenüber dem ORF: „Mein Mandant hatte zu keinem Zeitpunkt Kenntnis über allfällige sachfremde Vereinbarungen.“ „Österreich“-Manager Wolfgang Fellner sagte gegenüber der APA, er sehe die Aussage Beinschabs „wirklich als großflächige Entlastung von ‚Österreich‘“. Die Vorwürfe gegen sein Haus hätten sich „in Luft aufgelöst“.
Der „mutmaßliche Kriminalfall ist in seiner Dimension und Tragweite schockierend“, hieß es in einer Stellungnahme des Verbandes der Markt- und Meinungsforschungsinstitute Österreichs (VdMI). Der Verband hoffe auf rasche und lückenlose Aufklärung. „Weder Sabine Beinschab noch Sophie Karmasin waren je Mitglied im VdMI“, betonte der VdMI.
Opposition: „Nie da gewesene Dreistigkeit“
Anders interpretierte die Opposition die Aussagen Beinschabs. Die FPÖ erachtet das „schwarz-türkise Selbstbedienungssystem auf Kosten der Bürger“ als bestätigt – auch wenn sich „Beinschab sichtlich bemüht hat, das Spitzenpersonal der ÖVP in ihrer Aussage zu schonen“, sagte Christian Hafenecker, der FPÖ-Fraktionsvorsitzende im ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss.
„Die Medienberichte über das Geständnis von Sabine Beinschab zeigen die nie zuvor da gewesene Dreistigkeit, mit der sich die türkise Familie an der Republik bedient und bereichert hat“, kommentierte NEOS-Fraktionsführerin Stephanie Krisper.