Flüchtende Menschen in Medyka, an der ukrainisch-polnischen Grenze
AP/Czarek Sokolowski
UNO-Prognose

Vier Millionen Ukrainer könnten fliehen

Das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) rechnet mit vier Millionen Flüchtlingen, sollte sich die Lage in der Ukraine weiter verschlechtern. Schon jetzt seien Tausende über die Grenzen in Nachbarländer wie Polen, Rumänien, die Slowakei und auch Russland geströmt. Die EU-Innenminister kommen angesichts der Lage am Sonntag zu einem Krisentreffen zusammen.

Die UNO-Flüchtlingshilfe spricht von vier Millionen potenziellen Flüchtlingen aus dem Land mit 42 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, das UNO-Kinderhilfswerk (UNICEF) gar von fünf Millionen. UNICEF verstärkt derzeit seine Präsenz in den Nachbarländern Moldawien, Rumänen, Polen, Ungarn und Slowakei. Entlang von Fluchtrouten sollen Zufluchtsorte für Frauen und Kinder eingerichtet werden. In Rumänien stünden Konvois bereit, um Material für Zehntausende Menschen in die Ukraine zu bringen, so ein Experte.

Angesichts der möglicherweise großen Fluchtbewegung aus der Ukraine in die EU wollen die Innenminister der 27 Staaten am Sonntag zu einem Krisentreffen zusammenkommen. In einer Sondersitzung solle „über konkrete Antworten auf die Situation in der Ukraine“ gesprochen werden, teilte der französische Innenminister Gerald Darmanin am Freitag auf Twitter mit.

Ukrainer fliehen nach Ungarn
AP/Anna Szilagyi
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind inzwischen in der Ukraine 100.000 Menschen auf der Flucht

EU arbeitet an „Notfallplänen“

Nach Angaben von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen wurden mit allen östlichen EU-Ländern „Notfallpläne“ erarbeitet, um Menschen aus der Ukraine sofort aufzunehmen. „Wir hoffen, dass es so wenige Flüchtlinge wie möglich sind, aber wir sind umfassend vorbereitet“, sagte von der Leyen. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hatte Polen, das stark betroffen sein dürfte, finanzielle Unterstützung zugesichert sowie mögliche Hilfe durch die Grenzschutzagentur Frontex.

Spendenmöglichkeit

Nachbar in Not: IBAN AT21 2011 1400 4004 4003, Kennwort: Hilfe für die Ukraine

Zwölf EU-Länder, darunter Österreich, haben indessen Hilfsgüter wie Erste-Hilfe-Kästen, Schutzkleidung, Zelte, Feuerlöscher, Stromgeneratoren und Wasserpumpen für die Ukraine gespendet. Neben der Ukraine habe auch Moldawien in der Nacht auf Freitag offiziell über den Katastrophenschutzmechanismus um Hilfe gebeten, um Flüchtlinge besser versorgen zu können, bestätigte eine Sprecherin der EU-Kommission.

Österreich ist nach den Worten von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zur Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine bereit. „Bei der Ukraine verhält es sich anders als bei Ländern wie Afghanistan. Da reden wir von Nachbarschaftshilfe“, sagte Nehammer. Auch der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) betonte als aktueller Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz die Bereitschaft dazu: „Falls notwendig, werden alle Bundesländer ukrainische Kriegsflüchtlinge aufnehmen.“

Ungarn: Notunterkünfte nehmen Flüchtende auf

In der ungarischen Stadt Zahony im Dreiländereck zur Ukraine und Slowakei stehen Notschlafstellen für Flüchtende zur Verfügung.

Aufnahmestellen in Grenzregionen

Bereits am Tag des Kriegsausbruchs sind Hunderte Ukrainer in die direkten Nachbarländer Polen, Ungarn, Slowakei, Rumänien und Moldawien geflüchtet. Zudem boten andere Staaten der Region Schutz für Geflüchtete an, darunter Tschechien. Alle bereiteten sich auch auf die Aufnahme weiterer Menschen in den kommenden Tagen vor und wollen zum Teil Aufnahmestellen direkt an der Grenze einrichten. Viele der Länder an der Ostflanke der EU waren einst Teil des von Moskau geführten Militärbündnisses Warschauer Pakt und sind jetzt Mitglieder der NATO.

Grafik zur Ukraine
Grafik: APA/ORF.at

Rumänien als einer der ärmsten EU-Mitgliedsstaaten hatte ursprünglich nicht erwartet, dass sich viele Ukrainer dorthin flüchten. Doch allein am ersten Tag der russischen Invasion wurden fast 11.000 Flüchtlinge aus dem Nachbarland gezählt. Etwa 3.660 davon seien am Donnerstag auf ihrem Weg nach Bulgarien und Ungarn durch Rumänien gekommen, sagte Innenminister Lucian Bode. Rund 7.000 befänden sich im Land. Rumänien habe insgesamt 1.100 Plätze in Asylunterkünften, die zur Hälfte besetzt seien. Vorher hatte Rumänien erklärt, darüber hinaus notfalls theoretisch eine halbe Million Flüchtlinge in temporären Notunterkünften beherbergen zu können.

Ukrainerinnen und Ukrainer überqueren die Grenze zu Polen
Reuters/Kacper Pempel
Polen wird eines der am stärksten betroffenen Länder der Flüchtlingsbewegung sein

Polen solidarisch

Polen hat eine mehr als 500 Kilometer lange Grenze zur Ukraine und dürfte eines der Hauptzielländer der Flüchtlinge werden. Die geplanten Unterkünfte sollen nach Angaben des Innenministeriums in Warschau an den wichtigsten Grenzübergängen beider Länder entstehen. Polen werde „so viele, wie an unseren Grenzen sein werden“, aufnehmen, sagte der polnische Innenminister Mariusz Kaminski.

Die allgemeine Stimmung in Polen sei solidarisch, sagte die Politologin Marta Kozlowska von der Technischen Universität Dresden in Deutschland der Nachrichtenagentur AFP. Das Motto vieler Menschen sei: „Egal wie viele Flüchtlinge es sind, wir müssen ihnen in dieser Kriegssituation helfen.“

Auch Ungarn lenkt ein

Auch Ungarn ist zur Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine bereit, teilte der neu gegründete Operative Stab für Nationale Sicherheit unter Leitung von Ministerpräsident Viktor Orban am Freitag mit. Die Betroffenen können den Antrag auf Asyl direkt in Ungarn einreichen, was bisher nicht erlaubt war, weil Schutzsuchende auf ungarischem Boden bisher keinen Asylantrag stellen durften. Die ungarischen Behörden würden den Betroffenen vorübergehenden Flüchtlingsschutz gewähren.

Russland hat nach Angaben von Außenminister Sergej Lawrow mehr als 110.000 Flüchtlinge aus den nun von Moskau anerkannten „Volksrepubliken“ in der Ostukraine aufgenommen. Russland habe humanitäre Hilfe bereitgestellt für Menschen, die „gezwungen waren, wegen des andauernden Beschusses durch die Streitkräfte der Ukraine vorübergehend aus den Gebieten Donezk und Luhansk zu übersiedeln“, sagte Lawrow am Freitag.