Schauspieler tanzen auf der Bühne
Volkstheater/Marcel Urlaub
„Karoline und Kasimir“

Ödön von Horvaths letzter Tag als Show

Bühnenkunst ist keine Zauberei. In der Uraufführung von „Karoline und Kasimir – noli me tangere“ am Volkstheater inszeniert die New Yorker Off-off-Truppe Nature Theater of Oklahoma den letzten Tag im Leben des Dramatikers Ödön von Horvath als Show mit rollschuhfahrendem Schneewittchen, schwadronierenden Hollywood-Regisseuren und Theaterklimbim.

Der Titel der Uraufführung „Kasimir und Karoline – Noli me tangere“ verweist auf das Opus magnum „Out 1: Noli me tangere“ des französischen Filmemachers Jacques Rivette, der nach den Revolten von 1968 dem konventionellen Theater den Rücken zukehrte. Als zeitgemäß erschien ihm vielmehr die Verquickung von Theater, Film, Gesellschaft und Politik, mit der Entlarvung von Illusion und Täuschung.

Von Horvaths titelgebendem Volksstück „Kasimir und Karoline“ schafft es nur eine einzige Szene in die Produktion des Volkstheaters, nämlich der Beginn, wenn der arbeitslose Chauffeur Kasimir und seine Freundin Karoline auf dem Jahrmarkt eintreffen, um sich zu vergnügen. Diese wird sofort mit Rivettes Desillusionierungsprogramm gebrochen.

Wild gestikulieren die Schauspielerinnen und Schauspieler, die Szene wird von der Figur des Hollywood-Schauspielers Bence (Bence Mezei) kommentiert, denn eigentlich ist hier ein Filmteam am Werk. „Es gibt weder das eine … Also … das … das richtige Theater … Sondern es irgendwie mehr als Prozess zu begreifen …“, teilt der radebrechend deutsch parlierende Bence dem Souffleur mit, der schon bald nicht mehr im Zuschauerraum sitzt, sondern fester Bestandteil des Figurenpersonals wird.

Person schaut auf andere Person
Volkstheater/Marcel Urlaub
„Leben ist Tragödie. Aber im Spiegel wird’s zur Komödie.“ Ödon von Horvath (Frank Genser) verhandelt mit seinem Alter Ego.

Theater auf dem Theater

Teile des Volkstheaters werden auf der Bühne noch einmal verdoppelt, etwa zwei Logen und der Vorderteil der Bühne. Wenn die Kulissen zur Seite geschoben werden, präsentiert die Hinterbühne nötige Klischees des Theater- und Filmbetriebs (Bühne: Michael Sieberock-Serafimowitsch).

Veranstaltungshinweis

„Kasimir und Karoline – Noli me tangere“ des Nature Theater of Oklahoma ist noch am 1., 3., und 23. März im Wiener Volkstheater zu sehen.

Für die Dreharbeiten braucht es Garderoben- und Kleiderständer, Schminktische und allerlei technisches Equipment, um Horvaths letzten Tag in Paris zu inszenieren, wo er bekanntlich am 1. Juni 1938 auf seiner Flucht vor den Nazis durch einen herabfallenden Ast auf den Champs-Elysees erschlagen wurde.

Das Spiel mit der Illusion findet auf mehreren Ebenen statt, immer wieder treten der Filmregisseur (Elias Eilinghoff) und Bence vor den Vorhang, um die weitere Vorgehensweise zu diskutieren. Der Prozess der künstlerischen Produktion soll im Vordergrund stehen, nicht das Ergebnis. Ein Wunder muss passieren – ein „miracle“ beschwören sie und hoffen auf die Kraft von Horvaths autobiografischen Texten.

Adieu, Europa!

Ihre Recherche führt sie zu Manuskripten und theoretischen Schriften (u. a. zum Kino) sowie zu Horvaths letztem Romanfragment „Adieu, Europa!“, von dem man gerne mehr erfahren hätte, auch wenn es nur fünf Seiten an Stoffsammlung aufweist. Kelly Copper und Pavol Liska alias Nature Theater of Oklahoma konzentrieren sich allerdings auf Horvath als Figur, und so erzählt der Abend in erster Linie von dessen letztem Tag.

Der Autor ist auf der Flucht, Paris ist nur Durchgangsstation, am folgenden Tag soll er weiter nach Zürich fahren. Das Zimmer im Pariser Hotel „L’Univers“ wird zum Gefängnis. Horvath (Samouil Stoyanov) liegt auf dem Bett und gibt sich die Schuld am Tod seines Freundes Egon Friedell.

Dieser stürzte sich aus dem Fenster, als die Gestapo an seine Tür klopfte. „Hätte ihn zum Mitkommen überreden sollen. Müssen“, wirft sich Horvath nun vor, während er in unzusammenhängenden Sätzen seinen Gedanken freien Lauf lässt.

Im Spiegel der Komödie

Copper und Liska verdoppeln die Figur, ein zweiter Ödön betritt die Bühne. „Schreib was“ fordert er sein Alter Ego (Frank Genser) auf. „Hab nichts zu sagen“ repliziert dieser. Selbsthass und die Ängste des Geflüchteten prägen seine Gedankenspiralen.

„Bin Schwindler und Hochstapler, kein echter Schriftsteller. Nie gewesen. Zu blöd? Die meisten, wenn nicht alle Schriftsteller blöd. Blöder. Jenseits jedes noch vertretbaren menschlichen Blödheitsbereichs. Schriftsteller blödeste Säugetierspezies in Geschichte des Universums.“ Wie im Wetterhäuschen tritt einmal der weinende, dann der lachende Ödön auf, vor dem Spiegel übt er das jeweils andere. „Leben ist Tragödie. Aber im Spiegel wird’s zur Komödie.“

Pandemie und Waldfauna

Auch die Pandemie darf in einer Inszenierung über den Theaterbetrieb nicht fehlen. Bevor es ans Eingemachte geht, tritt der Regisseur an die Rampe und erklärt, dass ab nun er die Rolle des Ödön von Horvath übernimmt, da ein an Covid-19 erkrankter Darsteller nicht auftreten kann. Nach der Ankündigung werden die Dreharbeiten fortgesetzt: Horvath sucht eine Toilette, sein Weg führt ihn ins Kino, wo er schließlich in einer Loge Platz nimmt.

Person holt mit Axt auf andere Person aus
Volkstheater/Marcel Urlaub
Das Stück nimmt rasante Wendungen: Von Horvath zum rollschufahrendem Schneewittchen ist es nicht weit

Das Volkstheater-Ensemble spielt Walt Disneys „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ nach, nein, rast mit Rollschuhen in enormem Tempo über die Bühne, die nun mit wenig Aufwand als dunkler Wald gestaltet ist. „Schneewittchen“ präsentiert sich hier als Faschingsparty unter dem Motto „Waldfauna“ mit Dachsen und Bären, Elchen und Hirschen sowie allerlei Tieren in bizarren Kostümen. Dass sich Horvath nach dem Kinobesuch wie verkatert fühlt, überrascht keineswegs.

Tanzeinlagen und „Judenhasser Disney“

Im Spiel mit den theatralen Formen wird auch der Revue Tribut gezollt: Eine Tanzeinlage zu Ed Sheerans „Shape of You“ wird mit Szenenapplaus bedankt, bleibt aber ebenso fragwürdig wie die lange Schlusssequenz, wenn sich Horvath (Genser) mit dem Filmregisseur Robert Siodmak (Stoyanov) und seiner Assistentin Frieda Tschutschoriedka (Julia Franz Richter) in einem Pariser Cafe trifft, um über die Verfilmung seines Romans „Jugend ohne Gott“ zu sprechen.

Dazu kommt es nicht, da Flucht, Vertreibung und Verfolgung das Gespräch der drei Exilanten bestimmen. Frieda monologisiert über die Frauenfeindlichkeit in „Schneewittchen“, den „Judenhasser Walt Disney“ und über ihre Hassliebe zu Wien: „Wien wird immer meine Lieblingsstadt auf der Welt sein. Wissen Sie, eigentlich ist das gar keine Stadt. Eher ein riesiges Dorf. Als hätte ein sehr mächtiges Wesen mit einem sehr schrägen Sinn für Humor gedacht, es müsste doch lustig sein, die engstirnigsten Landeier aus der ganzen österreichischen Provinz auf einen Haufen zu werfen und zum Zusammenleben zu zwingen.“

„Worum geht’s eigentlich?“

Selbst hier kommt die Inszenierung über das Spiel mit den verschiedenen Ebenen von Illusion nicht hinaus. Die gesellschaftspolitische Kraft der Verquickung von Fakten und Fiktionen bleibt Behauptung, von den katastrophalen Auswirkungen autoritärer Regime, von der Hellsichtigkeit und Zeitlosigkeit in Horvaths Stücken ist nichts zu spüren.

Copper und Liska gelingt zwar eine rasante Revue über den Theaterbetrieb, für die von ihnen artikulierte Frage nach zeitadäquaten Dramaturgien und Stücken und nach dem grundsätzlichen „Worum geht’s eigentlich?“ bleiben sie die Antwort schuldig.