Ukrainischer Soldat nahe Kharkiv
Reuters/Maksim Levin
Ukraine

Weitere Nacht mit schweren Kämpfen

Die ukrainischen Streitkräfte sind nach Medienberichten weiterhin vielerorts schweren Angriffen der russischen Armee „aus allen Richtungen“ ausgesetzt. Dem Gegner werde jedoch „entschlossener Widerstand“ entgegengesetzt, heißt es in einer in der Nacht auf Sonntag verbreiteten Mitteilung der ukrainischen Armee.

Gemäß dieser Darstellung wurde unter anderem ein schwerer russischer Angriff bei Charkiw zurückgeschlagen – um die Stadt sollen am Samstag erbitterte Kämpfe gewütet haben. Bei Cherson im Süden sei dagegen russischen Einheiten nach schweren Kämpfen ein Vorstoß gelungen. Auch in der Region Luhansk tobten laut Armee schwere Kämpfe. Die Angaben ließen sich von unabhängiger Seite nicht überprüfen.

Zusätzlich gab es in der Nacht auf Sonntag Berichte über zwei starke Explosionen in der Nähe von Wassylkiw, etwa 30 Kilometer südlich von Kiew. Wassylkiw verfügt über einen großen Militärflugplatz und mehrere Treibstoffdepots. Eine Raffinerie sei Berichten zufolge von Raketen getroffen und in Brand gesetzt worden. Der Feuerschein am Himmel sei auch in Kiew sichtbar, berichtete die ukrainische Zeitung „Prawda“. Nach Angaben ukrainischer Behörden ist das Gebiet Schauplatz schwerer Kämpfe gewesen.

Russische „Sabotagegruppen“ in Kiew eingesickert

Seit Samstagnachmittag gilt in Kiew eine Ausgangssperre. Die Lage in der Stadt ist nach Angaben von Bürgermeister Witali Klitschko „kompliziert und angespannt“. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski sagte: „Der Kampf um Kiew geht weiter.“ Doch gibt es eine Warnung vor russischen Sabotagetrupps, die nach Kiew eingesickert seien.

„Der Feind ist nicht in die Stadt eingedrungen, aber in Kiew operieren Sabotagegruppen“, sagte Klitschko. Das Militär und die Strafverfolgungsbehörden würden „Saboteure neutralisieren“. Aus diesem Grund sei auch eine zumindest noch bis Montag andauernde Ausgangssperre verhängt worden – denn wer sich trotzdem auf der Straße ohne Sonderausweis aufhalte, gelte als „Mitglied feindlicher Sabotage- und Aufklärungsgruppen“, so Klitschko.

Rakete in Wohnhaus eingeschlagen

Die russische Armee beschieße auch Wohnviertel in der Hauptstadt, behauptete Klitschko. Das ließ sich aber nicht unabhängig überprüfen. Moskau dementiert ja vehement, ukrainische Zivilisten anzugreifen. Klitschko hingegen sagte, seit Beginn des Angriffs seien in Kiew bereits sechs Zivilisten getötet worden, darunter ein Kind. Zudem seien 71 Menschen verletzt worden. Am Samstag schlug eine Rakete in ein Wohnhaus im Südwesten der Stadt ein.

Die Bevölkerung wurde von den Behörden zuletzt vor Straßenkämpfen gewarnt. Der U-Bahn-Verkehr in Kiew wurde vollständig eingestellt, die U-Bahnhöfe dienen nun als Schutzräume für Einwohnerinnen und Einwohner. Zahlreiche Menschen suchen dort bereits seit Tagen Zuflucht vor den russischen Raketenangriffen.

Nach Angaben eines ranghohen Vertreters des Pentagon sind die russischen Streitkräfte inzwischen mit „Zehntausenden“ Soldaten in die Ukraine einmarschiert. Die Russen hätten inzwischen „mehr als 50 Prozent“ ihrer zusammengezogenen Kampftruppen auf ukrainischem Gebiet, sagte der Vertreter des Pentagons am Samstag in einem Briefing für Journalisten. Russland habe rund um die Ukraine mehr als 150.000 Soldaten zusammengezogen.

Moskau: Offensive wird ausgeweitet

Unterdessen wird der Konflikt auch mittels unterschiedlicher Darstellungen ausgetragen: So hat die ukrainische Führung Vorwürfe aus Moskau zurückgewiesen, wonach die Ukraine Friedensverhandlungen mit Russland abgesagt habe. Kiew wirft der russischen Regierung „Lügen“ vor. Indes hat Moskau angesichts der angeblichen ukrainischen Blockadehaltung eine Ausweitung der Offensive angekündigt.

Generalmajor Hofbauer zur Lage in der Ukraine

Generalmajor Günter Hofbauer vom österreichischen Bundesheer zur Situation im Ukraine-Krieg, bei dem die russische Offensive anhält.

Den Streitkräften sei befohlen worden, nunmehr „die Offensive in alle Richtungen zu erweitern“, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Begründet wurde der Befehl damit, dass die Ukraine Verhandlungen abgelehnt habe. Die Regierung in Kiew dementierte die Darstellung. „Ihre Kommentare, dass wir Verhandlungen abgesagt hätten, sind lediglich Teil ihrer Taktik“, sagte der ukrainische Präsidentenberater Michajlo Podolak. „Sie scheinen die Verhandlungen in eine Sackgasse lenken zu wollen, bevor sie überhaupt begonnen haben.“

„Widerstand größer als erwartet“

Wiederum aus dem Pentagon heißt es, dass die russische Militäroffensive langsamer Fortschritte macht als von Moskau erwartet. „Der Widerstand ist größer, als die Russen es erwartet haben“, sagte ein Vertreter des Pentagon. In Bezug auf den Vormarsch auf die Hauptstadt Kiew sagte er: „Wir haben Hinweise, dass die Russen angesichts des mangelnden Fortschritts in den vergangenen 24 Stunden, vor allem im Norden der Ukraine, zunehmend frustriert sind.“

Russland-Experte Mangott zum Widerstand der Ukraine

Der Professor für Internationale Politik an der Universität Innsbruck, Gerhard Mangott, zur aktuellen Lage in der Ukraine

Die ukrainischen Truppen leisteten „entschlossenen Widerstand“, sagte er einer vom Pentagon veröffentlichten Mitschrift zufolge weiter. Es gebe bis Samstagnachmittag (MEZ) keine Hinweise, dass es den Russen gelungen sei, eine größere Stadt einzunehmen. Bereits am Freitag hatte ein Vertreter des Verteidigungsministeriums erklärt: „Unserer Einschätzungen zufolge leisten die Ukrainer mehr Widerstand, als die Russen erwartet hatten.“

Mehr Waffen für Ukraine

Indes kündigten mehrere westliche Länder weitere Waffenlieferungen für das angegriffene Land an – auch Deutschland machte in dieser Frage am Samstag eine Kehrtwende und unterstützt die ukrainischen Streitkräfte nun mit schweren Waffen aus Bundeswehrbeständen. Zudem zeichnet sich eine weitere Verschärfung der Sanktionen gegen Russland ab: Die EU und die USA könnten sich noch an diesem Wochenende auf einen Ausschluss russischer Finanzinstitute aus dem Banken-Kommunikationsnetzwerk SWIFT verständigen.