Ukrainische Soldaten nahe Kiew
Reuters/Maksim Levin
Heftige Kämpfe

„Schwierige Zeit“ für ukrainische Armee

Russische Truppen sind am Sonntag auf Kiew vorgerückt. Der ukrainische Generalstab sprach von einer „schwierigen Zeit“. In der EU rechnet man mit bis zu sieben Millionen Flüchtlingen aus der Ukraine. Russlands Staatschef Wladimir Putin setzte die Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft – eine Reaktion auf die zunehmenden Sanktionen der westlichen Staaten.

Von Süden stoße eine große Kolonne russischer Militärfahrzeuge auf die ukrainische Hauptstadt vor, sagte der Berater des ukrainischen Innenministers, Vadym Denysenko, am Sonntag. „Aber wir wissen, wo sie unterwegs sind, wohin sie unterwegs sind, und wir sind vorbereitet.“ In einem Posting auf Facebook schrieb der ukrainische Generalstab, die Streitkräfte hätten am Sonntag eine „schwierige Zeit“ gehabt. Russland habe den Raketen- und Artilleriebeschuss in fast alle Richtungen fortgesetzt.

Die ostukrainische Millionenstadt Charkiw ist indes nach Angaben des Gouverneurs wieder komplett in ukrainischer Hand. „Charkiw ist vollständig unter unserer Kontrolle“, erklärte der Gouverneur der gleichnamigen Region, Oleh Sinegubow. In der zweitgrößten ukrainischen Stadt sei eine Aktion im Gange, um das russische Militär vollständig aus der Stadt zu vertreiben.

Sinegubow hatte Sonntagfrüh das Eindringen russischer Soldaten in die Stadt bekanntgegeben. Die russische Armee sei bis ins Stadtzentrum von Charkiw vorgedrungen. Die Kämpfe betrafen mehrere Orte im Stadtgebiet. Ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete von heftigen Straßenkämpfen.

Kämpfe um Flugplatz

Im Ort Wassylkiw wurde ukrainischen Angaben zufolge heftig um einen Flugplatz gekämpft. Bisher griffen russische Truppen Kiew vor allem von Nordwesten und Nordosten an. Nach Angaben aus der Ukraine wehrte die ukrainische Armee in Hostomel und Irpin schwere Angriffe ab. In Pryluky östlich von Kiew wurden nach ukrainischen Angaben mehrere russische Panzer zerstört.

Militärexperte Gady zu russischer Truppenbewegung

Franz-Stefan Gady, Militärexperte am Institut für Strategische Studien London, erläutert die Truppenbewegung der russischen Streitkräfte.

In der Kleinstadt Butscha zeigten Aufnahmen viele zerstörte Panzer. Außerdem gibt es ein verifiziertes Video, in dem zu sehen war, wie Militärfahrzeuge auf Häuser schossen und so Schaden anrichteten. Der Ort liegt etwa 25 Kilometer nordwestlich vom Kiewer Zentrum.

Die russische Armee warf den Ukrainern vor, sie setzten bei den Kämpfen vor Kiew verbotene Phosphorbomben ein. Die Ukraine behauptet ihrerseits, Russland nehme gezielt auch Zivilgebäude ins Visier. Beide Seiten dementierten die jeweiligen Vorwürfe.

Russische Truppen nahe Kiew
Reuters/2022 Maxar Technologies
Satellitenaufnahmen zeigen den Vormarsch russischer Streitkräfte auf Kiew

300.000 Menschen auf der Flucht

Nach Angaben der EU-Kommission sind bisher mindestens 300.000 Flüchtlinge aus der Ukraine in der Europäischen Union angekommen. Die EU müsse sich auf weitaus mehr Menschen einstellen, sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson. Die derzeit erwartete Anzahl vertriebener Ukrainerinnen und Ukrainer innerhalb und außerhalb des Landes liege bei mehr als sieben Millionen, sagte der für EU-Krisenmanagement zuständige Kommissar Janez Lenarcic.

Russische Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft

Russlands Präsident Putin versetzte die Nuklearstreitkräfte des Landes in Alarmbereitschaft. Das habe er der russischen Militärführung wegen des aggressiven Verhaltens der NATO und der Wirtschaftssanktionen befohlen, sagte Putin am Sonntag im staatlichen Fernsehen. „Wie Sie sehen können, ergreifen die westlichen Länder nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht unfreundliche Maßnahmen gegen unser Land“, so Putin. „Ich meine die illegalen Sanktionen, die jeder sehr gut kennt.“ Zudem erlauben sich Spitzenvertreter der führenden NATO-Länder auch „aggressive Äußerungen gegenüber unserem Land“.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sah die Anweisung Putins als Druckmittel gegen die Ukraine. „Wir sehen diese Ankündigung als Versuch, zusätzlichen Druck auf die ukrainische Delegation auszuüben“, sagte Kuleba. Außenminister Alexander Schallenberg verurteilte Putins Ankündigung. Putin „muss wissen, dass dieser Weg in Wirklichkeit das Ende bedeuten würde“, so Schallenberg zur APA.

Neue Sanktionen und Militärhilfen

Die EU verkündete am Sonntag weitere Sanktionen gegen Russland. So wird der Luftraum für alle russischen Flugzeuge gesperrt. Zudem will Brüssel gegen die staatlichen russischen Medien RT und Sputnik vorgehen. Grund ist die Verbreitung von Desinformation. Daneben sollen auch russische Oligarchen verstärkt mit Sanktionen belegt werden. Gegen den russischen Verbündeten Belarus wird es laut EU ebenfalls neue Strafmaßnahmen geben.

Der Ukraine will Brüssel indes 500 Mio. Euro für die Finanzierung von Waffen und Ausrüstung für die Armee zur Verfügung stellen. Von den 500 Millionen Euro sollen 450 Millionen für Waffenlieferungen und 50 Millionen für andere Ausrüstung bereitgestellt werden. Das Geld wird den Planungen zufolge aus der „Europäischen Friedensfazilität“ kommen. Sie ist ein neues Finanzierungsinstrument der EU, das auch genutzt werden kann, um die Fähigkeiten von Streitkräften in Partnerländern zu stärken.