Ausgetrocknetes Feld in Südafrika
Reuters/Mike Hutchings
IPCC-Bericht

Zeitfenster für Klimarettung schließt sich

Der am Montag präsentierte Bericht des UNO-Weltklimarats (IPCC) ist ein eindringlicher Weckruf: Mit jeder weiteren Verzögerung bei Maßnahmen für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel werde sich „das Fenster der Gelegenheit schließen, eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu sichern“. Die Erderwärmung und Extremwetter drohen Millionen in die Armut zu stürzen.

Schon jetzt sei knapp die Hälfte der Menschheit durch den Klimawandel „hochgradig gefährdet“. „Die angehäuften wissenschaftlichen Belege sind eindeutig: Der Klimawandel ist eine Bedrohung für das Wohlergehen des Menschen und die Gesundheit des Planeten“, heißt es in einer Zusammenfassung. 3,3 bis 3,6 Milliarden der knapp acht Milliarden Menschen weltweit seien bereits „sehr anfällig“ für die Folgen des Klimawandels. Dieses Risiko werde durch sozial-ökonomische Ungleichheit sowie die nicht nachhaltige Nutzung von Land und Meeren weiter erhöht.

Die Erderwärmung und Extremwetter drohen Millionen in die Armut zu stürzen. Steigende Lebensmittelpreise, ein gestörter globaler Handel und Verwerfungen auf den Arbeitsmärkten könnten die Folgen sein. Der Bericht spiegelt den jüngsten globalen Konsens in der Klimawissenschaft wider. Der Wandel drohe die Welt schneller zu verändern als bisher angenommen.

Überflutung in Deutschland
Reuters/Wolfgang Rattay
Die Auswirkungen der Klimakrise sind laut IPCC jetzt schon überall spürbar

Eines der durchgespielten Szenarien kommt zu dem Ergebnis, dass bis 2050 bis zu 183 Millionen Menschen zusätzlich unterernährt sein könnten. „Individuelle Lebensgrundlagen wurden durch Änderungen der landwirtschaftlichen Produktivität, Folgen auf die menschliche Gesundheit und Ernährungssicherheit, Zerstörung von Häusern und Infrastruktur sowie Verlust von Eigentum und Einkommen beeinträchtigt“, so der Bericht. Das wiederum führe zu erhöhter Armut, wirtschaftlicher Ungleichheit und unfreiwilliger Migration in die Städte.

Tausende Pflanzen- und Tierarten könnten aussterben

Für zahlreiche Pflanzen- und Tierarten geht es angesichts des Klimawandels bereits ums Überleben. Schon bei einer Erderwärmung um 1,5 Grad besteht laut dem Bericht für bis zu 14 Prozent der Arten an Land ein „sehr hohes“ Risiko auszusterben. Bei einer sich derzeit abzeichnenden langfristigen Erwärmung um drei Grad betreffe dieses Risiko sogar 29 Prozent der Arten an Land.

1988 gegründet

Der IPCC wurde 1988 gegründet. Der neue Bericht ist Teil zwei seines sechsten Sachstandsberichts zum Klimawandel. Der erste Teil über die wissenschaftlichen Grundlagen kam im August 2021 heraus. Der dritte Teil wird im April erwartet.

Hitze und Extremwetter trieben Pflanzen und Tiere an Land und in den Ozeanen Richtung Pole, in tiefere Gewässer oder höhere Lagen. Meerespflanzen und -tiere bewegten sich wegen der steigenden Wassertemperaturen im Durchschnitt um 59 Kilometer pro Jahrzehnt Richtung Nord- und Südpol. „Der Zeitpunkt wichtiger biologischer Ereignisse wie Fortpflanzung oder Blüte verändert sich“, berichten die Wissenschaftler. „Steigende Temperaturen und extreme Ereignisse wie Dürren, Überschwemmungen und Hitzewellen setzen Pflanzen und Tiere klimatischen Bedingungen aus, die sie seit Zehntausenden Jahren nicht mehr erlebt haben.“

Der Schutz von Artenvielfalt und Ökosystemen ist laut IPCC aber wiederum „grundlegend“, damit die Erde im Zuge des Klimawandels widerstandsfähig bleibe. Sinnvoll sei daher, 30 bis 50 Prozent der Land- und Meeresgebiete unter Schutz zu stellen.

Das Pariser Klimaabkommen sieht vor, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Schon jetzt hat sich die Erde um 1,1 Grad erwärmt. Und selbst wenn das 1,5-Grad-Ziel erreicht werde, blieben einige Folgen des Klimawandels „unumkehrbar“, heißt es in dem IPCC-Bericht.

Grafik zu den Szeneren der Erderwärmung bis 2100
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: climateactiontracker.org

Noch nähmen Ökosysteme mehr Treibhausgase auf, als sie selbst verursachten, heißt es in den IPCC-Dokumenten. Das ändere sich aber, wenn Urwald abgeholzt und Torfmoorgebiete trockengelegt werden und der arktische Permafrost schmilzt. „Dieser und andere Trends können noch umgekehrt werden, wenn Ökosysteme instand gesetzt, wieder aufgebaut und gestärkt und nachhaltig bewirtschaftet werden“, schreiben die Wissenschaftler. „Gesunde Ökosysteme und eine reiche Artenvielfalt sind die Grundlage für das Überleben der Menschheit.“

Zerstörung nach Waldbrand in Russland
Reuters/Ilya Naymushin
Rund die Hälfte der Weltbevölkerung ist stark verwundbar, was die Folgen der Klimaerwärmung betrifft

Krankheitsrisiken nehmen zu

Die globale Erwärmung treffe mit anderen Herausforderungen zusammen, so der Weltklimarat. Er zählt die wachsende Weltbevölkerung auf, die Migration der Menschen in Städte, zu hohen Konsum, wachsende Armut und Ungleichheit, Umweltverschmutzung, Überfischung und jüngst die Coronavirus-Pandemie. Krankheitsrisiken nähmen weiter zu, das Dengue-Fieber werde sich ausbreiten, auch nach Europa.

Es seien fundamentale gesellschaftliche Veränderungen nötig. Die Energie müsse sauber, die Wegwerfmentalität beseitigt werden. Städte und Landwirtschaft müssten nachhaltig und die Mobilität verändert werden: mehr Rad- statt Autofahren, mehr Zugsfahren statt Fliegen. Wichtig sei, die gesamte Bevölkerung mitzunehmen, mahnte die Klimaforscherin und Mitautorin Daniela Schmidt von der University of Bristol.

Wird jetzt in Anpassungsmaßnahmen investiert, könne man dadurch höhere Investitionen in der Zukunft vermeiden. Der potenzielle Nutzen der Maßnahmen sei langfristig höher als ihre Kosten. „Auch wenn wir jetzt schon Auswirkungen sehen, diese Auswirkungen werden dramatisch stärker werden, wenn wir anderthalb Grad globaler Erwärmung übersteigen."

ICE zwischen Nürnberg und Erfurt
APA/AFP/Christof Stache
Rad- statt Autofahren, Zugfahren statt Fliegen: Die Mobilität bedarf laut IPCC einer dringenden Neuausrichtung

Mehr Hitzetote auch in Europa

Der Bericht sagt auch für Europa schwerwiegende Konsequenzen der Erderwärmung voraus. Bereits die bisherige Erwärmung um 1,1 Grad habe „Auswirkungen auf natürliche und menschengemachte Systeme in Europa“. So seien Hitzewellen und Dürren häufiger geworden. Für die Zukunft zeichneten sich vor allem für südeuropäische Regionen weitreichende Folgen ab.

Als Hauptrisiken werden Gesundheitsprobleme durch Hitzewellen, Dürren, Wassermangel sowie Überflutungen an Flüssen und steigende Meeresspiegel genannt. Zwar gebe es teils wirksame Möglichkeiten der Anpassung und Schadensbegrenzung, spätestens ab einer Erderwärmung von drei Grad oder mehr sei ein solcher Schutz aber „nur noch begrenzt möglich“.

Die Zahl der Hitzetoten in Europa dürfte sich laut IPCC bei einer Erwärmung um drei Grad im Vergleich zu einem 1,5-Grad-Szenario etwa verdoppeln oder verdreifachen, heißt es in dem Bericht. Dann würden auch die Gesundheitssysteme an Grenzen stoßen.

Alarm bei NGOs, Gewessler sieht Weg aus der Krise

Umwelt-NGOs schlugen angesichts des Berichts Alarm. „Es gibt nicht die nötigen Programme und Finanzmittel, um die Gesellschaft an die zukünftigen klimatischen Bedingungen anzupassen“, hieß es von Greenpeace Österreich. "Selbst für diejenigen, die sich schon lange mit der Materie beschäftigen, sind die Ergebnisse schockierend. Bei Beibehaltung des aktuellen Kurses sind schwere Folgen zu erwarten“, warnte Global 2000.

Die Umweltschutzorganisation WWF Österreich sah in den Erkenntnissen einen „Weckruf an die internationale Politik“ und forderte einen Klima- und Naturschutzpakt. „Noch nie in der Geschichte der Menschheit konnten wir so genau vorhersehen, welches Schicksal uns bevorsteht, wenn die Politik nicht handelt“, hieß es von „Fridays for Future“. Die Regierungen würden wissentlich auf die wohl größte humanitäre Katastrophe unserer Zeit zusteuern.

Der Weg in eine klimafreundliche Zukunft werde von der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern gebremst, hieß es in einem Statement von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne). „Gerade jetzt müssen wir raus aus den Fossilen und in den Ausbau von Erneuerbaren investieren.“ Der Bericht zeige deutlich, dass die Menschen durch die Klimakrise verwundbarer denn je seien. „Das Gute ist, das bestätigt uns auch der IPCC-Bericht: Wir können mit ambitionierten Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen die Klimakrise wirksam eindämmen.“