Liverpool-Fan hält auf der Tribüne eine ukrainische Flagge in die Höhe
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Russland im Abseits

Ukraine-Krieg kippt Strukturen im Fußball

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich umgehend auf den europäischen Fußball ausgewirkt. Und auch hier treten Verschiebungen zutage, die im Vorhinein nicht für möglich gehalten wurden. FIFA und UEFA suspendieren Russland sowohl auf Vereins-, als auch auf Verbandsebene, Clubs beenden finanziell umfangreiche Sponsorings mit russischen Konzernen, Spieler äußern sich politisch, und: In die Stadien kehren vom Krieg verursachte Emotionen ein.

Tatsächlich überschlagen sich die Ereignisse. Denn die gleich nach Beginn der Angriffe aufgekommene Diskussion über die Austragung des Champions-League-Finales in St. Petersburg dauerte nicht lange – binnen Stunden war klar: Es wird verschoben und in Paris gespielt. Bemerkenswert in dieser Schnelle, weil ja der Europäische Fußballverband (UEFA) und auch der Weltverband (FIFA) gerne für eine Trennung von Sport und Politik eintreten und bei Menschenrechtswidrigkeiten in der Vergangenheit Kritikern zufolge gern weggeschaut haben.

UEFA und FIFA verbannen Russland komplett

Doch der Finalspielentzug war erst der Anfang, denn am Montag folgte dann der Komplettbann: FIFA und UEFA suspendierten Russland von allen Wettbewerben. Das wirkt sich allumfassend aus: Sowohl der Club- als auch der Verbandsfußball sind betroffen. Also: keine Länderspiele für das russische Nationalteam, keine WM-Play-off-Spiele und folglich auch keine WM in Katar. Und im Clubfußball werden russische Teams aus allen (auch laufenden) Bewerben suspendiert.

UEFA trennt sich von Gasprom

Auch in Sachen Sponsorings handelt die UEFA – die Zusammenarbeit mit dem russischen Sponsor Gasprom werde mit sofortiger Wirkung beendet, hieß es. Der Ölkonzern zahlte seit 2012 kolportierte 40 Millionen Euro pro Jahr an die UEFA und war dafür insbesondere bei Spielen der Champions League omnipräsent.

In einer gemeinsamen Mitteilung von FIFA und UEFA hieß es: „Der Fußball ist hier vereint und in voller Solidarität mit allen betroffenen Menschen in der Ukraine. Beide Präsidenten hoffen, dass sich die Situation in der Ukraine deutlich und schnell verbessern wird, damit der Fußball wieder ein Faktor für Einheit und Frieden zwischen den Menschen sein kann“.

Russischer Fußballverband übt Kritik an Vorgehen

Der Russische Fußballverband (RFS) reagierte mit Unverständnis und heftiger Kritik: Das verstoße „gegen alle Standards und Prinzipien des internationalen Wettbewerbs“ sowie gegen „das Ethos von Sportsgeist und Fairplay“, heißt es in einer Erklärung des RFS vom Montagabend. Der RFS behalte sich das Recht vor, die Entscheidung von FIFA und UEFA gemäß dem internationalen Sportrecht anzufechten.

Den Entscheidungen waren zahlreiche Boykottdrohungen von Nationalverbänden vorangegangen. Wenige Stunden vor der FIFA- und UEFA-Entscheidung verkündeten mehrere Verbände, nicht mehr gegen Russland antreten zu wollen, Polen nahm hierbei eine Vorreiterrolle ein – schließlich stand Ende März ein WM-Play-off-Spiel gegen Russland auf der Agenda, das nunmehr auch hinfällig ist.

Auch FC Schalke beendet langjährigen Gasprom-Deal

Auch im europäischen Clubfußball erhöhte sich die Schlagzahl, mit der Entscheidungen gegen die weitere Zusammenarbeit mit russischen Unternehmen getroffen werden. Am bemerkenswertesten ist das Beispiel des deutschen FC Schalke 04. Auch hier wird der Deal mit Hauptsponsor Gasprom aufgelöst, nach 15 Jahren (stets auch vom eigenen Umfeld kritisierter) Partnerschaft. Der ohnehin finanziell stark angeschlagene Club vollzieht damit einen harten finanziellen Einschnitt.

Gazprom-Flaggen vor Schalkes Veltins Arena in Gelsenkirchen
APA/AFP/Ina Fassbender
Schalke und Gasprom gehen nach 15 Jahren getrennte Wege

Auch der von Gasprom in den Schalke-Aufsichtsrat entsandte Vertreter Matthias Warning legte sein Amt mit sofortiger Wirkung nieder. Warning ist Vorstandschef der von Gasprom begründeten Pipelinebetreibergesellschaft „Nord Stream 2“.

Auch Wiener Austria sucht nach Lösung

Doch auch in Österreich ist Gasprom in den Clubfußball involviert: So hält die Wiener Austria (konkret geht es um die zweite Mannschaft Young Violets) einen Deal mit dem russischen Konzern – in einer ersten Entscheidung verständigte man sich darauf, das Logo von den Trikots zu entfernen (ein Schritt, den auch Schalke zunächst gesetzt hatte). Doch auch in Wien-Favoriten stehen wohl Überlegungen im Raum, den Deal zu beenden – eine Entscheidung steht aber noch aus.

Wiederum andernorts wurden Sponsorings bereits beendet: So löste etwa Manchester United den seit 2013 aufrechten Deal mit der Airline Aeroflot als „offiziellem Beförderungsunternehmen“ auf – wohl auch im Lichte der Sperrung des britischen Luftraums. Doch auch beim Londoner Club Chelsea taten sich Verschiebungen auf. So kündigte der russische Clubeigner Roman Abramowitsch am Samstag an, die Verwaltung an die Treuhänder der wohltätigen Stiftung von Chelsea abzugeben.

Offene Fragen zu Abramowitsch und Chelsea

Der Schritt galt als rasche Reaktion auf Forderungen in Großbritannien, Sanktionen gegen den Putin nahestehenden Abramowitsch zu verhängen. Damit hat der russische Oligarch die Kontrolle über zentrale Entscheidungen wie Transferbudgets, Spielertransfers und Trainerverpflichtungen abgegeben.

Chelseas russischer Eigentümer Roman Abramowitsch
AP/Martin Meissner
Der russische Oligarch Abramowitsch gab die Verwaltung seines FC Chelsea an Treuhänder des Clubs ab

Abramowitsch bleibt aber der Besitzer des Clubs, der Berichten zufolge nicht zum Verkauf steht. Was also geschieht, wenn der Staat Abramowitschs Vermögen beschlagnahmen sollte, ist unklar. Zuletzt gab Abramowitsch an, sich auf ukrainische Bitte als Vermittler in den Konflikt einbringen zu wollen. Über seine diesbezüglichen Motivlagen ist nichts bekannt.

Der deutsche Chelsea-Coach Thomas Tuchel hatte schon am Freitag eingeräumt, dass der russische Einmarsch in die Ukraine auch den Club betreffe. „Wir sollten nicht so tun, als wäre das kein Problem“, sagte Tuchel. Am Sonntag verurteilte der Club in einem Statement die russische Invasion. „Die Lage ist verheerend. Die Gedanken von Chelsea sind bei allen in der Ukraine. Jeder im Club betet für Frieden“, hieß es in der Mitteilung.

Lewandowski: Appell und blau-gelbe Schleife

Dass Trainer zu politischen Ereignissen Stellung beziehen ist – bis auf wenige Ausnahmen – eher unüblich, bei Spielern ist diese Vorgabe in der Regel noch schärfer. Doch auch diese Vorgabe relativiert sich dieser Tage: „Wir sind alle gegen Krieg und haben nicht gedacht, dass es so weit kommt. Das zu sehen, tut weh“, sagte der polnische Kapitän des FC Bayern, Robert Lewandowski, und appellierte: „Die gesamte Welt muss die Ukraine unterstützen“.

Bayern Münchens Robert Lewandowski mit Kapitänsbinde in den ukrainischen Landesfarben
Reuters/Kai Pfaffenbach
Lewandowski trug die Kapitänsbinde in den Nationalfarben der Ukraine

„Sport kann sich nicht rausnehmen“

Und er setzte – und damit auch indirekt der Club – noch ein Zeichen und trug am Wochenende beim Ligamatch in Frankfurt eine Kapitänsbinde in den ukrainischen Nationalfarben. „Der Sport kann sich nicht rausnehmen. Wir dürfen nicht akzeptieren, was dort passiert“, sagte der aktuelle Weltfußballer. Auch Bayern-Trainer Julian Nagelsmann bezog Stellung: „Ich habe mir nicht ausmalen können, dass das in Europa in diesem Ausmaß passiert. Das ist schrecklich. Ich habe selten Angst, aber in diesem Fall schon“, bekannte Nagelsmann.

Tränen in Liverpool

Doch auch in vielen anderen Stadien wurde Flagge gezeigt. Äußerst emotional ging es vor Beginn in Liverpool beim Spiel Everton gegen Manchester City in England zu. Viele Fans hielten Banner in die Höhe, auf denen sie ihre Solidarität mit der Ukraine erklärten. Die Spieler aus Manchester trugen beim Aufwärmen Shirts mit der ukrainischen Flagge und der Aufschrift „Kein Krieg“. Zu sehen war, wie der ukrainische ManCity-Spieler Olexandr Sintschenko mit den Tränen kämpfte – und auch der Ukrainer Witali Mykolenko von Everton war sichtlich bewegt.

Russischer Teamspieler sagt „Nein zum Krieg“

Nicht minder bemerkenswert ist ein Statement des russischen Nationalspielers Fedor Smolow, das dieser zuletzt via Instagram verbreitete. Der 32-jährige Stürmer von Dynamo Moskau postete ein schwarzes Element und versah es mit dem Statement „Nein zum Krieg“. Auch zwei Emojis folgten: ein gebrochenes Herz und eine ukrainische Flagge. Smolov war damit der erste Spieler der „Sbornaja“, der den Angriff Russlands auf die Ukraine öffentlich kritisierte.

Vielfach „Stop War“-Banner gezeigt

Am Wochenende auch weit verbreitet war der „Stop War“-Banner, der von Spielern beider Teams in vielen Stadien, aber auch auf von vielen Fanszenen – in Österreich etwa auch von jener Rapids mittels Spruchband – gezeigt wurde.

Für Schlagzeilen sorgten auch einige bei ukrainischen Fußballteams unter Vertrag stehende internationale Spieler, die zusammen mit mittlerweile Hunderttausenden Menschen vor den russischen Angriffen flüchten mussten. Die Legionäre der ukrainischen Spitzenclubs Dynamo Kiew und Schachtar Donezk setzten sich ins Ausland ab. Laut Schachtar-Angaben seien die ausländischen Spieler, darunter alleine zwölf Brasilianer, sowie ihre Familien in Rumänien angekommen.

Trainer im Tarnanzug

Bemerkenswert scheint auch der jüngste Werdegang von Jurij Wernydub, Trainer des moldawischen Clubs Sheriff Tiraspol. Erst vor wenigen Monaten sorgte er mit seinem Team aus der Separatistenregion Transnistrien mit einem Sieg bei Real Madrid europaweit für Furore. Auf dem Twitter-Portal Zorya Londonsk, einem vom britischen Journalisten Andrew Todos geführten Account, ist ein Bild des 56-Jährigen in ukrainischer Militäruniform zu sehen.