Rubel-Münzen
Reuters/Maxim Shemetov
Krieg in der Ukraine

Sanktionen treffen Russland hart

Von Flugverboten über den Börsenhandel bis zur „Roten Karte“ im internationalen Fußball: Der Westen hat harte Sanktionen gegen Russland verhängt. Die russische Wirtschaft sei inzwischen de facto in vielen Bereichen vom Ausland abgeschnitten, hieß es am Dienstag, das Ausmaß der Sanktionen „historisch“. Trotzdem seien noch nicht alle „Pfeile“ verschossen. Allerdings hat auch Russland noch welche im Köcher. Und es gibt auch noch Verbündete.

Europa und die USA hätten Sanktionen „historischen Ausmaßes“ gegen Moskau verhängt, schrieb am Dienstag das „Wall Street Journal“. Vielfach war allerdings in den letzten Tagen die Frage gestellt worden, ob die auch tatsächlich wirkten bzw. Russlands Präsidenten Wladimir Putin nach der Invasion der Ukraine zur Räson bringen könnten.

Die vom Westen ergriffenen Maßnahmen hätten binnen Tagen 30 Jahre wirtschaftlicher Annäherung beider Seiten nach dem Kalten Krieg zunichtegemacht. Die russische Wirtschaft bzw. der russische Finanzmarkt befänden sich in einer „komplett abnormalen Situation“, zitierte die US-Wirtschaftszeitung die Gouverneurin der russischen Zentralbank und früheren Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung, Elvira Nabiullina. Die Sanktionen hätten den Aktienmarkt, den Markt für Anleihen und die Landeswährung Rubel hart getroffen.

Von Tempo und Umfang überrollt

Der Börsenhandel wurde ausgesetzt, der Leitzins zur Stabilisierung des Rubel von 9,5 auf 20 Prozent erhöht. Dieser hatte vor dem Wochenende gegenüber dem Dollar mehr als 20 Prozent seines Werts verloren, der größte Tagesverlust seit 1998, so das „Wall Street Journal“. Die Kurse einiger russischer Großunternehmen fielen dramatisch – die Aktie der Sberbank etwa verlor im ausländischen Handel über 70 Prozent.

Frau schaut auf Bildschirme am Flughafen Sheremetyevo nahe Moskau
Reuters
Für russische Maschinen ist der Luftraum der EU seit dem Wochenende geschlossen

Erneut gab es am Dienstag Berichte über Warteschlangen vor Bankomaten in Russland, Auslandsüberweisungen seien eingeschränkt worden, hieß es. Russland habe nach den Sanktionen 2014 (nach der Annexion der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim) Vorbereitungen getroffen und etwa große Devisenreserven angelegt, trotzdem hätten Tempo und Ausmaß der westlichen Strafmaßnahmen Moskau sprichwörtlich überrollt.

Von der „Festung“ zum wirtschaftlichen Trümmerhaufen?

„Von der Festung Russland“ in einer Woche zu einem Trümmerhaufen, zitierte das „Wall Street Journal“ aus einer Aussendung einer britischen Investmentbank. Die letzte Runde der Sanktionen dürfte zu einem „beträchtlichen“ Einbruch der russischen Wirtschaftsleistung im laufenden Jahr führen. Im schlimmsten Fall könnten Russinnen und Russen aus Angst vor einer Entwertung des Rubel ihre Konten räumen.

Menschen warten vor Wechselstube in St. Petersburg
AP/Dmitri Lovetsky
Rubel unter Druck: Schlangen vor einer Wechselstube in St. Petersburg

Elina Ribakova, stellvertretende Vorsitzende des Institute of International Finance (IIF) rechnet laut „Wall Street Journal“ mit einem Einbruch der Wirtschaftsleistung in Russland um mindestens zehn Prozent und einer zweistelligen Teuerungsrate – Faktoren, welche die Stimmung im Land längerfristig zum Kippen bringen könnten. Außerdem, hieß es in einem weiteren Artikel des „Wall Street Journal“ am Dienstag, setze Russland eine weitgehende Blockade an den internationalen Finanzmärkten zu.

Der eine oder andere Bumerang

Allerdings bergen die Sanktionen auch ein gewisses Risiko für den Westen und seine Wirtschaft. Der Konflikt lässt etwa die Erdöl- und Erdgaspreise steigen, Treibstoff, zuvor schon teuer, kostet so viel wie nie zuvor. Steigende Rohstoffpreise generell, zusammen mit den seit der Coronavirus-Pandemie chronischen Unterbrechungen der Lieferketten bei Rohstoffen, seien eine Gefahr. Außerdem, so das „Wall Street Journal“, sei der Effekt möglicher russischer „Gegensanktionen“ nicht zu unterschätzen.

Westliche Investoren kämpften mit Problemen, Unsummen von Werten in Russland handeln zu können, berichtete am Dienstag die „Financial Times“. Die britische Zeitung bezifferte das Volumen mit etwa 150 Mrd. Dollar (rund 134 Mrd. Euro). An mehreren Börsen wurde der Handel mit russischen Werten gestoppt.

„Giftige“ Pfeile und mögliche Folgen

Trotz der schon jetzt harten Sanktionen könne der Westen noch nachlegen, heißt es. „Den giftigsten Pfeil hat er noch nicht verschossen: einen Importstopp von Gas“, sagte der Direktor des Institutes für Wirtschaftsforschung (WIFO), Gabriel Felbermayr, am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. „Allerdings wäre diese Waffe auch für die EU sehr teuer“, sagte er. Denn vor allem das auch für die Industrie wichtige Erdgas kann nicht so einfach durch Importe aus anderen Ländern ersetzt werden.

Gas Pipeline in Swobodny, Russland.
Reuters/Maxim Shemetov
Erdgas als geopolitischer Joker

„Der Westen hat noch nicht alle Pfeile aus seinem Köcher verschossen“, sagte der Handelsexperte des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Hendrik Mahlkow, mit Blick auf die noch möglichen Sanktionen. „Wir sind noch nicht am Maximum.“ So könnte der Warenhandel der westlichen Verbündeten mit Russland komplett eingestellt werden, was es selbst zu Zeiten des Kalten Kriegs mit der Sowjetunion nicht gegeben habe.

Gegenseitige Abhängigkeiten

Allein ein Handelsboykott von Gas würde nach IfW-Berechnungen das russische Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 2,9 Prozent einbrechen lassen. „Russland ist abhängig von den EU-Märkten“, sagte Mahlkow. Von den gesamten Warenexporten Russlands entfielen 2020 mehr als ein Drittel auf die Europäische Union. Umgekehrt jedoch lieferte die EU nur rund vier Prozent ihrer Exporte nach Russland und bezog gut fünf Prozent ihrer Importe von dort.

Der britische „Telegraph“ nannte die Wirkung der Sanktionen für Russland am Dienstag eine" Katastrophe". Da Russland seine Invasion längerfristig geplant habe, „ging man davon aus, dass er (Putin, Anm.) die russische Wirtschaft sanktionssicher gemacht hatte, indem er die Abhängigkeit vom Dollar verringerte und Goldvorräte anlegte. Ein großer Teil der Reserven befindet sich jedoch im Ausland, und die Reaktion des Westens war umfangreicher und besser koordiniert, als es Moskau wahrscheinlich vorausgesehen hat“, schrieb die britische Tageszeitung.

Milliardäre stemmen sich gegen Sanktionen

Die russischen Milliardäre Michail Fridman und Pjotr Awen protestierten gegen die Sanktionen. „Michail Fridman und Pjotr Awen (…) sind zutiefst schockiert über die nachweislich falschen Behauptungen in der EU-Verordnung“, mit denen die Sanktionen gegen sie gerechtfertigt werden sollen, ließen die Geschäftsleute am Dienstag mitteilen. Die Vorwürfe seien „fadenscheinig und unbegründet“.

Dagegen wollten sie „energisch und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln“ vorgehen. Damit sollen ungerechtfertigte und unnötige Schäden für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, Kunden und Partner sowie „für die Unternehmen, die sie und ihre Partner in den letzten 25 Jahren aufgebaut haben“, rückgängig gemacht werden.

Die EU hatte Awen als „einen der engsten Oligarchen von Wladimir Putin“ bezeichnet. Fridman wurde als ein „führender russischer Finanzier und Förderer von Putins innerem Kreis bezeichnet“. Fridman wies die Vorwürfe zurück. Es sei unwahr, dass er „enge Beziehungen“ zur Regierung Putins gepflegt habe. Beide Milliardäre bezeichneten es als unwahr, dass sie „inoffizielle Abgesandte der russischen Regierung“ seien.

Liste der Maßnahmen mittlerweile sehr lang

Die Liste der Sanktionen gegen Moskau ist mittlerweile lang. Als eine der bisher letzten Maßnahmen stoppte am Dienstag die weltgrößte Containerschiffsreederei Maersk alle Lieferungen an Russland. Russische Häfen würden „bis auf Weiteres“ nicht mehr angelaufen, teilte Maersk mit. Ausnahmen galten allerdings für Lieferungen von Nahrungsmitteln und etwa Medikamenten. Fahrten in die Ukraine hatte Maersk bereits aus Sicherheitsgründen gestoppt. Großbritannien untersagte russischen Schiffen das Einlaufen in seine Häfen.

Am Wochenende hatte die EU Flug- und Landeverbote für russische Maschinen verhängt. Russland wurde am Montag selbst von sportlichen Großereignissen ausgeschlossen, etwa der Fußball-WM. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) empfahl seinen Mitgliedsverbänden den Ausschluss russischer Sportler und Sportlerinnen von internationalen Veranstaltungen.

Weltall noch „neutrale“ Zone

Selbst die Zusammenarbeit zwischen Russland und dem Westen im Weltraum ist mittlerweile vom Konflikt mit der Ukraine betroffen. Am Wochenende hatte Moskau angekündigt, sein Personal vom Weltraumbahnhof Kourou im südamerikanischen Französisch-Guyana abzuziehen. Die Kooperation etwa auf der Internationalen Raumstation (ISS) wolle man jedoch fortführen, hieß es von der russischen Weltraumbehörde Roskosmos.

Die US-Weltraumbehörde (NASA) wolle die Zusammenarbeit mit Russland im Weltraum weiter „beobachten“, hieß es zuletzt. „Momentan läuft unser Betrieb normal“, sagte Kathy Lueders, Chefin des bemannten Raumfahrtprogramms der NASA, am Montag bei einer Pressekonferenz. „Es wäre ein trauriger Tag für den internationalen Betrieb, wenn wir im Weltraum nicht weiter zusammenarbeiten könnten.“ Die Teams beider Länder seien in ständigem Kontakt, und derzeit bekomme die NASA aus Russland alle Unterstützung, die sie brauche.

China will Handelskontakte retten

Russland hat auch noch Verbündete. Während die westlichen Regierungen die Sanktionen verschärfen, suchen andere Länder nach Möglichkeiten, Handel und Finanzierung mit Russland fortzusetzen. Zwar agieren die anderen Mitglieder der ehemaligen BRIC-Gruppe – neben Russland sind das Brasilien, Indien und China – vorsichtig.

Chinesische Unternehmen und Banken etwa suchen nach Möglichkeiten, die Auswirkungen der Sanktionen auf ihre Beziehungen zu Russland zu begrenzen. Dadurch dürfte die Abwicklung von Transaktionen in Yuan auf Kosten des Dollars zunehmen. Die westlichen Beschränkungen, die darauf abzielen, Russland aus dem globalen Finanzsystem auszuschließen, könnten also die Handelsbeziehungen zwischen Moskau und Peking noch vertiefen.