Ukraines Präsident Wolodymyr Selenski hält im Europäischen Parlament per Videoschaltung eine Rede
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Europaparlament

Emotionale Rede von Selenski für EU-Beitritt

In einem emotionalen Appell an das Europaparlament hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski eindringlich die Aufnahme seines Landes in die Europäische Union gefordert. „Wir kämpfen für unsere Rechte, für unsere Freiheit, für unser Leben. Und nun kämpfen wir ums Überleben“, sagte Selenski am Dienstag zu Beginn einer Sondersitzung des Parlaments in einer Videobotschaft.

„Aber wir kämpfen auch, um gleichwertige Mitglieder Europas zu sein“, sagte Selenski. „Die Europäische Union wird deutlich stärker mit uns sein. Das steht fest. Ohne euch wird die Ukraine alleine sein.“ Die Ukraine habe ihre Stärke bewiesen. Er bat die EU darum, unter Beweis zu stellen, dass sie die Ukraine nicht im Stich lasse. „Beweisen Sie, dass Sie bei uns sind.! (…) Beweisen Sie, dass Sie tatsächlich Europäer sind!“ Dann werde das Leben über den Tod siegen, das Licht über die Dunkelheit.

EU-Ratspräsident Charles Michel sagte der Ukraine eine ernsthafte Prüfung des Gesuchs um einen EU-Beitritt zu. Das sei ein schwieriges Thema, und es gebe unterschiedliche Auffassungen der Mitgliedsstaaten, sagte Michel im Europaparlament. „Aber der Rat wird sich da seiner Verantwortung nicht entziehen können.“ Den russischen Angriff auf die Ukraine verurteilte er abermals scharf: „Dies ist geopolitischer Terrorismus, schlicht und einfach.“

EU-Ratspräsident Charles Michel
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EU-Ratspräsident Charles Michel bei der Rede Selenskis

Von der Leyen sieht langen Weg

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte die Ukraine bei deren Hoffnungen auf einen EU-Beitritt auf einen langen Weg ein. Der ukrainische Präsident habe bei ihrem bisher letzten Gespräch erneut vom Traum seines Volkes erzählt, der EU beizutreten, sagte von der Leyen im Europaparlament. Schon heute seien einander die Ukraine und die EU näher als je zuvor. „Aber es liegt noch ein langer Weg vor uns.“

Der Krieg müsse beendet und über die nächsten Schritte gesprochen werden, sagte von der Leyen. „Ich bin sicher: Niemand in diesem Plenarsaal kann daran zweifeln, dass ein Volk, das so mutig für unsere europäischen Werte steht, zu unserer europäischen Familie gehört.“

Derzeit erlebe die unabhängige Ukraine die dunkelsten Stunden. „Gleichzeitig hält das ukrainische Volk die Fackel der Freiheit stellvertretend für uns alle aufrecht.“ Die Ukrainer verteidigten ihr Leben. „Sie kämpfen aber auch für universelle Werte und sind bereit, für sie zu sterben.“ Von der Leyen schloss ihre Rede mit den Worten: „Lang lebe Europa! Und lang lebe die freie und unabhängige Ukraine!“

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gibt der Ukraine Hoffnung, sieht aber einen langen Weg

Von der Leyen kündigte auch 500 Millionen Euro an humanitärer Hilfe an, um die tragischen Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine zu bewältigen. Das Geld solle ins Land fließen und zur Versorgung der Flüchtlinge eingesetzt werden. Die Summe soll die bereits angekündigten 500 Millionen Euro der Europäischen Union für Waffenlieferungen an die Ukraine ergänzen.

EU-Parlament für „Gewährung des Kandidatenstatus“

In einer nicht bindenden Entschließung des EU-Parlaments wurden die europäischen Institutionen aufgerufen, „auf die Gewährung des Kandidatenstatus für die Ukraine hinzuwirken“. Die Resolution, in der auch die russische Aggression verurteilt wird, wurde mit einer überwältigenden Mehrheit von 637 Stimmen angenommen, 13 EU-Abgeordnete stimmten dagegen, 20 enthielten sich. Ein Antrag der konservativen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR/EKR, Anm.), Russland wegen der Invasion als „Schurkenstaat“ zu verurteilen, erhielt keine Mehrheit.

„Zeigen Sie, dass Sie an unserer Seite stehen“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski hat die EU eindringlich zur Unterstützung aufgefordert. „Zeigen Sie, dass Sie an unserer Seite stehen“, sagte er vor dem Europäischen Parlament per Videoschaltung.

Für einen EU-Beitritt wäre allerdings ein einstimmiger Beschluss der 27 Mitgliedstaaten nötig. Zuletzt hatten vor allem Ost-Länder wie Polen und Slowenien eine Beitrittsperspektive für die Ukraine verlangt. Andere warnen davor, den Konflikt mit Russland in die EU und in die NATO zu holen.

Ukraines Präsident Wolodymyr Selenski hält im Europäischen Parlament per Videoschaltung eine Rede
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Das EU-Parlement bei der Rede Selenskis

Nehammer zurückhaltend

In der Frage eines EU-Beitritts der Ukraine zeigt sich Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zurückhaltend. Die Frage eines EU-Beitritts sei „sehr komplex“, sagte Nehammer am Dienstagnachmittag in Wien. Sie bedürfe der Zustimmung aller 27 EU-Länder. Beitrittsverhandlungen dauerten lang. Deswegen sei es „nicht das geeignete Mittel, das zu erreichen, was wir gerade tun“, nämlich die Solidarität und Partnerschaft mit der Ukraine so eng und so unkompliziert wie möglich zu gestalten sowie schnelle Hilfe zu leisten. Nehammer äußerte außerdem sein klares Bekenntnis zur Ukraine als europäisches Land. „Der Überfall auf die Ukraine ist nicht akzeptieren“, so Nehammer.

Spendenaufruf

Der ORF und die Stiftung Nachbar in Not bitten um Spenden – mehr dazu in nachbarinnot.ORF.at.

Karas und Schieder gegen Schnellverfahren

„Die Ukraine hat eine Beitrittsperspektive, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind“, sagte der Erste Vizepräsident des Europaparlaments, Othmar Karas (ÖVP), im Ö1-Mittagsjournal. Ein Schnellverfahren für den EU-Beitritt wie von Selenski gewünscht sei aber „in dieser Form nicht denkbar“. Alle Beitrittskandidaten müssten auf dem Boden des Rechts und der Fortschritte bewertet werden.

Andreas Schieder, SPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, erklärte in einer Aussendung: „Ich verstehe angesichts der verzweifelten Lage die wichtige politische Symbolik, unmittelbar realistisch und sinnvoll wäre das aber nicht.“ Er sieht eine „langfristige Lösung des Ukraine-Konflikts“ nur „über eine wie auch immer geartete Verständigung mit Russland“.

Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im EU-Parlament, forderte unterdessen die EU auf, „geschlossen und unbürokratisch“ Hilfe zu leisten und alle Menschen aufzunehmen. Sie begrüßte die „solidarische Haltung aller Mitgliedsstaaten und die möglichst rasche Aktivierung der sogenannten Massenzustromsrichtlinie als wichtige Maßnahme“.

Auch Rumänien und Ungarn für EU-Beitritt

Rumäniens Staatspräsident Klaus Iohannis sprach sich am Dienstag für einen EU-Beitritt der Ukraine sowie Moldawiens und Georgiens aus. „Rumänien unterstützt voll die Integration der Ukraine, der Republik Moldau und Georgiens in die Europäische Union. Der Platz dieser Partner der EU ist in der europäischen Familie, und Rumänien wird sein Bestes tun, damit dies Realität wird“, schrieb Iohannis am Dienstag bei Twitter.

Auch Ungarn unterstützt die Aufnahme der Ukraine in die Europäische Union. „Wir bitten Brüssel dringend darum, das Thema auf die Agenda zu setzen“, sagte Außenminister Peter Szijjarto. Ungarn schloss sich damit einer Initiative der drei baltischen Staaten sowie von Polen, Tschechien, Slowenien, Bulgarien und der Slowakei an.