Frau bei einer Klimademo
WECF/Annabelle Avril
Ökofeminismus

Frauen als Speerspitze gegen die Klimakrise

Von „Fridays For Future“ bis Lobau-Camp – im Kampf gegen die Klimakrise stehen an vorderster Front oftmals Aktivistinnen. Doch warum ist das so? Eine Antwort darauf will Ökofeminismus geben. Dieser geht davon aus, dass die Wurzeln der Zerstörung der Natur und der Unterdrückung der Frauen die gleichen sind. Soll die Welt also gerettet werden, gilt es, das Patriarchat zu überwinden, so die Argumentation. Im Gespräch mit ORF.at erzählen Expertinnen, warum es dieses ganzheitlichen Blicks bedarf, welche Rolle unbezahlte Arbeit dabei spielt und wieso Ökofeminismus nichts mit esoterischen Yoga-Schwesternzirkeln zu tun hat.

„Die Klimakrise ist ein Frauenthema“, heißt es seitens der UNO-Frauenorganisation, die sich weltweit für die Stärkung von Frauenrechten und die Gleichstellung der Geschlechter einsetzt. So sind Frauen etwa ungleich stärker von der Klimakrise betroffen als Männer – vor allem „weil sie zu einem größeren Teil unter Armut leiden und proportional stärker von bedrohten natürlichen Ressourcen abhängig sind“.

Denn während Männer meist in urbanen Zentren arbeiten würden, seien etwa ein Viertel aller erwerbstätigen Frauen in der Landwirtschaft tätig. Dort seien sie mit den Folgen der Klimakrise direkt konfrontiert. „Es sind die Frauen, die die Veränderungen des Klimas sehen. Etwa wenn Dürreperioden länger werden und sie längere Wege zurücklegen müssen, um Wasser zu holen“, sagt auch Gina Cortes vom internationalen Netzwerk Women Engage for a Common Future (WECF). Die gebürtige Kolumbianerin und Aktivistin arbeitet im Bereich „Gender und Klimapolitik“ und setzt sich, mittlerweile in München, für die Rechte von Frauen, aber eben auch für die Rechte der Natur ein.

Frauen beim Wasserholen in Ouagadougou, Burkina Faso
Reuters/Zohra Bensemra
Laut UNO müssen Frauen stärker mit den Folgen der Klimakrise kämpfen – nicht nur, weil sie meist ärmer, sondern weil sie auch abhängiger von bedrohten natürlichen Ressourcen sind

Beherrschung der Natur und Frau

Als Aktivistin bezeichnet sich auch die feministisch-ökologische Ökonomin Corinna Dengler von der Wirtschaftsuniversität Wien. Ihre Forschung verbindet die Themen Ökonomie, Ökologie und Feminismus. Dengler verweist darauf, dass ein Großteil der unbezahlten Arbeit (Care-Arbeit), also die Pflegearbeit sowie häusliche Arbeiten in der Familie, seit jeher von Frauen übernommen werden – und sieht in dieser Ausbeutung Parallelen zur Ausbeutung der Umwelt: „Natur und unbezahlte Arbeit ähneln einander darin, dass sie in unserem Wirtschaftssystem auf gleiche Weise unsichtbar gemacht und sozial gering geschätzt werden.“

Literatur zum Thema

  • Francoise d’Eaubonne: Feminismus oder Tod
  • Maria Mies und Vandana Shiva: Ökofeminismus
  • Anke Graneß: Ökofeminismus. In: Feministische Theorie aus Afrika, Asien und Lateinamerika
  • Elisabeth Klatzer und Lisa M. Seebacher: Geschlechtergerechtigkeit: Unverzichtbar auf dem Weg zu Klimagerechtigkeit. In: Klimasoziale Politik

Genau an diesem Punkt setzt Ökofeminismus an. Die Philosophin und Genderforscherin Anke Graneß schreibt dazu: „Ökofeministische Theorien vertreten die Grundthese, dass es strukturelle Ähnlichkeit in der Beherrschung der Natur und der Frauen gibt und dass die Befreiung der Frau und der Natur nicht getrennt voneinander betrachtet werden können.“ Ökofeminismus stelle einem patriarchalen, auf Beherrschung, Fortschritt und Wachstum ausgerichtetem Weltbild eine Alternative entgegen, „in der Mensch und Natur als eine Einheit verstanden werden“.

„Feminismus oder Tod“

Aufgekommen in den späten 70er Jahren mit den neuen Umwelt-, Friedens- und Frauenbewegungen, trat Ökofeminismus erstmals für eine Vereinigung feministischer und ökologischer Interessen ein – zu Beginn noch recht radikal. So lautete der Titel des ersten Werks, in dem der Begriff Ökofeminismus auftauchte: „Feminismus oder Tod“. Die Französin Francoise d’Eaubonne schrieb 1975 darin: „Der Planet muss dem Mann von heute entrissen werden, um ihn der Menschheit von morgen zu übergeben. Das ist die einzige Alternative, denn wenn die männliche Gesellschaft weiterbesteht, gibt es morgen keine Menschheit mehr.“

Demonstrierende Frauen bei einer Klimademo
WECF
„Feministinnen gegen den Klimawandel“, steht auf dem Banner der Ökofeministinnen – Cortes in der Mitte mit Megafon

„Man wird nicht als Frau geboren“

Freilich blieb auch Eaubonne nicht von Kritik verschont – nicht zuletzt von Feministinnen selbst. Diese bemängelten vor allem die Verallgemeinerungen „die Frauen“ vs. „die Männer“ sowie die Behauptung, dass automatisch eine gewisse Nähe von Frauen zu Natur und Fürsorge existiert. Dengler zufolge gebe es diese zwar, mit Biologie habe das allerdings „überhaupt nichts“ zu tun. Vielmehr werden Mädchen von ihrer Geburt an in eine gewisse gesellschaftliche Norm und vergeschlechtlichte Arbeitsteilung „hineinsozialisiert“ – man denke nur an das Spielen mit Puppen, wo es darum gehe, sich um andere zu kümmern.

Fürsorge und Verantwortung sind folglich etwas, das Frauen gelernt haben – ganz im Sinne von Simone de Beauvoirs Ausspruch: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird zur Frau gemacht.“ Auch Cortes meint: „Wir müssen tiefer gehen, hinter die Idee, dass Frauen automatisch Umweltschützerinnen sind. Wir müssen besser verstehen, wie wir als Gesellschaft unsere stereotypen Rollen zugeteilt bekommen.“

Kampf gegen Patriarchat statt Yoga-Frauenzirkel

Den Vorwurf der Mystifizierung einer besonderen weiblichen Naturverbundenheit weist Dengler ebenso zurück. Ökofeminismus sei nichts Esoterisches, „kein Yoga-Frauenzirkel“. Und: „Es geht nicht um Individuen, nicht darum, welches Geschlecht man bei der Geburt zugeschrieben bekomme hat, sondern um den gemeinsamen Kampf gegen ein patriarchales System.“ Daran könnten Männer ebenso beteiligt sein, wie Frauen nicht beteiligt. Seit Jahrzehnten wird von Feministinnen und Feministen hierbei etwa eine Veränderung der bisherigen Arbeitsteilung gefordert.

Frau bei der Ernte in Indien
AP/Anupam Nath
Liegt Klimaschutz prinzipiell „in der Natur der Frau“? Nein, meinen Ökofeministinnen – vielmehr sei ihre Arbeitstätigkeit ausschlaggebend

Verschiedene Kämpfe, verschiedene Formen

„Generell geht es auch im Ökofeminismus darum, queere Perspektiven miteinzubeziehen und weg von dem binären Denken in zwei Geschlechtern zu kommen“, sagt Dengler. Ökofeminismus habe nicht nur eine Form, sondern mehrere, meint auch Cortes. Es sei ein Konzept, das vom Kontext und der Geschichte verschiedener Regionen geformt wurde. Schließlich seien auch die Kämpfe, die geführt werden, immer andere – in den Städten wie am Land, im Globalen Süden wie im Globalen Norden, mit oder ohne dunkler Hautfarbe. Cortes fordert einen breiteren Zugang, um diese Diversität zu erkennen.

Gina Cortes
WECF/Annabelle Avril
Gina Cortes vom internationalen Netzwerk Women Engage for a Common Future (WECF) fordert, die Realität in all ihren Facetten anzuerkennen, um so zu besseren Lösungen für die Klimakrise zu kommen

Gerade dank verschiedener Bewegungen wie jener der LGBTQ-, „People of Color“- oder indigenen Gemeinschaft gebe es einen intersektionaleren Zugang, so Cortes. Darunter versteht sie, dass man „wie durch ein Prisma“ mehre Arten sozialer Ungleichheiten betrachten müsse. Auch Dengler appelliert, zu verstehen, wie Machtungleichheiten zusammenhängen. Zerstörung der Natur, Patriarchat, Kolonialität, Rassismus, Klassenverhältnisse – all das gehöre zusammen und beeinflusse sich gegenseitig.

Warum Ökofeminismus?

Doch welche Rolle kann Ökofeminismus hier spielen? „Ich glaube, dass es wichtig ist, anzuerkennen, dass wir in einer sehr komplexen Realität leben. Und dieser können wir nicht gerecht werden, wenn wir uns nur auf eine Sache, zum Beispiel die Klimakrise, fokussieren“, sagt Dengler. Nur wenn man diese Machtverhältnisse zusammen denke, könnten alternative Lösungen sichtbar werden. Als Negativbeispiel nennt Dengler die fiktive Erzählung „Handmaid’s Tale“ von einer dystopischen Gesellschaft, wo zwar Klimaschutz oberste Priorität ist, Frauenrechte aber de facto ausgelöscht wurden.

Machtverhältnisse „grundlegend ändern“

In dem Buch „Klimasoziale Politik“ heißt es dazu etwa: Wichtig sei zwar, mehr Frauen in internationale klimapolitische Entscheidungen einzubeziehen, die Herausforderung bestehe aber darin, prinzipiell „geeignete Ansatzpunkte zu finden, um die gesellschaftlichen Machtverhältnisse grundlegend zu verändern und besser zu verstehen, wie Transformationsprozesse strategisch auf den Weg gebracht werden können“.

Cortes zufolge liegt die Herausforderung darin, „dass die Klimapolitik diese unterschiedlichen Realitäten anerkennen muss“. So könnte es etwa sein, dass es in ruralen Gebieten in Afrika deshalb weniger Solarpanels für Erneuerbare Energien gibt, weil Frauen dort schwieriger einen Kredit bekommen würden. All das müsse bei der Suche nach Lösungen mitbedacht werden.

„Hoffnung in das, was von unten kommt“

Das Patriarchat zerstören, den Planeten retten? Sowohl Cortes als auch Dengler sehen im Ökofeminismus Potenzial, um Krisen zu überwinden. Cortes, weil sie es anhand ihrer Arbeit mit Graswurzelbewegungen selbst gesehen habe: Veränderung sei im Kleinen ebenso wie im Großen möglich. Auch Dengler lässt vor allem die starke Mobilisierung im Feminismus und die generelle Politisierung der Klimakrise hoffnungsvoller in die Zukunft blicken.

„Von der Zivilgesellschaft ist der Druck, der auf Regierungen aufgebaut ist, sehr hoch.“ Dennoch vermisse Dengler „effektive“ politische Maßnahmen. „Wenn ich sage, ich schaue optimistisch in die Zukunft, habe ich Hoffnung in das, was von unten kommt. Und nicht in den nächsten Klimagipfel.“