Ukrainische Frau mit ihrem Kind
APA/AFP/Peter Lazar
Ukraine-Flüchtlinge

Solidarität in Notsituation wächst

Die Angriffe Russlands auf die Ukraine haben in den vergangenen Tagen eine neue Fluchtbewegung ausgelöst. Die Vereinten Nationen (UNO) stellen sich auf vier Millionen Flüchtlinge ein, bisher verließ eine Million Menschen ihr Heimatland. Nicht alle wollen in den Nachbarländern der Ukraine bleiben und ziehen weiter in den Westen, wo die Solidarität von Tag zu Tag zu wachsen scheint.

Viele Menschen bieten in sozialen Netzwerken private Unterkünfte für ankommende Flüchtlinge aus der Ukraine an. Auch in Österreich werden insbesondere über Facebook und Twitter Quartiere zur Verfügung gestellt. Um ebendiese privaten Initiativen zu bündeln, hat die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) eine Plattform geschaffen, über die Schlafplätze für Flüchtlinge angeboten werden können.

Wie viele Personen sich bisher nach Österreich durchgeschlagen haben, ist allerdings noch schwer einzuschätzen, da sie sich nicht melden müssen. Ukrainer und Ukrainerinnen können sich wie volle Mitglieder im Schengen-Raum drei Monate frei bewegen. Das heißt, sie können von Österreich auch in andere Länder weiterreisen. Enden die 90 Tage, kann aus humanitären Gründen um ein Visum angesucht werden, wie das Innenministerium auf seiner Website schreibt.

Wie Österreich der Ukraine helfen will

In der Regierungssitzung wurde am Mittwoch fixiert, 15 Millionen Euro aus dem Katastrophenfonds zur Unterstützung der ukrainischen Bevölkerung zur Verfügung zu stellen.

Die Aufenthaltsdauer könnte allerdings noch ausgeweitet werden. Ein Notfallplan der Europäischen Kommission sieht nämlich vor, dass Flüchtlinge vorerst zwei Jahre lang in der Europäischen Union bleiben könnten. Dem Vorschlag zufolge sollen die aus der Ukraine geflüchteten Menschen vorläufige Aufenthaltstitel in der EU erhalten. Über den Plan soll am Donnerstag verhandelt werden. Österreich hat sich zur Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen bereiterklärt und eine Zustimmung zum EU-Vorschlag signalisiert.

Erinnerungen an 2015

Doch auch schon jetzt werden Vorkehrungen für Flüchtlinge getroffen. In Wien wurde eine „Ankunftshalle“ organisiert – mehr dazu in wien.ORF.at. Im Burgenland wird die Nova-Rock-Halle zu einem Sammelquartier umfunktioniert – mehr dazu in burgenland.ORF.at. Und in zahlreichen Gemeinden werden Sachspenden für das Krisengebiet gesammelt – mehr dazu in kaernten.ORF.at und ooe.ORF.at. Aus Niederösterreich und der Steiermark machen sich bereits Menschen auf den Weg zur Grenze – mehr dazu in noe.ORF.at und steiermark.ORF.at.

Feldbetten in einer Sporthalle
APA/Tobias Steinmaurer
In einer „Ankunftshalle“ in Wien wurden bereits Betten für Flüchtlinge aufgestellt

Die Initiativen und Vorkehrungen wecken Erinnerungen an das Jahr 2015, als zahlreiche Menschen aus Syrien nach Europa kamen, um Schutz vor den Angriffen des dortigen Machthabers Baschar al-Assad zu suchen. Ein Vergleich zu damals dränge sich freilich auf, sagt Migrationsexpertin Judith Kohlenberger von der Wirtschaftsuniversität Wien im Gespräch mit ORF.at. „Die Stimmung heute ist ähnlich wie im Jahr 2015. Man denke an die Willkommenskultur und die zahlreichen Projekte und Initiativen, die aus dem Boden gestampft wurden.“

Strukturen für Flüchtlingshilfe geschaffen

Prägend sei damals das zivilgesellschaftliche Engagement gewesen, betont Kohlenberger. Private Organisationen und Vereine sprangen ein, wenn der Staat nicht mehr weiterwusste. Für Flüchtlinge, darunter viele Kinder, wurden Unterkünfte bereitgestellt und Sachspenden organisiert. Erst später habe die Verwaltung besser auf die Situation reagiert, sagt die Expertin. Allerdings blieb die anschließende Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft nie vollkommen friktionsfrei. „Eine Kooperation zwischen Staat, Zivilgesellschaft und NGOs könnte und muss heute viel besser laufen.“

Flüchtlinge aus der Ukraine in Rumänien
Reuters/Inquam Photos/Octav Ganea
Viele ukrainische Flüchtlinge befinden sich bereits in den Nachbarstaaten Polen, Moldawien und Rumänien – hier nahe Bukarest

Zumindest könne man heute von den Erfahrungen der vergangenen Jahre profitieren, erklärt Kohlenberger. Vor sieben oder acht Jahren habe die Politik Warnungen über eine starke Fluchtbewegung nach Europa ignoriert und sich deshalb kaum vorbereitet. Heute würden alle wissen, wie schnell sich Tausende Menschen auf den Weg machen können, um Schutz zu suchen „Man kann auf viel Expertise und auf bereits geschaffene Strukturen zurückgreifen, auch in der Zivilgesellschaft hat man sich viel Wissen angeeignet“, betont die Forscherin.

„Krisen dauern an“

Dass versucht wird, gemeinsam an einem Strang zu ziehen, zeigt sich derzeit insbesondere auf europäischer Ebene. Selten hat sich die Europäische Union geschlossener gezeigt als im Zuge des Ukraine-Krieges. Nicht nur, dass die russischen Angriffe verurteilt wurden und man Russland mit Sanktionen überhäufte. Auch der Streit über die Verteilung von Flüchtlingen wurde – vorerst – beigelegt. Bisher habe noch kein EU-Land um die Umverteilung von Flüchtlingen aus der Ukraine gebeten, hieß es vonseiten der EU-Kommission.

Spendenaufruf

Der ORF und die Stiftung Nachbar in Not bitten um Spenden – mehr dazu in nachbarinnot.ORF.at.

Vor dem Hintergrund der Solidarität mit der Ukraine betonte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), dass es sich bei ukrainischen Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen nicht um klassische Flüchtlinge handle, sondern um Europäer und Europäerinnen, die nachbarschaftlichen Schutz benötigten. Migrationsforscherin Kohlenberger verweist darauf, dass die geografische Nähe zu einem Krisengebiet ein stärkeres Solidaritätsgefühl mit Geflüchteten hervorrufen kann.

Allerdings stelle sich bei allen Fluchtbewegungen immer die Frage, wie nachhaltig die Solidarität ist. Die Stimmung in der Bevölkerung könne sich auch schnell drehen, wie es nach dem Jahr 2015 geschah. Kohlenberger: „Krisen dauern an, Menschen benötigen länger Hilfe, und viele von ihnen werden vielleicht dauerhaft im Land bleiben. Die geografische Nähe allein reicht nicht, um mögliche Ressentiments gegenüber Flüchtlingen zu verhindern.“