Windturbinen vor einem Kohlekraftwerk
Reuters/Ina Fassbender
Folge des Ukraine-Konflikts

Abrücken von Energiewende befürchtet

Russlands Angriff auf die Ukraine wird von einigen Ländern in Europa als endgültiger Anstoß für mehr Energieunabhängigkeit und Klimaneutralität gesehen. In Deutschland und Österreich zeichnet sich jedoch ein gemischtes Bild ab: Ein vermehrter Einsatz von Flüssiggas, Rückkehr zu Kohle und ein Stopp der österreichischen CO2-Bepreisung stehen im Raum und könnten zu einem Rückschritt in der Energiewende führen.

Er ist inmitten der Schlagzeilen der vergangenen Wochen beinahe untergegangen: der zweite Teil des Weltklimaberichts, der am Montag veröffentlicht wurde und einmal mehr eindringlich an die Weltpolitik appelliert, die CO2-Emissionen in der Atmosphäre durch einen schrittweisen Ausstieg aus den fossilen Energieträgern Kohle, Gas und Öl drastisch zu reduzieren.

Die Kollateralschäden des Ukraine-Kriegs könnten diesen Ausstieg vorantreiben: Russland ist ein wichtiges Herkunftsland für Rohstoffe, weshalb sich die aktuelle Situation auch auf die Energiemärkte auswirkt. Österreich ist stark von russischen Gaslieferungen abhängig – ungefähr 60 Prozent des hierzulande verbrauchten Erdgases stammen vom russischen Konzern Gasprom, mit dem es auch langfristige Lieferverträge gibt.

Gaspreis im Höhenflug

Schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine hatte der Gaspreis in den vergangenen Monaten deutlich zugelegt, am Tag der Invasion schoss er jedoch mit 117 Euro pro Megawattstunde um 40 Prozent deutlich in die Höhe. Am Mittwoch hatte der Preis für Erdgas in Europa mit 194,715 Euro pro Megawattstunde ein neues Rekordhoch erreicht.

„Erdgas zeigt gerade sein hässliches Gesicht, es ist nicht nur schlecht fürs Klima, es macht uns abhängig, es macht uns verwundbar“, sagte Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) vor einem EU-Sondertreffen am Montag. Die Situation sei „ernst“, man sei aber „gut vorbereitet“ und die Versorgung der heimischen Haushalte gesichert. Derzeit, so Gewessler, laufe der Gasfluss wie die letzten Tage.

Klimabewegung: „Akutmilliarde“ für Erneuerbare

In Reaktion auf den Krieg in der Ukraine drängt die Klimabewegung rund um Greenpeace und „Fridays for Future“ auf einen beschleunigten Umbau des Energiesystems auf Erneuerbare. Österreich solle nicht länger durch seine Abhängigkeit von fossilen Energien kriegerische Konflikte mitfinanzieren, forderten Vertreter von Greenpeace und „Fridays for Future“ im Rahmen eines Pressegesprächs am Donnerstag. „Das Credo muss heißen: Kein Cent mehr für Putin und seinen Krieg“, so Jasmin Duregger von Greenpeace.

Erneuerbare Energien sollten gefördert werden, der Einbau neuer Gasheizungen gestoppt und der Umstieg auf erneuerbare Wärme im öffentlichen Sektor mit Hilfe einer „Akutmilliarde“ gefördert werden. Daneben sollen auch langfristige Maßnahmen für die Wärmewende, nachhaltige Mobilität und Energieeffizienz sowie ein Investitionsstopp in fossile Gasinfrastruktur umgesetzt werden, um „Pfadabhängigkeiten“ zu vermeiden.

Putins Gas: Was sind die Alternativen?

Österreich hängt seit Jahrzehnten am russischen Gashahn. Knapp 80 Prozent kommen aktuell aus Russland. Aufgrund des Ukraine-Krieges will die Politik diese Abhängigkeit nun beenden, aber was sind die Alternativen und wo nehmen wir dann kurzfristig das Gas her? Langfristig soll es sogar einen kompletten Umstieg auf erneuerbare Energien geben. Was bedeutet das konkret für die Haushalte und die Industrie und was kostet es?

Sozialpartner: CO2-Bepreisung verschieben

Während Klimaschutzorganisationen einen Ausstieg aus fossiler Energie fordern, stellen Österreichs Sozialpartner eine Verschiebung der für Juli geplanten CO2-Steuer in den Raum, die die Benzin- und Dieselpreise noch zusätzlich in die Höhe treiben würde. „Alle Preiserhöhungen belasten die Menschen und senken die Kaufkraft, gleichzeitig nimmt der Finanzminister mehr Geld ein. Dieses Ungleichgewicht tut dem Land nicht gut“, so Salzburgs Arbeiterkammer-Präsident Peter Eder (SPÖ).

Die aktuelle Lage bei den Energiepreisen mache eine Neubewertung der energiepolitischen Pläne notwendig, forderte auch Salzburgs Wirtschaftskammer-Präsident Peter Buchmüller (ÖVP). „In der jetzigen Situation muss den Betrieben und Konsumenten schnell geholfen werden, am einfachsten, indem man Abgaben auf Strom und Gas senkt."

Deutschland: Verzögerung bei Kohleausstieg befürchtet

Geht es nach den ambitionierten Klimaschutzregeln der deutschen Bundesregierung, müssen die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mehr als die Hälfte reduziert werden – was langfristig auch den Ausstieg aus Kohle bedeutet, den die deutsche Bundesregierung bis 2030, spätestens bis 2038, vorsieht. „Die Kohle ist zu schmutzig, um damit den Strombedarf bei geringerem CO2-Budget zu decken“, analysierte die „Zeit“ 2019.

Während bei Erdgas „nur“ 375 Gramm CO2 je Kilowattstunde entstehen würden, verursache die Stromproduktion per Braunkohle 1.008 Gramm CO2 im gleichen Zeitraum. In den ursprünglichen Berechnungen der deutschen Bundesregierung ist ein möglicher Versorgungsengpass durch Gas jedoch nicht einkalkuliert worden, was den schrittweisen Rückzug aus Kohle schwieriger gestalten könnte.

Für den Strommarkt in Europa und insbesondere für Deutschland bedeute die jetzige Situation, „dass anstatt Gaskraftwerken viel, viel mehr Kohle laufen wird in den nächsten Jahren“, so der Energieexperte Florian Haslauer am Donnerstag im Ö1-Morgenjournal. „Der Kohleausstieg wird verschoben werden. Wir werden zukünftig eben mehr Atomkraft und mehr Kohlekraft anstatt Gaskraftwerken im Markt haben.“

Diskussion über Atomkraft erneut entflammt

Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erklärte am Mittwoch, er wolle angesichts des Krieges in der Ukraine die Energieversorgung lieber durch Kernenergie sichern als durch Kohlekraftwerke. Ein längerer Betrieb der verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland könne für einen „kurz begrenzten“ Zeitraum „sehr helfen“, so die Erklärung Söders nach einer Kabinettssitzung in München.

Neben dem Atomausstieg möchte Deutschlands Ampelregierung jedoch auch am Kohleausstieg festhalten. „Ich halte es für verfrüht, den Kohleausstieg 2030 abzuschreiben“, so der FDP-Politiker Lukas Köhler gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Bevor die Laufzeiten der alten AKWs verlängert würden, könne er sich jedoch eher vorstellen, alte Kohlekraftwerke noch etwas länger zu betreiben, so Köhler.

Flüssiggas als wenig nachhaltige Alternative

Österreich tue sich in dieser Hinsicht zwar etwas leichter, da mit Wasserkraft Grundlastkapazitäten zur Verfügung stünden, so Haslauer. Trotzdem sei Österreich ein Stromimportland und auf Stromimporte angewiesen. Dabei werde es sich dann um mehr Kohlestrom anstelle von Strom aus Gas handeln.

Auch die Ökonomin Siegrid Stagl von der Wirtschaftsuniversität Wien schließt nicht aus, dass durch die aktuell hohen Gaspreise und das verknappte Angebot die angestrebten Klimaziele weiter in die Ferne rücken. „Die Gefahr besteht“, so Stagl im Ö1-Mittagsjournal. „Wenn man keine zusätzlichen Maßnahmen ergreift, dann würde das heißen, dass man viel mehr Flüssiggas importiert, und das wäre ökologisch nicht wünschenswert.“

Wegen der großen Mengen des Klimagases Methan, die durch Fördern, Transportieren und Verbrennen des Gases freigesetzt würden, ist die Klimabilanz von Flüssiggas fragwürdig. „Es wird uns nicht gelingen, uns innerhalb von ein paar Monaten von Gas unabhängig zu machen“, so Stagl. „Aber unabhängig von russischem Gas vielleicht schon. Wichtig ist dabei, dass man alternativen Quellen wie Flüssiggas wirklich als kurzfristige Übergangslösung sieht.“

Zehnpunkteplan gegen Abhängigkeit

Die Internationale Energieagentur (IAE) hat am Donnerstag einen Zehnpunkteplan vorgestellt, der skizziert, wie es der EU gelingen könnte, die Gasimporte aus Russland zu reduzieren – und dabei auch den europäischen „Green Deal“ zu berücksichtigen.

Dieser besagt unter anderem, dass die 2022 auslaufenden Gaslieferverträge mit Russland nicht verlängert werden sollten, Mindestspeicherverpflichtungen eingeführt, Windkraft- und Photovoltaik ausgebaut und der Ersatz von Gasheizungen durch Wärmepumpen beschleunigt werden sollten. Würden diese Maßnahmen noch dieses Jahr umgesetzt, könnten russische Gasimporte um ein Drittel oder sogar um die Hälfte gekürzt werden, so die IAE.