Ukraine

Filmemacherinnen dokumentieren den Krieg

Filmemacherinnen und Filmemacher in der Ukraine haben sich organisiert, um den Krieg zu dokumentieren. Später soll das Material Grundlage für Kriegsverbrecherprozesse sein. Eine der Organisatorinnen, Darya Bassel, sprach mit ORF.at über ihre Lage und ihre Gefühle – und über das Dokumentationsprojekt, aus dem erste, sorgsam ausgewählte Bilder gezeigt werden.

Bassel ist eine junge, hochenergetische Filmproduzentin aus der Ukraine. Gerade erst wurde mit „A House Made of Splinters“ eine von ihr koproduzierte Doku beim Sundance Festival mit dem Regiepreis ausgezeichnet. Und ihre viel beachtete Produktion „Sickfuckpeople“ über Jugendliche, die nach einer Drogensucht ihren Weg zurück ins Leben suchen, ging um die ganze Welt. Auch derzeit steckt sie – eigentlich – mitten in der Produktion eines Films.

Doch schon am ersten Tag des Krieges beschloss sie, gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten und dessen Sohn Kiew zu verlassen. Die drei halten sich derzeit in relativer Sicherheit in einer ukrainischen Kleinstadt auf. Von dort aus organisiert Bassel als eine von mehreren Filmschaffenden die Dokumentation von Kriegsverbrechen. Sie geht davon aus, dass Wladimir Putin und die gesamte russische Regierung später vor einem internationalen Kriegsverbrechertribunal zur Rechenschaft gezogen werden. Dafür braucht es Beweismaterial.

Einschläge auf Spielplatz und in Wohnhaus

Erst am Wochenende hatte US-Außenminister Antony Blinken von sehr glaubwürdigen Berichten über gezielte Angriffe auf Zivilisten gesprochen, die man sorgfältig dokumentieren werde. Bereits jetzt haben die ukrainischen Filmschaffenden Material gesammelt, das entsprechende Bilder zeigt. Einer von ihnen zeigt etwa die Folgen eines Raketenangriffs auf ein Wohnhaus, bei dem Menschen ums Leben gekommen sind. Hörbar entsetzt kommentiert er, was er sieht – und was er nicht sieht: militärische Objekte, denen der Angriff gelten hätte können. Eine der Raketen steckt im Boden gleich bei einem Spielplatz, eine andere hat Teile des obersten Stockwerks des Wohnhauses zerstört.

Der Einsatz ist gefährlich. Bassel sammelt Spenden nicht nur, um die Filmschaffenden mit Benzin, USB-Kabeln und Powerbanks zu versorgen, sondern auch mit kugelsicheren Westen und Helmen. Andere, die mit dem Projekt assoziiert sind, wollen ihren Namen nicht nennen, aus Sorge, das Opfer gezielter Angriffe zu werden. Bassel entschied sich, an die Öffentlichkeit zu gehen. So gab sie auch dem „Variety“-Magazin bereits ein Interview.

Wider die Propagandalügen

Die Dokumentation von Kriegsverbrechen für ein Tribunal ist freilich nur einer der Gründe, die Geschehnisse festzuhalten. Das Material wird schon jetzt internationalen Journalistinnen und Journalisten zur Verfügung gestellt. Was russische Medien an Propagandalügen verbreiten, das will sich Bassel demgegenüber nicht einmal anschauen – aus Sorge um ihre psychische Gesundheit. Und neben journalistischen Beiträgen sollen, viel später, auch längere Dokumentationen aus den Aufnahmen entstehen.

Jene Ausschnitte, die ORF.at im Video weiter oben zeigt, sind sorgsam ausgewählt. Es werden, um niemanden zu triggern, keine Leichen und keine Verwundeten gezeigt und auch keine Gesichter außer jenes von Bassel, damit niemand identifiziert werden kann. Das Material, das der Redaktion vorliegt, ist um ein Vielfaches drastischer als jenes, das gezeigt wird.

Sean Penn aus Ukraine zurückgekehrt

Die Gruppe rund um Bassel ist nicht die einzige, die den Krieg dokumentiert. So existiert etwa die Gruppe „Babylon 13“ schon seit der ukrainischen Revolution Ende 2013, Anfang 2014. Auf ihrem YouTube-Kanal sind hauptsächlich Smartphone-Videos zu sehen, die äußerst verstörend sind.

Das prominenteste Projekt in Sachen Dokumentation ist selbstredend jenes des US-amerikanischen Schauspielers und Regisseurs Sean Penn, der erst vor wenigen Tagen aus der Ukraine zurückkehrte. Seit November 2021 hatte er an einem Dokumentarfilm gearbeitet, der die „Wahrheit über die Geschehnisse“ erzählen soll, wie es in Medienberichten heißt.

Demnach habe er großes Lob für dieses Vorhaben vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski erhalten, Penn beweise „Mut und Ehrlichkeit“. Der Schauspieler hatte unter anderem an einer Pressekonferenz von Regierungsvertretern teilgenommen und sich mit Medien und Militärs ausgetauscht, um mehr über die Verteidigungsstrategie der Ukraine zu erfahren.

„Wir müssen das gemeinsam stoppen“

Bassel jedenfalls entschied sich mit ihrem Lebensgefährten bewusst dafür, in der Ukraine zu bleiben, um Freunde und Verwandte zu unterstützen. Vor allem um ihre betagten Eltern in Odessa macht sich Bassel Sorgen. An die Menschen außerhalb der Ukraine richtet sie den Appell, den Kampf gegen den Krieg als gemeinsames, europäisches Anliegen zu sehen: „Wir müssen das gemeinsam stoppen.“