Atomkraftwerk Saporischschja
AP/Planet Labs PBC
Nach Kampf um AKW Saporischschja

Sorge um nukleare Sicherheit geht um

Nach dem – mittlerweile gelöschten – Brand in Europas größtem AKW Saporischschja beim Vormarsch russischer Truppen im Süden der Ukraine ist weltweit die Sorge um die nukleare Sicherheit gewachsen. Russische Truppen haben das Gelände erobert, bei den Kämpfen wurde ein Gebäude – kein Reaktor – in Brand gesetzt. Laut der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) gibt es keine erhöhte Strahlung im AKW. IAEA-Chef Rafael Mariano Grossi will aber nun selbst hinreisen, um die Sicherheit der Anlage zu prüfen.

Russische Truppen eroberten das AKW nach einem Gefecht in den frühen Morgenstunden. Bei den Kämpfen ging ein fünfstöckiges Trainingsgebäude in Flammen auf. Ukraine und Russland beschuldigen einander. Experten befürchten, dass im schlimmsten Fall eine fehlgeleitete Granate oder Rakete reichen könnte, um einen atomaren GAU auszulösen. Die Gefahr geht dabei weniger von den mit Betonmänteln eingehüllten Reaktoren aus, vielmehr den Kühlbecken, in denen verbrauchte atomare Brennstäbe teils jahrelang gelagert werden, um sie abzukühlen.

Wie IAEA-Chef Grossi in einer eilig einberufenen Pressekonferenz in Wien betonte, trat keine Strahlung aus. Der Brand auf dem Gelände habe „keine essenzielle Ausrüstung“ betroffen. Auch die ukrainische Atombehörde hatte zuvor beruhigt und betont, man habe keine erhöhte Strahlung gemessen.

AKW Saporischschja getroffen

Nach einem russischen Angriff auf das AKW Saporischschja hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski Russland „Nuklearterror" vorgeworfen. Kein anderes Land der Welt habe jemals Atomanlagen beschossen, sagte Selenski in einer in der Nacht veröffentlichten Videobotschaft. „Der Terroristenstaat verlegt sich jetzt auf Nuklearterror.“ Offenbar wolle Russland die Atomkatastrophe von Tschernobyl „wiederholen“, sagt Selenski.

IAEA: „Lage weiter extrem angespannt“

Laut Grossi teilte ihm der Betreiber aber mit, dass die Situation „weiter extrem angespannt und herausfordernd“ ist. Derzeit wird die Anlage weiter ausschließlich von der ukrainischen Belegschaft betreut. Laut Grossi ist derzeit nur ein Reaktor in Betrieb. Dieser laufe auf einer Kapazität von 60 Prozent.

Grossi möchte nun selbst in die Ukraine reisen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Unklar ist aber, ob die Ukraine und vor allem die russische Seite angesichts der militärisch weiter unklaren Lage zustimmen werden.

IAEA-Chef Grossi will AKW inspizieren

Der Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Mariano Grossi, ist bereit, persönlich zum ukrainischen Atomkraftwerk zu reisen, um die Sicherheit der Anlage zu prüfen. „Ich bin bereit zu kommen“, sagt Grossi am Sitz der IAEA in Wien.

Die UNO-Behörde hatte sich schon in der Vorwoche besorgt über Kämpfe in der Nähe des AKW Tschernobyl gezeigt. Grossi schlug Tschernobyl als Ort für Verhandlungen über Sicherheitsgarantien für Atomkraftwerke zwischen Russland und der Ukraine vor. „Für uns als IAEA ist es Zeit zu handeln, wir müssen etwas tun“, sagte der Argentinier.

Regierung beruhigt

Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) sagte, Experten würden keine Gefahr für Österreich sehen, doch müssten diese Einschätzungen auch neu bewertet werden. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) appellierte an Russland, „maßgeblich darauf zu achten, dass es zu keinen Kampfhandlungen in der Nähe von Atomkraftwerken kommt“. Die Folgen wären „unabschätzbar“. Er forderte Russland auf, Schutzzonen um AKWs zu achten. Die russische Armee und Putin würden im wahrsten Sinn „mit dem Feuer spielen“, sagte Nehammer am Freitag nach einem gemeinsamen Lagebriefing mit Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) in der Strahlenschutzabteilung des Klimaschutzministeriums in Wien. Gewessler nannte den Beschuss einen „inakzeptablen Akt“, betonte aber auch, dass für „Österreich keine Gefahr besteht“. „Trotzdem zeigen uns die Ereignisse auch: Die Atomkraft ist eine gefährliche Technologie.“

BOKU-Experte: Keine unmittelbare Gefahr für Österreich

Für eine militärische Übernahme eines AKW, wie sie den russischen Truppen offenbar nun erfolgreich beim ukrainischen Kernkraftwerk Saporischschja gelang, gebe es „keinen Präzedenzfall“, so der Risikoforscher Nikolaus Müllner. Er blicke „sehr beunruhigt“ in Richtung von Europas größtem AKW, da solche Anlagen gegen viele Bedrohungen ausgerichtet sind, für militärische Angriffe jedoch nicht.

Unmittelbare Gefahr für Österreich sieht der Experte nicht. Der AKW-Typ sei mit dem von Tschernobyl nicht vergleichbar. Wenn das AKW intakt bleibe, könnten Sicherheitssysteme automatisch agieren, so Müllner. Die sechs Reaktoren sind mit einem massiven Betonmantel umhüllt.

International scharfe Reaktionen

Der mutmaßliche russische Beschuss des AKW wurde international scharf verurteilt. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach von „Rücksichtslosigkeit“. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski ging von einem absichtlichen Angriff aus und betonte, dass nur eine Flugverbotszone Russland davon abhalten werde, Atomanlagen zu bombardieren.

Ob der Beschuss Teil eines geplanten Angriffs war oder nicht, ist nicht zu klären. Großbritannien und Frankreich gingen am Freitagnachmittag von einem vorsätzlichen Angriff aus. „Das ist das erste Mal, dass ein Staat ein (mit Brennstäben) bestücktes und funktionierendes Atomkraftwerk angegriffen hat. Und es ist eindeutig durch das Völkerrecht und die Genfer Konventionen verboten“, so die britische UNO-Botschafterin Barbara Woodward vor einer Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats in New York. Der französische UNO-Botschafter Nicolas de Riviere sagte, der Vorfall „impliziert einen Angriff“ auf das Atomkraftwerk.

„Aufs Schärfste“ verurteilte auch das österreichische Außenministerium den russischen Beschuss. „Dieser Angriff ist eine Bedrohung der Sicherheit von jedem einzelnen Europäer“, hieß es am Freitag in einem englischsprachigen Tweet. „Russland muss seine waghalsigen Taten sofort beenden.“

Karte zeigt Atomkraftwerke in der Ukraine
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Global 2000

Der deutsche Oppositionsführer Friedrich Merz brachte indes einen gezielten NATO-Eingriff in den Ukraine-Krieg ins Spiel, wenn es gezielte russische Angriffe auf Atomkraftwerke geben sollte. „Es kann eine Situation geben, in der dann auch die NATO Entscheidungen treffen muss, (den russischen Präsidenten Wladimir, Anm.) Putin zu stoppen“, sagte der CDU-Chef am Freitag dem Radiosender NDR Info. So weit sei es aber nicht, betonte er.

Prag: „Schlichtweg entsetzt“

„Schlichtweg entsetzt“ zeigte sich auch Tschechien. „Das ist eine höchst unverantwortliche Tat, die bei einem Austritt von Radioaktivität Millionen Menschen bedrohen würde“, schrieb das Außenministerium in Prag am Freitag in einer Erklärung. Russland verstoße damit gegen sämtliche Normen internationalen Rechts. Die sonst zurückhaltende Leiterin der tschechischen Strahlenschutzbehörde, die Atomphysikerin Dana Drabova, merkte auf Twitter an: „Sie sind verrückt geworden!“

Selenski hatte dem Feind bereits zuvor „Nuklearterror“ vorgeworfen. In einer Videobotschaft wies er darauf hin, dass kein anderes Land der Welt jemals Atomanlagen beschossen habe. „Der Terroristenstaat verlegt sich jetzt auf Nuklearterror.“