Kunden vor geschlossenem H&M-Geschäft in Omsk, Russland
Reuters/Alexey Malgavko
Russland

Markenexodus mit unklaren Folgen

Geschlossene Geschäfte, lange Schlangen vor den Bankomaten, blockierte Kreditkarten und keine neuen Kinofilme: Trotz russischer Staatspropaganda und Zensur beginnt die zivile Bevölkerung, die Konsequenzen des Krieges in ihrem Alltag zu spüren. Gerade im technischen Bereich könnte der Rückzug zahlreicher westlicher Unternehmen laut Experten Probleme verursachen.

Nach dem Angriff auf die Ukraine vergangene Woche ist Russland international zunehmend isoliert. Zahlreiche westliche Staaten haben Sanktionen verhängt, russische Vermögen eingefroren und den Luftraum für Flugzeuge gesperrt. Aber auch Privatunternehmen entscheiden sich zunehmend für einen Rückzug vom russischen Markt.

Der Exodus der westlichen Unternehmen stellt nicht nur einen Einschnitt in den Alltag der Zivilbevölkerung dar, sondern spaltet auch die Meinungen über die ohnehin schon als schwierig angesehene Beziehung zum Westen. „Für die Menschen in Ballungsräumen, für die diese Marken im Alltag auch identitätsstiftend sind, kann der Rückzug der westlichen Unternehmen starke psychologische Effekte haben", so Wolfgang Mueller, Professor für Russische Geschichte an der Universität Wien, im Gespräch mit ORF.at.

„Für diejenigen, die hinter den Ereignissen in Russland stehen, wird das beschränkte Auswirkungen haben – weil sie den Rückzug als eine weitere aggressive Welle der westlichen Maßnahmen betrachten, die so oder so gekommen wäre, egal wie Russland sich verhalten hätte“, so Mueller.

Großer Andrang in Ikea-Filialen vor Schließung

Die schwedische Möbelhauskette Ikea kündigte am Donnerstag an, alle Tätigkeiten in Russland und Belarus einzustellen, und schließt sich damit einer Reihe westlicher Unternehmen an, die sich seit dem Einmarsch in die Ukraine aus der Region zurückgezogen haben. Der Ukraine-Krieg habe bereits enorme menschliche Auswirkungen gehabt und führe zu ernsthaften Störungen der Lieferketten und Handelsbedingungen, erklärte der Konzern.

Ikea ist seit dem Jahr 2000 in Russland vertreten und gilt als einer der größten westlichen Arbeitgeber des Landes – betroffen sind rund 15.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Ankündigung löste einen Ansturm von Kunden auf die zu schließenden Geschäfte aus.

Kundenandrang bei Ikea kurz vor der Schließung in Russland
Reuters
Seit Ikea angekündigt hat, seine Geschäfte in Russland zu schließen, bilden sich lange Schlangen an den Kassen der Filialen

Modebranche stellt Verkäufe ein

Auch der schwedische Bekleidungsriese H&M kündigte an, seine mehr als 150 Geschäfte in Russland zu schließen. Die Geschäfte in der Ukraine wurden aufgrund von Sicherheitsbedenken bereits vorübergehend geschlossen. Aber auch Onlineshopping stellt für die Russinnen und Russen keine wirkliche Alternative mehr dar: Der spanische Modehändler Mango möchte neben seinen 120 Geschäften in Russland auch seine Onlineverkaufsseite vorübergehend schließen, ebenso wie die britischen Onlineeinzelhändler ASOS und Boohoo.

Boohoo teilte mit, dass es den Verkauf unmittelbar nach Beginn der Invasion eingestellt und seine russischen Handelswebsites geschlossen habe. „Die von der Gruppe in Russland getätigten Verkäufe sind nicht wesentlich und machen weniger als 0,1 Prozent des Gruppenumsatzes aus", so das Unternehmen.

Am Samstag folgte auch der Zara-Mutterkonzern Inditex: Man schließe vorübergehend alle 502 Geschäfte in Russland, hieß es. Zu den Marken des Konzerns gehören neben Zara unter anderem Massimo Dutti, Pull&Bear, Zara Home und Bershka.

Sportartikelhersteller folgen

Auch der Sportartikelhersteller Nike erklärte, dass er russische Kunden daran hindern wolle, online einzukaufen. Adidas hat seine Partnerschaft mit dem russischen Fußballverband ausgesetzt. Und auch Puma schließt seine Shops.

Der französische Luxusmarken-Hersteller LVMH – bekannt unter anderem für Moet & Chandon und Louis Vuitton – schloss sich an und wird ab Sonntag vorübergehend seine 124 Geschäfte in Russland nicht öffnen, ebenso der Luxuskonzern Kering, Eigentümer von Marken wie Gucci und Yves Saint Laurent. Der Schweizer Uhrenhersteller Swatch stoppt zwar seine Exporte nach Russland, möchte seine Geschäfte aber offen halten.

Tech-Unternehmen stoppen Lieferungen

Die Preise für Haushaltstechnik und Elektronik sind in Russland innerhalb einer Woche um 80 Prozent gestiegen. Die Verkäufer kamen mitunter mit dem Umkleben der Preisschilder nicht mehr hinterher, schrieb der „Standard“. Der US-Chipriese Intel kündigte am Freitag an, alle Lieferungen an Kunden in Russland und Belarus auszusetzen. Intel ist der wichtigste Anbieter von Prozessoren und Servern in Rechenzentren.

Der südkoreanische Elektronikriese Samsung stoppte seine Lieferungen nach Russland. Der Konzern ist Marktführer bei Speicherchips, Smartphones und Fernsehern. In Russland sind seine Geräte stark gefragt. Bei Smartphones etwa lag der Marktanteil bei 34 Prozent.

Auch der deutsche Softwarekonzern SAP stellt sein Geschäft in Russland teilweise ein. Bestandskunden, die nicht unter die Sanktionen fallen, würden aber „im Rahmen der vertraglichen Vereinbarungen weiter bedient“, sagte ein Sprecher am Freitag. Auch der US-Bezahldienstleister PayPal setzt seinen Dienst in Russland aus, wie er am Samstag erklärte.

Apple und Microsoft stellen auch Dienstleistungen ein

Der US-Konzern Apple kündigte an, keine Produkte in Russland mehr zu verkaufen – auch Dienstleistungen wie Apple Pay würden eingeschränkt werden. Google setzt sein Anzeigengeschäft in Russland nach dem Angriff auf die Ukraine bis auf Weiteres aus, und auch der Computerhersteller Dell verkauft keine Produkte mehr in Russland oder der Ukraine.

Und auch der US-Softwareriese Microsoft stellte den Verkauf seiner Produkte und Dienstleistungen in Russland am Freitag ein. Microsoft arbeite eng mit den Regierungen in den USA, in der EU und in Großbritannien zusammen, „und wir stoppen viele Aspekte unseres Geschäfts in Russland gemäß der Sanktionsentscheidungen der Regierungen“, erklärte Microsoft-Präsident Brad Smith weiter. Der Konzern unterstütze zudem die Ukraine beim Schutz vor russischen Cyberattacken.

Leerer Apple-Verkaufstisch in Omsk, Russland
Reuters/Alexey Malgavko
Am Dienstag kündigte Apple eine Pausierung der Lieferung seiner Produkte nach Russland an – auch Apple Pay wird ausgesetzt

Auch Unterhaltungs- und Autobranche betroffen

Die Walt Disney Company, Sony und Warner Bros. erklärten, dass sie die Veröffentlichung von Filmen in Russland pausieren würden. Auch der Streaminganbieter Netflix kündigte bereits an, dass er Nachrichten-, Sport- und Unterhaltungskanäle von russischen Staatsmedien nicht weiter verbreiten werde.

Die Streamingplattform Spotify schloss am Mittwoch ihr Büro in Russland, zudem wurden Inhalte entfernt, die von der russischen Regierung finanziell unterstützt werden. Der Zugriff auf Podcasts russischer Staatsmedien sei zudem eingeschränkt worden.

Auch Autohersteller wie BMW, Mercedes Benz, Toyota, Honda, Mazda, General Motors und Aston Martin stellen „bis auf Weiteres“ den Export nach Russland ein, schließen Produktionsstätten oder liefern keine neuen Teile mehr.

Lebensmittel noch nicht teurer

In den Supermärkten ist der Preisschub laut „Standard“ noch nicht ganz angekommen. Obst und Gemüse hätten sich zwar leicht verteuert, Brot, Mehl und Milch seien jedoch vorläufig stabil geblieben. Dennoch gäbe es bereits Hamsterkäufe, da sich eine Preissteigerung abzeichne.

Betroffen sei etwa bereits Alkohol: Die größten Importeure und Vertriebshändler von Alkohol, Simple Wine und Luding haben am Montag die Auslieferung an die Geschäfte vorläufig eingestellt, nachdem der Rubel-Kurs innerhalb kürzester Zeit die für die Händler kritische Marke von 90 Rubel pro Dollar übersprungen hatte.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow zeigte sich unterdessen wenig beunruhigt: „Was die hyperemotionale Reaktion der Verbraucher betrifft, nun, das ist leider die erste emotionale Reaktion“, sagte er. In einigen Tagen werde sich die Aufregung legen, und die Bürger würden die Lage wieder „nüchterner“ betrachten, prognostizierte er.

Grafik zu den Handelsbeschränkungen mit Russland
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: WIFO
Laut Einschätzungen des WIFO würde eine langfristige Entkoppelung der russisch-westlichen Wirtschaftsbeziehungen vor allem Russland treffen

Experte: Ersatzteile können Problem werden

„Die einfachen Menschen auf der Straße spüren die Sanktionen vor allem bei der Währung durch den Fall des Rubels", analysierte Mueller im Gespräch mit ORF.at. „Manche erinnern sich noch an die 1990er Jahre und wissen, wie die Inflation ihr Erspartes zerstören kann.“

Wichtig sei aktuell jedoch vor allem der technische Bereich. „Wenn sie einen Volvo fahren und dafür keine Ersatzteile bekommen, kann das ein massives Problem sein. Für diejenigen, für die eine Integration mit dem Westen eine Rolle spielt, haben die westlichen Sanktionen aber natürlich auch einen wesentlichen, psychologischen Aspekt.“

Auswirkungen der Sanktionen 2014 für viele spürbar

Bereits 2014 verhängten eine Reihe westlicher Länder Sanktionen gegen Russland, als der russische Präsident Wladimir Putin die Krim annektierte und damit den Beginn des Ukraine-Konflikts einläutete. Laut einer Umfrage des russischen Instituts VCIOM, in der 1.600 Menschen aus 46 Regionen Russlands befragt wurden, hatten die Sanktionen die Einstellung einiger Befragter erheblich beeinflusst.

Während im August 2014 nur fünf Prozent der Russen, die von den Maßnahmen wussten, angaben, dass sie deren Auswirkungen persönlich spüren würden, taten das im Februar 2015 bereits 45 Prozent. In erster Linie beklagen sie sich über steigende Preise und die Verschlechterung ihrer finanziellen Situation.

Der Anteil der Befragten, die angeben, dass sich die Lage im Land aufgrund der Sanktionen verschlechtert hat, stieg innerhalb von sechs Monaten deutlich – von 15 auf 57 Prozent. Inwieweit die jetzigen Sanktionen die Stimmungslage in Russland verändern würden, ist aktuell laut Mueller noch nicht abschätzbar.