Debatte über Neutralität kommt in Gang

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine bringt auch eine Debatte über Österreichs Neutralität in Gang. Ex-Nationalratspräsident Andreas Khol plädierte gestern in der „Kleinen Zeitung“ für einen NATO-Beitritt oder die Mitarbeit an einer europäischen Armee der EU: „Ein neutraler oder bündnisloser Staat bleibt allein, wenn er angegriffen wird.“ Für ÖVP-Wehrsprecher Friedrich Ofenauer muss über die Neutralität und ihre Ausgestaltung „ernsthaft diskutiert werden“.

Für Khol zeigt das Beispiel der Ukraine, dass nur Bündnismitglieder geschützt werden. Gleichzeitig würden drei Viertel der Österreicher noch immer fest hinter der Neutralität stehen, schrieb er in einem Gastkommentar in der „Kleinen Zeitung“. Diese müssten von den Folgen des russischen Angriffs informiert und von „den neuen Notwendigkeiten des Schutzes“ überzeugt werden.

Karas: „Rolle wird am Ende der Debatte stehen“

Für den Europaabgeordneten Othmar Karas (ÖVP) steht im Rahmen der Diskussion über die künftige EU-Verteidigungspolitik auch die österreichische Neutralität zur Disposition. „Welche Rolle dabei dann die Neutralität spielt, das wird am Ende der Debatte stehen“, sagte Karas in ORF III. Zugleich machte er klar: „Die Neutralität spielt beim Aufbau einer Verteidigungspolitik der EU keine Rolle.“

Karas verwies mit Blick auf die entsprechenden Diskussionen in den bisher bündnisfreien Staaten Finnland und Schweden darauf, dass möglicherweise bald 25 der 27 EU-Staaten Mitglieder der NATO sein könnten. Zugleich betonte er, dass Österreich nach dem EU-Beitritt seine Verfassung geändert habe, um in Artikel 23j festzuhalten, dass die Neutralität einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU „nicht im Wege steht“.

Ablehnung von SPÖ und FPÖ, NEOS sieht Handlungsbedarf

Von der Sozialdemokratie kam eine Absage an die Aussagen von ÖVP-Seite. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner machte sich ihrerseits in einem Gastkommentar in der „Kleinen Zeitung“ für die Neutralität stark: „Die Neutralität stärkt als Eckpfeiler der österreichischen Außenpolitik unsere Sicherheit“, betonte sie. Die Neutralität sei nicht verhandelbar, so Rendi-Wagner.

Die Freiheitlichen halten ebenfalls an der Neutralität fest: Der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer betonte, Österreichs solle die Neutralität im Rahmen der umfassenden Landesverteidigung (militärisch, wirtschaftlich, zivil, geistig) schützen. „Seien wir stolz auf unsere Neutralität, anstatt einem NATO-Beitritt das Wort zu reden.“

NEOS dagegen sieht Handlungsbedarf. Parteichefin Beate Meinl-Reisinger hatte zuletzt auf eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik und ein gemeinsames europäisches Berufsheer gedrängt. „Die Frage, ob das möglich ist innerhalb der Neutralität, ist eine rechtsdogmatische“, so Meinl-Reisinger.

Rechtlich habe Österreich seine Neutralität durch die unionsrechtlichen Verpflichtungen im Rahmen der Verträge von Maastricht, Nizza, Amsterdam und Lissabon ohnehin aufgegeben, „auch wenn die Politik wider besseres Wissen Werbung mit ihr macht“, so Gründungsmitglied Veit V. Dengler in einem Gastkommentar für den „Standard“. Nun sei es Zeit, „die verbliebenen Reste der Neutralität zu beseitigen“.