Verhandlungstisch zwischen Ukraine und Russland in Gomel in Belarus
Reuters/Belta
Ukraine-Krieg

Optionen für die Vermittlerrolle

Im Ukraine-Krieg haben sich mehrere Staaten in die Vermittlerrolle bugsiert. Zuletzt war Israels Ministerpräsident Naftali Bennett im Dauereinsatz und davor übte sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron als Pendeldiplomat zwischen den Konfliktparteien. Auch die Türkei und Indien boten ihre Hilfe an. Mit China schaltet sich nun eine Großmacht ein.

Nach anfänglichem Zögern zeigte sich China am Montag bereit, mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten. Man wolle „die notwendige Vermittlung“ gewährleisten, hieß es vonseiten Pekings noch etwas vage. Zuvor hatten die USA und die Europäische Union China aufgefordert, im Krieg diplomatisch aktiver zu werden. „Es gibt keine Alternative. Wir (EU) können nicht die Vermittler sein, das ist klar. Und es können auch nicht die USA sein. Es muss China sein“, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Sonntag.

Eine ähnliche Einschätzung äußert auch Wolfgang Mueller von der Universität Wien im Gespräch mit ORF.at. Für die Rolle des Vermittlers müsse man nämlich zwei Elemente mitbringen: „Ein Vermittler muss von beiden Konfliktparteien akzeptiert werden, und er muss das nötige machtpolitische Gewicht aufbringen, um vermitteln zu können. China könnte beide Anforderungen erfüllen“, sagt der Professor für Osteuropäische Geschichte und Diplomatieexperte.

China mit Machtfaktor

Dass China dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in den letzten Tagen nicht zusätzlich den Rücken stärkte, wird in diplomatischen Kreisen mittlerweile als Erfolg verbucht. Denn bisher trat Peking auf der Weltbühne stets als unverbrüchlicher Partner Russlands auf. Allerdings versuchte man trotz „chinesisch-russischer Freundschaft“ gleichzeitig, die Nähe zur Ukraine aufrechtzuerhalten. Zwar ist man politisch mit Russland eng verbunden, wirtschaftlich profitiert China aber nach Angaben vom Berliner China-Institut Merics von der Kooperation mit Europa und den USA.

Russlands Präsident Putin und Chinas Staatschef Xi Jinping
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Enge Partner auf Abstand: Laut Fachleuten könnte China als Vermittler zwischen Russland und der Ukraine auftreten

„China hat von den bisher genannten möglichen Vermittlern bestimmt die stärkste Hebelwirkung gegenüber Russland“, sagt Mueller. Es habe schon jetzt eine gewisse Absetzbewegung Pekings weg von Moskau gegeben, die für die Beziehungen zwischen den Großmächten ungewöhnlich sei, so der Experte, der auf die Wortmeldung des chinesischen Botschafters bei den Vereinten Nationen (UNO), Zhang Jun, verwies. Dieser sagte mit Blick auf Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine sinngemäß: Wir sehen etwas, was wir nicht sehen wollen.

Auch laut „New York Times“ distanziert sich Peking langsam von Putin. Die Volksrepublik habe im Zuge des Ukraine-Kriegs ihren scharfen Ton gegen den Westen abgemildert und sein Bedauern über die zivilen Opfer zum Ausdruck gebracht. Berichte, wonach man im Vorfeld über die russische Invasion informiert wurde, wies China als „Fake News“ zurück. Fachleute, die mit der „NYT“ sprachen, gehen aber davon aus, dass allein Chinas offizielle Rückendeckung in den vergangenen Jahren Putin in seinem Vorgehen gegen die Ukraine bestärkte.

Frankreich mit Pendeldiplomatie

Bisher seien die Angebote Chinas vage und die Richtung, die Peking in Bezug auf den Krieg einschlagen könnte, noch ungewiss, sagt Experte Mueller. Allerdings könnten beim möglichen Druck auf den Kreml weder Frankreich noch Israel mit Peking mithalten. „Putin würde Paris nicht als neutral betrachten. Und Israel hat zwar gute Beziehungen zu Russland und zur Ukraine, aber vielleicht nicht das nötige politische Gewicht.“

Russlands Präsident Putin und Israels Premierminister Bennett im Oktober 2021
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Am Wochenende hatte sich Israels Ministerpräsident Bennett mit Putin getroffen (Archivbild)

In den vergangenen Wochen hatte Frankreichs Staatschef Macron hinter den Kulissen eine Pendeldiplomatie betrieben. Bereits vor der russischen Invasion telefonierte der Franzose mit seinen Amtskollegen in Russland, der Ukraine, Deutschland und den USA. „Diplomatie heißt aber nicht nur reden, das ist zu wenig. Man muss den Konfliktparteien Perspektiven bieten“, sagt Politikwissenschaftler Heinz Gärtner gegenüber ORF.at.

In erster Linie müsse aber jetzt eine Feuerpause oder im besten Fall ein Waffenstillstand erreicht werden. Das sei das höchste Gebot in den diplomatischen Anstrengungen. Danach könne man sich wieder den „Maximalforderungen“ widmen und in einem größeren Rahmen darüber verhandeln, sagt der Experte vom Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP).

Türkei und Israel: Eine Kooperation

Einen ersten kleineren Rahmen könnte die Türkei bieten. Wie am Montag bekannt wurde, ist am Donnerstag in Ankara am Rande des Diplomatieforums ein Treffen der Außenminister der Ukraine und Russlands geplant. Auch der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu soll an den Gesprächen teilnehmen. Zur selben Zeit befindet sich Israels Staatspräsident Jitzhak Herzog in Ankara. Für Beobachter und Beobachterinnen könnte sich eine künftige Vermittlungskooperation zwischen den beiden Staaten abzeichnen.

Sowohl die Türkei als auch Israel haben enge Kontakte zu beiden Konfliktparteien und boten sich mehrmals als Vermittler an. Überraschend war etwa Israels Ministerpräsident Bennett am Wochenende in Moskau aufgetaucht, um mit Putin zu sprechen. Wenig später war er in Deutschland bei Kanzler Olaf Scholz. Davor und danach soll es weitere Telefonate mit Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodomyr Selenski gegeben haben. Die Inhalte der Gespräche sind vertraulich, was an die Öffentlichkeit kommt, ist in den meisten Fällen gewollt.

„Zweite Helsinki-Konferenz“?

Ankara könnte der Anfang sein. Gärtner schwebt in weiterer Folge eine „zweite Helsinki-Konferenz“ vor. Ein solcher Vorschlag wurde bereits vom Politikwissenschaftler Dieter Segert und im Dezember 2021 von weiteren Fachleuten ventiliert. 1975 einigten sich Dutzende Staaten, darunter die USA und die Sowjetunion, auf ein Konzept gemeinsamer Sicherheit für Europa. Zum einen ging es um die blockübergreifende Zusammenarbeit zwischen Osten und Westen, zum anderen um das Selbstbestimmungsrecht der Völker – also auch um die Bündniswahl. Russland will der Ukraine ebendiese Souveränität absprechen und das Land zugleich entmilitarisieren.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
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Frankreichs Präsident Macron versuchte bereits vor dem russischen Angriffskrieg zu schlichten

Über diese „Maximalforderungen“ könne nur unter der Prämisse eines Waffenstillstandes verhandelt werden, sagt Gärtner. Der russische Angriffskrieg sei völkerrechtswidrig und „niemals“ zu rechtfertigen, aber eine Isolation Russlands werde den Krieg nicht beenden – im Gegenteil: Er würde sich verschärfen. Deshalb seien die Vorstöße Frankreichs und Israels wichtig. Ein direkter Draht müsse vorhanden bleiben und künftige Verhandlungen sollten auf neutralem Boden stattfinden. Trotz des rhetorischen Schlagabtauschs zwischen Wien und Moskau könnte sich Österreich anbieten, so der Experte. „Meiner Meinung nach hätte man das schon längst tun sollen.“

Zur Beilegung des Krieges hält auch Mueller eine „zweite Helsinki-Konferenz“ für „nicht geeignet“, wie er sagt. „Die Invasion ist ein Bruch des Völkerrechts, das Verbot des Angriffskriegs wurde ignoriert. Die Prinzipien der ersten Helsinki-Konferenz wurden verletzt. Für eine Großkonferenz, die der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 1975 gleicht, sehe ich derzeit keine Veranlassung.“ Ähnlich argumentierte auch Politologe Anton Pelinka in einem „Standard“-Kommentar: Über eine Konferenz könne erst nachgedacht werden, „wenn russische Truppen die Ukraine verlassen haben“.