„Menopausenrevolution“

Kampf um Sichtbarkeit beim Älterwerden

Wenn Frauen älter werden, müssen sie um ihre Sichtbarkeit in der Gesellschaft kämpfen – an unterschiedlichsten Fronten. Zwei Beispiele dafür sind die Ignoranz vieler Arbeitgeber für die spezifische Situation von Frauen im Wechsel und – sogar schon ab 35 – die mangelnde Präsenz von Frauen in Film und TV. Aktivistinnen arbeiten an der „Menopausenrevolution“.

Ab Mitte 30 wird es laut einer aktuellen Studie der MaLisa Stiftung für Frauen in der Filmbranche schwierig. Generell sinkt dort die Präsenz von älteren Menschen, doch bei Männern beginne der schleichende Prozess erst mit 50. Noch düsterer ist das Bild beim Serienangebot von Streamingdiensten. Auch dieses nahm die deutsche MaLisa Stiftung vor zwei Jahren unter die Lupe. Es gibt einen deutlichen „Altersgap“ über alle Länder hinweg: Ist das Verhältnis zwischen Frauen und Männern bis 34 Jahren in zentralen Rollen noch ausgewogen, sieht es in der Kategorie ab 50 Jahren gänzlich anders aus: Eine Frau steht hier drei Männern gegenüber.

Seit 2016 untersucht die von der Schauspielerin Maria Furtwängler gegründete MaLisa Stiftung die Darstellung von Rollenbildern in audiovisuellen Medien. Wissenschaftlich werden die Studien vom Institut für Medienforschung der Universität Rostock durchgeführt. Für ihre erste Erhebung zur audiovisuellen Diversität im Jahr 2017 wurden 3.500 Stunden Fernsehprogramm und über 800 deutschsprachige Kinofilme ausgewertet.

„Zu Mängelwesen erklärt“

Die Sache mit der (schwindenden) Sichtbarkeit ist das Hauptanliegen der Journalistin und Gründerin einer Plattform für Frauen ab 47 Jahren, Silke Burmester. Mit ihrem Projekt Palais F*luxx will sie den Fokus auf Frauen richten, wenn es schon die Gesellschaft nicht tut. Burmester arbeitete 25 Jahre lang als freie Journalistin. Ihr Medienprojekt soll ein Raum für Frauen sein, nicht nur um sich zu zeigen, sondern auch, um den Austausch miteinander zu fördern.

„Gesellschaftlich werden wir zu Mängelwesen erklärt, und letzten Endes steht dahinter der Gedanke der ‚Fuckability‘ beziehungsweise jetzt eben nicht mehr attraktiv genug zu sein fürs Bett“, so Burmester. Dazu eine Empfehlung: Haarscharf auf den Punkt brachte es Comedienne Amy Schumer in ihrem Sketch „The Last F * * kable Day“. Nach fünf gewonnenen Emmys feiert Julia Louis-Dreyfus mit ihren Kolleginnen Tina Fey und Patricia Arquette darin ihren Abschied aus der Unterhaltungsindustrie.

„Nicht mehr ‚fuckable‘“

Die Frauen sind sich einig: „Im Leben jeder Schauspielerin entscheiden die Medien, wann du den Punkt erreicht hast, an dem du nicht mehr ‚fuckable‘ bist und glaubwürdig die Freundin des Hauptdarstellers spielen kannst.“ Während das Thema Sichtbarkeit von „älteren“ Frauen auf der Leinwand bei uns erst langsam ins Rollen kommt, ist in den Vereinigten Staaten die „Altersdiskriminierung“ („Ageism“) bereits seit Jahren ein immer größer werdendes Thema.

Weibliche Hollywood-Stars scheuen sich nicht mehr davor, mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit zu gehen. Anne Hathaway oder Maggie Gyllenhaal sind nur einige von denen, die für Rollen mit der Begründung „zu alt“ abgelehnt wurden. Letztgenannte berichtete vor Jahren bereits darüber, dass sie als „Love Interest“ mit 37 für einen 55-jährigen männlichen Darsteller nicht infrage käme. Dieser „Ageism“ und die mangelnde Sichtbarkeit von Frauen ab 30 Jahren in Filmen wirkt sich auch auf das Gehalt aus.

Verena Altenberger im Gespräch mit Maddalena Hirschal

Schauspielerin Verena Altenberger hat für den ORF-Streamingdienst Flimmit Frauen aus der Flimbranche interviewt – etwa Schauspielerin Maddalena Hirschal.

TV-Hinweis

Die ORF-Streamingplattform Flimmit hat sich kurzerhand zur „Hall of Female“ umgebaut. Unter anderem hat Schauspielerin Verena Altenberger eine entsprechende Filmliste kuratiert – und sie führt Gespräche mit Frauen aus der Filmbranche.

„Frauen dürfen altern“

Schauspielerinnen erhalten im Durchschnitt am meisten Gage pro Film mit 34 Jahren. Bis zu diesem Alter steigen die Gagen weiblicher Hollywood-Stars an und sinken danach rapide ab, während männliche Schauspieler mit 52 Jahren am besten verdienen.

Der Angst, nicht sichtbar zu sein, hält die deutsche Moderatorin Katja Burkard, 56, entgegen: „Wir haben im Moment eine wunderbare Entwicklung. Frauen dürfen altern und ältere Frauen sind in den Medien plötzlich unglaublich gefragt. Gestandene Frauen sind im Moment sehr in. Und das finde ich großartig, weil die Fernsehzuschauerinnen sind auch meistens so in dieser Altersklasse.“

Vom Wechsel eingeholt und gebremst

Was die Medienpräsenz betrifft, ist Burmester nicht ganz so euphorisch wie Burkard: „Also ich glaube, es macht einen Unterschied, ob man zu Zeiten, bevor man grau oder faltig ist, schon eine große Nummer war oder ein Star. Solche Leute werden von den Sendern gehalten, weil sie eine große Fangemeinde haben und der Aufschrei riesig wäre.“

Auch Burkard räumt ein, dass die meisten Frauen um die 50 die Zeit des Wechsels einholt und bremst. Viele Frauen erleben diese Phase der Hormonumstellung als anstrengend, können mit dem Leistungsdruck der Arbeitswelt nicht mehr mithalten. Zu sagen, „ich kann heute einfach nicht, weil ich Wechselbeschwerden habe“, das würde sich wohl heutzutage kaum eine Frau trauen.

Wegen Emotionen belächelt

Jede vierte Frau hängt ihren Job aufgrund von Wechselbeschwerden an den Nagel. Zu den häufigsten Beschwerden zählen Hitzewallungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafstörungen und Depressionen. Darüber gesprochen wird wenig, darüber gewitzelt dafür umso mehr. Als „Tante“, „100 Prozent Oma“ oder „alte Schachtel“ gelten Frauen, die die magische Grenze des Jungseins überschritten haben. Wird die Frau über 50 böse oder übt scharfe Kritik, wird sie nicht selten als „Furie in den Wechseljahren“ oder „hysterisch“ belächelt.

Während hierzulande das Thema in der Berufswelt gerne gemieden wird, ist Großbritannien schon um einiges weiter. Dort sind die Wechseljahre keine Privatangelegenheit mehr, das Private wird politisch. Abgeordnete wie Carolyn Harris von der Labour Party haben das Thema auf ihre politische Agenda genommen.

Als Forschungsthema vernachlässigt

„Meine Tanten schickten mich aus dem Raum, als sie über ihre Wechselbeschwerden sprachen. Ich war 36. Das Schweigen darüber muss aufhören“, sagt sie im Interview mit ORF.at. Sie brachte erst kürzlich einen Gesetzesentwurf ein, der Hormonersatztherapie für Frauen in England sowie in Schottland und Wales kostenlos machen soll und setzt sich für mehr Rechte am Arbeitsplatz, eine bessere Ausbildung in der Allgemeinmedizin, aber auch für Lehrpläne an Bildungseinrichtungen ein, an denen das Thema Klimakterium immer noch sträflich vernachlässigt wird.

TV-Hinweis

Die Dokumentation „Sichtbar, stark und selbstbewusst – Die Revolution der Frauen über 50“ ist in 3sat am 16.3. um 20.15 Uhr zu sehen und bereits jetzt online.

Bekannt wurde die Abgeordnete durch ihren Slogan „#menopauserevolution“, sie möchte eine größere Bewegung schaffen, leistet Aufklärungsarbeit und unterstützt die „Menopause Cafes“, wo sich Frauen treffen können, um in lockerer Atmosphäre zu plaudern. Jede kann an jedem Ort der Welt ein solches Cafe eröffnen – auch online.

Prominente Unterstützerinnen sind unter anderem Sophie von Wessex, die Schwiegertochter der Queen. Sie übernahm die Schirmherrschaft für die Organisation Wellbeing of Women, in der es auch um die gesellschaftliche Bedeutung der Menopause geht. Es ist ein Thema, das viele Bereiche des öffentlichen Lebens betrifft, vor allem auch die Wirtschaft.

Tabuthemen erreichen Chefetagen

Der staatliche britische Gesundheitsdienst NHS hat eigens geschulte Mitarbeiterinnen, die in Firmen entsandt werden, um Aufklärungsarbeit zu leisten. In immer mehr Arbeitsstätten werden Vertrauenspersonen ernannt, an die sich Frauen wenden können, Arbeitgeberinnen können sich als „menopause friendly“ zertifizieren lassen. Für Unternehmen sind diese Programme von zentraler wirtschaftlicher Bedeutung, denn die demografische Entwicklung, der seit Jahren steigende Anteil von Frauen im Berufsleben sowie Themen wie „Diversity“ und „Ageism“ kommen langsam aber sicher auch in den Chefetagen an.

TV-Hinweis

Auf arte ist online die israelische Dramedy-Serie „Hamishim – Fünfzig“ zu sehen, in der die Nöte und das Selbstbewusstsein einer Frau im beginnenden Wechsel thematisiert werden.

Zurück zu Burmester. Auch sie blickt trotz allem zuversichtlich in die Zukunft: „Wenn Frauen mit Anfang 50 aus dem Job rausgehen, dann geht da ganz viel Wissen verloren und man muss sich fragen: Können wir uns das leisten? Und ich merke, es geht langsam los, dass Firmen sich erkundigen: ‚Wie sieht eigentlich eine wechseljahregerechte Firmenführung aus? Wie müssen wir die Arbeitsplätze einrichten?‘ Auch, weil wir ein anderes Verständnis von Gesellschaft und dem Altern bekommen.“

Die 50:50-Challenge

Positives tut sich in der Fernsehlandschaft. Europaweit versuchen TV-Sender, das Ungleichgewicht auszugleichen. Bereits 2017 startete die BBC die 50:50-Challenge. Bei diesem Projekt wird von den Redaktionen der Frauenanteil ihrer Sendungen permanent erhoben und evaluiert. Aus dieser Initiative wurde ein globales Netzwerk mit inzwischen mehr als 100 Organisationen.

Buchhinweis

Katja Burkard: Wechseljahre. Blanvalet, 240 Seiten, 15,90 Euro.

Mit an Bord ist seit 2020 auch der ORF. Innerhalb eines Jahres konnte der Frauenanteil bereits gesteigert werden. Gut die Hälfte der Programme, die sich bei der Challenge einbringen, schaffen die 50:50. Für die ORF-Gleichstellungsbeauftragte Katia Rössner ein Erfolg, denn die Teilnahme beruht auf Freiwilligkeit: „Ich war selbst überrascht, dass so viele ORF-Sendungen teilgenommen haben. Das zeigt, dass das Bewusstsein geweckt wurde. Nun gilt es dranzubleiben, damit das Achten auf ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis Teil des redaktionellen Arbeitsalltags wird.“