Eine Frau geht in Mariupol (Ukraine) mit einem Kübel an zerstörten Häusern vorbei
AP/Evgeniy Maloletka
Katastrophe für Zivilbevölkerung

Städten fehlen Strom, Wasser, Medikamente

Die humanitäre Lage in der Ukraine hat sich weiter verschlechtert: Vor allem Städte im Süden des Landes kämpfen zunehmend mit der Versorgung. Neben der Hafenstadt Mariupol, in der es nach Angaben der Stadt weiter weder Strom und Gas noch Wasser gibt, ist auch die Lage in Städten wie Odessa und Cherson enorm angespannt. Die medizinische Versorgung ist laut Hilfsorganisationen stark eingeschränkt.

„Es gibt keine Straße ohne kaputte Fenster, zerstörte Wohnungen oder Häuser“, so der Stadtrat von Mariupol. Die Stadt sei ohne Strom, Wasser und Gas. 200.000 Menschen warten nach Angaben des Roten Kreuzes darauf, über verschiedene Routen aus der Stadt zu kommen. Mariupols Bürgermeister Wadym Bojtschenko schrieb, es handle sich um eine humanitäre Katastrophe. Er warf der russischen Armee vor, Lieferungen von Lebensmitteln und Hilfsgütern zu verhindern.

„Die Situation ist apokalyptisch“, sagte zuvor Ewan Watson, Sprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), in Genf. Das IKRK stehe bereit, den Abzug jener Menschen zu ermöglichen, die aus der Stadt wollen, sagte Watson. Nach Angaben der ukrainischen Regierung wurde am Dienstag trotz vereinbarten Waffenstillstands eine Evakuierungsroute aus der Stadt unter Beschuss genommen. Die Stadt liegt an der Kontaktlinie zwischen prorussischen Separatisten und der ukrainischen Armee im Verwaltungsbezirk Donezk und gilt damit als strategisch besonders bedeutsam.

Auch Lage in Odessa und Cherson kritisch

Auch in anderen Städten gibt es zahlreiche Berichte über Engpässe bei der Versorgung. Besonders betroffen ist der Süden des Landes: Neben Mariupol berichtete die BBC etwa am Dienstag von Lebensmittelknappheit in Supermärkten in der Stadt Cherson, die eine der ersten Ziele Russlands war. Zwar sei es auf den Straßen ruhig, aber „unsere Supermärkte sind leer“ zitierte die BBC einen Bewohner der Stadt.

Ein Patieht wird von medizinischem Personal auf dem Gang eines Krankenhauses in Mariupol (Ukraine) versorgt
AP/Evgeniy Maloletka
Auch die medizinische Versorgung, hier ein Bild vom Freitag in Mariupol, ist teilweise stark beeinträchtigt

Auch in Odessa, das im Süden und nahe der Grenze zu Moldawien liegt, verschlechterte sich die Lage nach Angaben der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) deutlich. Täglich gebe es mehrfach Luftalarm, berichtete die MSF-Krisenkoordinatorin Carla Melki aus der Hafenstadt am Schwarzen Meer. Es seien dort in den letzten Tagen Explosionen in der Ferne zu hören gewesen, von denen niemand gewusst habe, wodurch sie verursacht wurden. Die meisten Geschäfte seien geschlossen, Treibstoff sei rationiert.

Krankenhäuser nicht auf Krieg vorbereitet

„Jeder bereitet sich auf das Schlimmste vor.“ Die Stadt hat fast eine Million Einwohnerinnen und Einwohner und ist durch ihre Lage strategisch von großer Bedeutung. Die medizinische Versorgung in der Stadt mit großen und modernen Krankenhäusern sei an sich gut. Allerdings seien diese nicht auf die Aufnahme unzähliger Verletzter durch Gefechte bzw. die Behandlung kriegstypischer Verletzungen vorbereitet.

Einige Medikamente würden in der Stadt bereits knapp, die zentrale Versorgung des Landes sei durch den Krieg nicht mehr gewährleistet. MSF lieferte medizinische Bedarfsgüter via Rumänien und hilft den Krankenhäusern, sich vorzubereiten. Wie viel Zeit dafür – und bis zu einem möglichen Angriff – bleibt, wisse aktuell niemand.

WHO warnt vor Angriffen auf medizinische Einrichtungen

Die medizinische Versorgung sieht unterdessen auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) deutlich gefährdet – die besseren Schutz für Krankenhäuser fordert. „Es versteht sich von selbst, dass Gesundheitspersonal, Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen niemals zu einem Ziel werden dürfen, auch nicht während Krisen und Konflikten“, sagte Regionaldirektor Hans Kluge am Dienstag in Kopenhagen. Bisher wurden laut WHO 16 Berichte über Angriffe auf das Gesundheitswesen bestätigt.

Hilfskonvoi auf dem Weg nach Mariupol

Das IKRK stellt einen Hilfskonvoi zur Verfügung, um einen Abzug der Zivilisten aus Mariupol zu ermöglichen. „Die Situation ist apokalyptisch“, so IKRK-Sprecher Ewan Watson in Genf.

Innerhalb der Ukraine sehe man ein Gesundheitssystem unter starkem Druck. Für die WHO gebe es drei Prioritäten: Zum einen arbeite man daran, Güter wie Sauerstoff, Insulin und Schutzausrüstung ins Land zu bringen. Zum anderen gehe es darum, die Gesundheitsinfrastruktur in den Nachbarstaaten sicherzustellen. Ein dritter Fokus liege darauf, mit Hilfe eines WHO-Einsatzzentrums in Lwiw Unterstützung zu leisten.

Auch die UNO schlug in der Nacht auf Dienstag erneut Alarm: Zivilistinnen und Zivilisten in Städten wie Mariupol, Charkiw, Melitopol und in anderen Orten warteten verzweifelt auf Hilfe und seien insbesondere auf „lebenswichtige medizinische Versorgung“ angewiesen, so der UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths. Es seien „sichere Korridore nötig, um humanitäre Hilfe in die umkämpften Gebiete“ in der Ukraine zu bringen, so Griffiths.

Humanitäre Katastrophe im ganzen Land

Doch nicht nur im Süden des Landes gibt es Berichte über Engpässe und dramatische Situationen für die Zivilbevölkerung. Sumy im Nordosten des Landes wird seit mehreren Tagen von Russland angegriffen. Im britischen „Guardian“ berichteten internationale Studenten, dass sie in einem Wohnheim festsitzen. Lebensmittel würden knapp, auch Wasser sei nicht immer verfügbar, weshalb stattdessen manche Eis aufkochen, schreibt der „Guardian“.

Auch in Butscha vor den Toren Kiews versuchten die Menschen verzweifelt, die Stadt zu verlassen, wie ein AFP-Reporter berichtete. Eine Bewohnerin sagte, die Stadt stehe kurz vor einer „humanitären Katastrophe“: „Es gibt kein Gas mehr, kein Wasser, keinen Strom, und auch die Lebensmittel gehen aus.“

Eltern mit Kindern auf einem Kiewer Bahnhof
AP/Efrem Lukatsky
Viele wollen das Land verlassen – hier Menschen nach der Evakuierung eines Kinderspitals in Kiew

Schon am Wochenende bezeichnete die UNO die humanitäre Lage als katastrophal. „Die Lage für die Menschen in der Ukraine hat sich durch die erbitterten Kämpfe dramatisch zugespitzt“, sagte Martin Frick, Direktor des UNO-Welternährungsprogramms in Deutschland, am Wochenende. Die Menschen harren in Kellern aus und könnten nur unter größter Gefahr Besorgungen machen. „Gerade aus Kiew und Charkiw erreichen uns Berichte, dass Nahrungsmittel ausgehen und Trinkwasser knapp wird“, sagte Frick. Das UNO-Welternährungsprogramm (WFP) baue seine Präsenz in der ganzen Region aus, „aber es ist ein Wettlauf gegen die Zeit“.

Wetter könnte Lage weiter verschärfen

Wie die BBC berichtet, könnte auch das Wetter zu einer weiteren Verschärfung der Lage führen. Schon in den vergangenen Tagen gab es Schneefall, laut der BBC werde es im Laufe der Woche noch kälter werden. Dann gebe es gefühlte Temperaturen von bis zu minus 20 Grad, berichtete der britische Sender. Vor allem für vertriebene Menschen und Menschen ohne Dach über dem Kopf, aber auch Personen, die von Strom und Gas abgeschnitten seien, könnte sich die Situation verschlechtern, so die BBC weiter.