Ein Mann dreht in einer Gasstation an einem Hahn
Reuters/Gleb Garanich
Gegen Russland

EU drosselt Gashahn, USA stoppen Ölimporte

Wegen der schweren Spannungen mit Russland will die EU so schnell wie möglich unabhängig von russischem Gas werden. Am Dienstag legte die EU-Kommission einen Plan mit Maßnahmen vor, um russische Gasimporte innerhalb von einem Jahr um zwei Drittel zu reduzieren. US-Präsident Joe Biden kündigte kurz danach ein Importverbot für Rohöl aus Russland an. Auch Großbritannien will mitziehen.

Die EU kündigte an, den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen, neue Quellen für Gaslieferungen zu erschließen und den Energieverbrauch zu senken. „Es ist Zeit, dass wir unsere Schwachstellen angehen und bei der Wahl unserer Energie schnell unabhängiger werden“, sagte EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans. Der Krieg in der Ukraine zeige, wie dringend es sei, auf erneuerbare Energien umzusteigen.

Mehr als 40 Prozent des in die EU importierten Gases kommen aus Russland, besonders Österreich ist von den russischen Importen abhängig, 80 Prozent des Erdgases in Österreich stammen aus Russland. Die EU könne nach Schätzungen der Kommission noch deutlich vor 2030 ganz auf russisches Gas verzichten.

US-Importverbot für Öl und Gas

Den US-Importstopp kündigte Biden bei einem kurzfristig anberaumten Auftritt am Dienstag im Weißen Haus an. Das Importverbot erstreckt sich nach Bidens Worten auch auf andere russische Energieträger wie beispielsweise Gas. Ihr Gas produzieren die USA aber weitgehend selbst, bei den Importen spielt Russland keine Rolle. Zwar importieren die USA Kohle aus Russland, aber auch das nur in geringen Mengen.

USA stoppen Ölimporte aus Russland

Wegen der schweren Spannungen mit Russland will die EU so schnell wie möglich unabhängig von russischem Gas werden. Am Dienstag legte die EU-Kommission einen Plan mit Maßnahmen vor, um russische Gasimporte innerhalb von einem Jahr um zwei Drittel zu reduzieren. US-Präsident Joe Biden kündigte kurz danach ein Importverbot für Rohöl aus Russland an.

Im vergangenen Jahr war Russland nach Angaben der US-Energieinformationsbehörde (EIA) das drittwichtigste Land für Einfuhren von Rohöl und Erdölprodukten für die USA – hinter Kanada und Mexiko. Die Einfuhren aus Russland mit einem Volumen von 672.000 Barrel (je 159 Liter) pro Tag machten knapp acht Prozent aller US-Importe in dieser Kategorie aus. Damit ist die USA aber weit weniger auf die fossilen Brennstoffe aus Russland angewiesen als Österreich.

Biden sieht „schweren Schlag“ gegen Putin

„Das bedeutet, dass russisches Öl in US-Häfen nicht mehr angenommen wird und die Amerikaner der Kriegsmaschinerie Putins einen weiteren schweren Schlag versetzen werden“, sagte Biden. Unklar blieb noch, ab wann das Importverbot gilt.

Biden sagte, die Maßnahme sei mit europäischen Verbündeten abgestimmt. Man wisse aber, „dass viele unserer europäischen Verbündeten und Partner möglicherweise nicht in der Lage sind, sich uns anzuschließen“, fügte er hinzu. „Wir können also diesen Schritt unternehmen, wenn andere es nicht können. Aber wir arbeiten eng mit Europa und unseren Partnern zusammen, um eine langfristige Strategie zu entwickeln, die auch ihre Abhängigkeit von russischer Energie verringert.“

Dank von Selenski

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski dankte den USA. „Ich bin Präsident (Joe) Biden persönlich für diese Entscheidung dankbar. Jeder Cent, den Russland bezahlt, verwandelt sich in Kugeln und Geschosse, die in andere souveräne Staaten fliegen“, sagte er in einer am Dienstagabend veröffentlichten Videobotschaft. Er dankte auch dem britischen Premier Boris Johnson: „Die Welt glaubt nicht an die Zukunft Russlands.“

Selenski hob den Mut von Russen hervor, die für die Ukraine auf die Straße gehen. „Sie kämpfen jeden Tag für uns und für sich selbst.“ „Der Krieg muss enden“, sagte er. „Wir müssen uns an den Verhandlungstisch setzen.“ In 13 Tagen Krieg seien auch mehr als 50 ukrainische Kinder getötet worden. „Ich werde das nie verzeihen.“

Russland rechnet nach dem Importverbot mit weltweiten Auswirkungen. „Es liegt auf der Hand, dass der Verzicht auf unsere Ressourcen auch zu erheblichen Schwankungen auf den globalen Energiemärkten führen wird. Sie wird sich nachteilig auf die Interessen von Unternehmen und Verbrauchern auswirken, vor allem in den USA selbst“, schrieb die russische Botschaft in Washington bei Facebook. „Der Sanktionsdruck der USA auf Russland hat längst die Grenzen der politischen und wirtschaftlichen Vernunft überschritten.“

Auch Briten stoppen Importe

Großbritannien will bis Ende dieses Jahres kein Öl mehr aus Russland importieren, wie der britische Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng am Dienstag per Twitter mitteilte. Mit dem Schritt soll der Druck auf Moskau weiter erhöht werden, den Krieg gegen die Ukraine zu beenden. „Diese Übergangsphase wird dem Markt, Unternehmen und Lieferketten mehr als genug Zeit geben, um russische Importe zu ersetzen“, schrieb Kwarteng. Der Anteil des russischen Öls an der britischen Nachfrage mache derzeit acht Prozent aus, fügte der Wirtschaftsminister hinzu.

Gasimporte aus Russland sind zunächst nicht betroffen. Kwarteng kündigte jedoch an, auch hier Möglichkeiten für einen Ausstieg zu prüfen. Der Anteil von russischem Gas mache nur vier Prozent der britischen Versorgung aus, so Kwarteng weiter.

EU will Gasspeicher für nächsten Winter füllen

In Europa wird allerdings befürchtet, dass Russland Gaslieferungen kurzfristig von sich aus stoppen könnte. Am Montag drohte Moskau erstmals offen, kein Gas mehr durch die Ostsee-Pipeline „Nord Stream 1“ zu liefern. Die EU-Kommission betonte erneut, dass die EU für den Rest dieses Winters auch im Fall eines russischen Gaslieferstopps auf der sicheren Seite stehe. Alle Regionen hätten Zugang zu mehr als einer Gasquelle und seien daher widerstandsfähiger. Im kommenden Winter sähe die Situation aber anders aus.

Raffaela Schaidreiter (ORF) zu Ukraine-Krieg

Raffaela Schaidreiter (ORF) meldet sich aus Brüssel und spricht über die aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg. Am Dienstag legte die EU-Kommission einen Plan mit Maßnahmen vor, um russische Gasimporte innerhalb von einem Jahr um zwei Drittel zu reduzieren. US-Präsident Joe Biden kündigte kurz danach ein Importverbot für Rohöl aus Russland an. Auch Großbritannien will mitziehen.

Um auch in Zukunft eine Energiekrise zu vermeiden, will die Behörde, dass die EU-Gasspeicher bis Oktober im Schnitt zu mindestens 90 Prozent gefüllt werden. Demnach könnten die Länder dafür etwa Versorger oder Netzbetreiber in die Pflicht nehmen. Derzeit sind die europäischen Gasspeicher nach Kommissionsangaben zu weniger als 30 Prozent voll. Der vorläufige Entwurf kann sich noch ändern.

Quellen für Flüssiggas gesucht

Gleichzeitig sucht die Kommission nach neuen Quellen für Gas, insbesondere für Flüssiggas (LNG), das mit Tankern übers Meer geliefert werden kann. Dafür laufen laut dem Entwurf etwa Gespräche mit den großen LNG-Käufern Japan, Südkorea, China und Indien, um Lieferungen nach Europa umzuleiten. Die LNG-Importe stiegen im Jänner nach offiziellen Angaben bereits auf zehn Milliarden Kubikmeter an – ein Rekord, was die monatlichen Lieferungen für die EU angeht.

Auch Österreich hat sich schon auf die Suche nach Alternativen gemacht: Am Wochenende war eine Delegation mit Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) und der für Rohstoffe zuständigen Ministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) in die Vereinigten Arabischen Emirate gereist, um dort über „grünen“ Wasserstoff und LNG zu verhandeln. Klar war da aber auch: So bald werden weder Wasserstoff noch LNG aus den Golfemiraten nach Österreich fließen.

„Pakt für erneuerbare Energien“

Die EU plant zudem einen „Pakt für erneuerbare Energien“, um die Gasnutzung zu reduzieren und den Ausbau von Solarenergie, Wind- und Wasserkraft anzukurbeln. Genehmigungsverfahren für Ökostromprojekte sollen laut dem Entwurf beschleunigt und neue Investoren angelockt werden. Regierungen sollen zudem Gebiete auf Land und See identifizieren, die besonders für den Ausbau erneuerbarer Energien geeignet wären, und Gelder aus dem CO2-Emissionshandel in solche Projekte stecken. Auch Maßnahmen zur Energieeffizienz sollen laut dem Entwurf stärker gefördert werden. Bis 2030 sollten zudem jährlich rund 35 Milliarden Kubikmeter Biogas in der EU produziert werden.

Deutschland warnt vor Folgen

Eher auf der Bremse innerhalb der EU stand zuletzt Deutschland. Nach Angaben des dortigen Wirtschaftsministeriums liegt der Anteil russischer Importe an den fossilen Gasimporten nach Deutschland bei rund 55 Prozent, bei Rohöleinfuhren bei rund 35 Prozent und bei Kohle bei rund 50 Prozent.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte zuletzt, dass Europa Energielieferungen aus Russland von den Sanktionen wegen der Invasion in die Ukraine bewusst ausgenommen habe: „Die Versorgung Europas mit Energie für die Wärmeerzeugung, für die Mobilität, die Stromversorgung und für die Industrie kann im Moment nicht anders gesichert werden.“

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sieht bei einem Verbot von Energieimporten aus Russland sogar den sozialen Frieden in Deutschland gefährdet. „Wir brauchen diese Energiezufuhren, um die Preisstabilität und die Energiesicherheit in Deutschland herzustellen“, sagte er.

Wissenschaftler: Lieferstopp handhabbar

Der deutschen Politik widerspricht aber eine Stellungnahme renommierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: Ein kurzfristiger Lieferstopp von russischem Gas wäre aus Sicht von Wissenschaftlern für die deutsche Volkswirtschaft handhabbar. „Engpässe könnten sich im kommenden Winter ergeben“, heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle. Es bestünde jedoch die Möglichkeit, durch die unmittelbare Umsetzung eines Maßnahmenpakets die negativen Auswirkungen zu begrenzen und soziale Auswirkungen abzufedern.

Als Sofortmaßnahme wird etwa eben die Beschaffung von Flüssiggas empfohlen. Zu einem Ersatz von Erdgas könne auch eine stärkere Kohleverstromung beitragen. Gasspeicher müssten aufgefüllt werden. Belastungen der Bürgerinnen und Bürger mit niedrigen und mittleren Einkommen bei höheren Energiepreisen sollten sozial abgefedert, Unternehmen von Energiesteuern entlastet werden.

Schallenberg skeptisch zu Embargo

Zurückhaltend zu Ideen eines EU-Öl- und Gasembargos gegen Russland äußerten sich Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) und sein griechischer Kollege Nikos Dendias. Die Situation in den USA sei „ziemlich anders“ als in Europa, sagte Schallenberg nach einem Besuch von Dendias am Dienstag in Wien. Europa sei nicht nur Nachbar, „wir sind auch zum Teil abhängig“ von russischer Energie.

Schallenberg verwies darauf, dass es in der Privatindustrie bereits Embargos gegen Russland gebe. Man müsse aber realistisch sein. „Österreich kann nichts ausschließen“, so wie man auch einen Swift-Ausschluss Russlands nicht ausgeschlossen habe. „Wir sind noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt“, sagte Schallenberg in Hinblick auf die EU-Sanktionen gegen Russland, derzeit werde gerade an einem vierten Sanktionenpaket gearbeitet.

E-Control: Pläne „sehr ambitioniert“

Die österreichische Energieregulierungsbehörde E-Control begrüßte am Dienstagnachmittag die von der EU-Kommission präsentierten Ideen, weil es nun gelte, die Abhängigkeit rasch zu reduzieren. „Allerdings erscheint das Ausmaß der Gasreduktion um zwei Drittel innerhalb eines Jahres als extrem ambitioniert“, sagte Vorstandsdirektor Wolfgang Urbantschitsch: „Für die Umsetzung braucht es wohl mehr Zeit.“ Man müsse auch bedenken, dass eine Speicherbefüllung von mindestens 90 Prozent bei den jetzigen Großhandelspreisen einen massiven finanziellen Aufwand nach sich ziehe, der nur durch flankierende finanzielle staatliche Maßnahmen aufzubringen sei.