Russische Rubelmünzen und Banknoten
APA/AFP/Kirill Kudryavtsev
Ukraine-Krieg

Russlands Wirtschaft im freien Fall

Der Rubel fällt weiter in ein Allzeittief, die Börse bleibt geschlossen und die Kreditwürdigkeit wird erneut herabgestuft: Auf den internationalen Finanzmärkten ist Russland durch die westlichen Sanktionen so gut wie abgemeldet. Die wirtschaftliche Lage erinnert an die Krise 1998 – obwohl diesmal vieles anders ist. Denn Russland droht trotz voller Staatskassa die Zahlungsunfähigkeit.

Grund dafür sind vor allem die Sanktionen, die seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine von westlichen Staaten verabschiedet wurden und die Geschäftsfähigkeit der russischen Zentralbank sowie bestimmte Industriesektoren schwächen sollen.

Als eine der schwerwiegendsten Sanktionen gilt etwa der Ausschluss aus dem internationalen Bezahlungssystem SWIFT. Und auch immer mehr westliche Privatunternehmen wie zuletzt McDonald’s, Coca-Cola und Starbucks ziehen sich vom russischen Markt zurück.

Es bestehe ein hohes Risiko, dass Russland seine Schulden bei internationalen Gläubigern nicht mehr bedienen könne, so der Präsident des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher.

Menschen in Moskau gehen an einer Tafel mit Börsenkurse vorbei
AP/Pavel Golovkin
Der russische Rubel befindet sich im freien Fall, auch die Börse in Moskau ist seit über zehn Tagen geschlossen

Russland beschließt Maßnahmen zur Abfederung

Am Dienstagabend wurde der Devisenhandel in Russland gleich bis zum 9. September ausgesetzt, um die extreme Abwertung des Rubels und die Kapitalflucht aus dem Land zu bremsen. Außerdem wurden Abhebungen von Bargeld aus Fremdwährungskonten bei russischen Banken auf 10.000 Dollar (9.171 Euro) beschränkt. Was freilich weiterhin geht, auch wenn es wohl niemand macht: ausländische Währungen in Rubel umtauschen.

Präsident Wladimir Putin unterzeichnete zuletzt ein Gesetz, das Mittel aus einem nationalen Vermögensfonds für den Ankauf von Staatsanleihen und Aktien freigibt. Zudem wurde eine „Kapitalamnestie“ erlassen: Das bedeutet, dass am Fiskus vorbei ins Ausland gebrachtes Geld wieder nach Russland zurückkehren kann, ohne dass Strafen oder Steuern drohen.

Zahlungsausfall als wahrscheinlichstes Szenario

Dem Finanznachrichtendienst Bloomberg zufolge hat Russland 49 Milliarden Dollar (45 Mrd. Euro) an Staatsanleihen in Dollar und Euro offen. Am 16. März stehen Zinszahlungen über mehr als 100 Millionen Dollar an, am 4. April läuft eine Anleihe über zwei Milliarden Dollar aus.

„Wir sehen einen Zahlungsausfall als wahrscheinlichstes Szenario“, schrieb die US-Investmentbank Morgan Stanley am Montag an Klienten. „Ich wäre schockiert – absolut schockiert –, wenn sie sich die Mühe machen, ihren Zahlungen später in diesem Monat nachzukommen“, sagte der Ex-Hedgefonds-Manager Jay Newman im Bloomberg-Interview.

Große Ratingagenturen stufen Russland herab

Auch die großen Ratingagenturen machen Anlegern wenig Hoffnung. Fitch, Moody’s und S&P sehen Russlands Kreditwürdigkeit inzwischen im Ramsch-Bereich. Je niedriger das Rating, desto weniger vertrauen die Kreditgeber dem Land und desto weniger kann es sich – wenn überhaupt – Geld zu günstigen Zinssätzen leihen.

S&P senkte die Bonitätsnote am Freitag um acht Stufen, bis knapp über die Kategorie für Zahlungsunfähigkeit. Bei Moody’s fiel das Rating aufgrund „ernsthafter Bedenken hinsichtlich Russlands Bereitschaft und Fähigkeit, seine Schulden zu bezahlen“, auf noch tieferes Ramsch-Niveau.

„Allgemeiner betrachtet erhöhen die Verschärfung der Sanktionen und Vorschläge, die den Energiehandel einschränken könnten, die Wahrscheinlichkeit einer politischen Reaktion Russlands, die zumindest eine selektive Nichtbezahlung seiner Staatsanleihen beinhaltet“, so Fitch zu dem Importverbot der USA für Erdöl und Gas aus Russland. Ein Zahlungsausfall stehe unmittelbar bevor, so die Ratingagentur.

Das Hauptquartier der russischen Zentralbank in Moskau
Reuters/Maxim Shemetov
Die russische Zentralbank verhängt angesichts der westlichen Sanktionen drastische Einschränkungen für den Devisenhandel

Andere Ausgangslage als 1998

Die aktuelle wirtschaftliche Situation Russlands ruft Erinnerungen an den 17. August 1998 hervor: Damals stellte die Regierung wegen knapper Kassen die Bedienung der Binnenschulden ein und gab den Rubel zur Abwertung frei. Die Finanzmärkte kamen ins Taumeln, das Vertrauen in Russland war dahin, der Rubel büßte nach Jahren der Stabilität innerhalb weniger Wochen 75 Prozent ein. Russische Banken konnten ihre Verpflichtungen nicht mehr erfüllen, und internationale Finanzorganisationen stellten die Unterstützung ein.

Diesmal ist die Ausgangslage jedoch eine andere: Damals waren vor allem Russlands hohe Staatsschulden und geringe Devisenreserven ein Problem. Zudem war der Rubel noch an den Dollar gekoppelt, sodass die Zentralbank den Wechselkurs verteidigen musste. Im Zuge der Asien-Krise und fallender Ölpreise entpuppte sich das als hoffnungslos. Heute ist Russlands Staatskassa – nicht zuletzt dank hoher Öl- und Gaspreise – prall gefüllt. Doch durch die Sanktionen wurde ein Großteil von Russlands Zentralbankreserven über rund 640 Milliarden Dollar eingefroren.

Westliche Sanktionen als Hauptursache

So betonen auch die Kreditwächter von S&P und Moody’s, dass die Hauptursachen für das erhöhte Risiko eines Zahlungsausfalls nicht Geldnot, sondern Folgen der Sanktionen sind. Durch sie sind auch die Möglichkeiten der Zentralbank stark eingeschränkt. Selbst wenn Russland zahlen würde, wäre deshalb ungewiss, ob Gläubiger im Ausland an ihr Geld kommen.

Auch Kreditausfallversicherungen greifen bei manchen Anleihen womöglich nicht, was ein weiteres Problem für ausländische Investoren darstellt. „Es gibt bei all diesen Anleihen überhaupt keinen Schutz für Gläubiger“, so Ex-Hedgefonds-Manager Newman gegenüber Bloomberg. „Ich würde keinen Penny für diese Anleihen bezahlen.“

Staatliche Insolvenz vorerst nicht wahrscheinlich

Auch wenn die Anleihezahlungen in der kommenden Woche ausblieben, würde das allerdings nicht bedeuten, dass Russland von heute auf morgen in die Staatspleite gerät. Nach dem ersten Zahlungsversäumnis beginnt gewöhnlich eine 30-tägige Gnadenfrist, sodass der eigentliche Ausfall erst im April erfolgen würde.

Außerdem könnte es sich wegen der außergewöhnlichen Situation durch die Sanktionen zunächst nur um einen technischen oder partiellen Zahlungsausfall handeln, also noch nicht um eine staatliche Insolvenz im eigentlichen Sinne.

Russland: USA erklären „Wirtschaftskrieg“

Das von US-Präsident Joe Biden am Dienstag verkündete Importverbot für Rohöl und Gas aus Russland bezeichnet der Sprecher des russischen Präsidialamtes, Dmitri Peskow, als „Wirtschaftskrieg“. Die russische Regierung werde nun genau prüfen, welche Schritte sie unternehme. Russland sei ein zuverlässiger Energielieferant gewesen und werde das auch bleiben. Die Regierung ergreife Maßnahmen, um die russische Wirtschaft aufrechtzuerhalten.

Russische Parlamentsausschüsse seien bereit, die Regulierung der Preise für Lebensmittel, Medikamente und andere Waren vorzuschlagen, berichtete die Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf einen Abgeordneten der Regierungspartei. Demnach sagte Alexander Chinschtein, Mitglied von Geeintes Russland, eine solche Gesetzesinitiative sei bereits von Ausschüssen in der Duma vorbereitet worden und könne „jeden Moment“ vorgeschlagen werden.

Neue EU-Sanktionen geplant

Wie die EU-Ratspräsidentschaft am Mittwoch in Brüssel mitteilte, sollen weitere Oligarchen und deren Angehörige auf eine Liste von Personen kommen, deren Vermögenswerte in der EU eingefroren werden und die nicht mehr einreisen dürfen.

Um Schlupflöcher in den bisherigen drei Sanktionspaketen zu schließen, wurden Vorschriften zu Kryptowährungen und den Exportverboten für bestimmte Technologien ergänzt. Zudem sind laut EU-Ratsvorsitz ein Verbot für die Ausfuhr von Schifffahrtsausrüstung sowie der Ausschluss dreier belarussischer Banken aus SWIFT vorgesehen.

Der Beschluss wird nach Angaben des französischen Ratsvorsitzes verschriftlicht, danach können die neuen Sanktionen im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden und in Kraft treten. Die 27 EU-Länder treffen sich am Donnerstag und Freitag bei einem Gipfel in Versailles bei Paris – Hauptthema wird der Krieg in der Ukraine sein.