Es sind Bürgermeister und die Oblast-Gouverneure, auf die in diesen Tagen schwierige Aufgaben zukommen. In den von russischen Truppen bombardierten Städten versuchen sie die Bevölkerung zu schützen, Evakuierungen zu organisieren und gleichzeitig Ansprechpartner zu bleiben – für die Bevölkerung, die anderen Behörden, aber auch für Medien. Viele von Ihnen melden sich regelmäßig auf diversen Social-Media-Kanälen zu Wort.
So meldet sich der Bürgermeister der mittlerweile zerbombten Millionenstadt Charkiw, Ihor Terechow, regelmäßig in kurzen Videobotschaften an die Bevölkerung. „Wir stehen zusammen! Wir werden siegen! Wir sind Charkiwer!“, lautet immer der Abschluss seiner Botschaft. Er habe auch das Angebot der Russen bekommen die Seite zu wechseln, schilderte er unlängst. Das Angebot habe er eher krude abgelehnt.
„Das ist nicht 2014“
Es kam wohl nicht ganz von ungefähr: Terechow, der erst seit 2020 Bürgermeister der Metropole ist, galt vor dem Krieg eigentlich als eher russlandfreundlich. Charkiw liegt nahe der Grenze, mindestens zwei Drittel der Einwohnerinnen und Einwohner sprechen Russisch. Terechow war auch in einige undurchsichtige Geschäfte verwickelt. Dass Politik und Wirtschaft eng, meistens zu eng verwoben sind, ist in der Ukraine ein weit verbreitetes Problem.

Doch das alles steht jetzt im Hintergrund. In einem Interview mit einem ukrainischen Medium sagte er am Sonntag, die Stadt sei so einig wie noch nie und voller Kampfgeist, den Feind zu schlagen: „Das ist nicht 2014." „Die Angriffe treffen Wohnviertel", sagte er vor Kurzem in einem Interview mit CNN. „Kindergärten, Schulen, Entbindungskliniken werden beschossen.“ Das ein kein Zufall: "Ich kann das nur als Völkermord betrachten.“
Sympathie für Russland verflogen
Ein ähnliches Beispiel ist Gennadij Truchanow, Langzeitbürgermeister von Odessa. Auch er war in diverse Korruptionsaffären verwickelt, kam sogar in den Panama-Papers vor und galt ebenfalls als russlandfreundlich. Von Mafia-Kontakten war die Rede und von einer – in der Ukraine illegalen – russischen Staatsbürgerschaft. Die Schwarzmeer-Metropole wurde bisher weitgehend verschont, ist aber wohl das Ziel der vom Osten vorrückenden russischen Truppen. „Wir kämpfen bis zum Ende“, sagte er vor wenigen Tagen dem britischen „Telegraph“ und ließ sich mit einer Pistole in der Hand abbilden.

Olexij Honscharenko, Abgeordneter in Odessa und ebenfalls eher eine schillernde Politikerfigur, sagte gegenüber dem „Wall Street Journal“: „Diese Bürgermeister waren die Herren ihrer eigenen Städte, beschäftigt mit ihren eigenen Projekten. Wenn jetzt jemand in ihre Städte kommt, um alles zu zerstören, was sie erreicht haben, ändert das alles.“ Und das schweiße alle zusammen: „Heute sind die einzigen prorussischen Menschen, die in diesem Land noch leben, in psychiatrischen Anstalten untergebracht. Der russische Beschuss und die Bombardierung haben die Illusionen aller anderen aufgelöst.“
Unfassbare Zustände in Mariupol
Während es in Odessa noch ruhig ist, könnte die Situation in der eingekesselten Stadt Mariupol im Osten nicht schlimmer sein. Die Versorgung mit Lebensmitteln, Wasser, Strom und Heizmöglichkeiten gibt es nicht mehr. „Sie haben methodisch gearbeitet, um sicherzustellen, dass die Stadt blockiert ist“, sagte der Bürgermeister Wadym Bojtschenko über die Angreifer. „Sie erlauben uns nicht einmal, die Verwundeten und Getöteten zu zählen, weil der Beschuss nicht aufhört.“
Russland halte in der Stadt 400.000 Zivilisten als Geiseln, beklagte die ukrainische Regierung. Am Dienstag gab Bojtschenko bekannt, dass ein sechsjähriges Mädchen unter Trümmern verdurstet sei. Am Mittwoch wurde laut ukrainischen Angaben eine Geburtsklinik zerbombt – während einer vereinbarten Feuerpause. Drei Menschen starben, etliche wurden verletzt. Evakuierungsmaßnahmen über humanitäre Korridore wurden nach Beschuss immer wieder gestoppt. Am Donnerstag sagte Bojtschenko in einer Videobotschaft, die Stadt gehe durch „Armageddon“, die vergangenen Tage seien „die Hölle“ gewesen. Alle 30 Minuten würden die russischen Truppen Luftangriffe fliegen und dabei Alte, Frauen und Kinder töten.
„Der Krieg hat alle geeint“
Rund 90 Prozent der Bevölkerung haben Russisch als Muttersprache, ehemals durchaus vorhandene Sympathien für Russland dürften der Vergangenheit angehören. Alle hätten jetzt das gemeinsame Ziel, das Land zu bewahren, sagte der ukrainische Politologe Taras Semenjuk dem „Wall Street Journal“: „Der Krieg hat alle geeint, und es spielt keine Rolle mehr, wer welcher Partei angehört, zu welchem Gott sie beten und welche Sprache sie sprechen.“
Rund 250 Kilometer westlich liegt der Ort Enerhodar. Vor einigen Tagen war die Bevölkerung ausgerückt, um das nahe Atomkraftwerk vor den angreifenden Truppen abzuschirmen. Nun versucht man, während Feuerpausen Zivilisten aus der Stadt zu bringen. Doch versprochene Hilfsgüter wie Nahrung und Medikamente seien nie in der Stadt angekommen, sagte Bürgermeister Dmytro Orlow am Mittwoch.
Am Freitag wurde laut Angaben des ukrainischen Parlaments der Bürgermeister der Stadt Melitopol verschleppt. Ein Video soll zeigen, wie Iwan Fedorow mit einem Sack über dem Kopf von russischen Soldaten entführt wurde. Melitopol wurde von den Russen eingenommen, dennoch fanden in der Stadt Demonstrationen immer wieder gegen die Invasion statt.
Bürgermeister an der Frontlinie
Zum Teil noch schlimmer ist die Situation in den Städten nördlich von Kiew, die von den vorrückenden russischen Truppen in den vergangenen Tagen überrollt worden sind – und auch dort sind es die Bürgermeister, die – oft erfolglos – versuchen, das Schlimmste abzuwenden. Tschernihiw, recht nahe an der Grenze zu Belarus, ist im Belagerungszustand. Zwei Drittel der Bewohnerinnen und Bewohner seien ohne Heizung und Warmwasser, schrieb Bürgermeister Wladyslaw Atroschenko dieser Tage, 60 Tote Zivilisten soll es geben.
Der Bürgermeister des Kiewer Vorortes Butscha, Anatol Fedoruk, berichtete, man könne nicht einmal die Toten von den Straßen bergen. Das sei zu gefährlich. Er selbst wurde bei einem Angriff verletzt.

Sein Amtskollege in der Kleinstadt Hostomel, Juri Illitsch Prylipko, wurde bei einem russischen Angriff getötet. Er sei gestorben, „als er Brot und Medikamente an Kranke verteilte“, erklärte die Stadtverwaltung am Montag auf Facebook. „Er hätte sich, wie Hunderte andere, in einem Keller verstecken können“, fügte die Stadtverwaltung hinzu. „Aber er hatte seine Entscheidung getroffen.“
Gouverneur zwischen Mut und Übermut
Anders als die Bürgermeister, die von der Bevölkerung gewählt werden, sind die Gouverneure der 24 Oblaste von der Regierung eingesetzt. Besonders in Erscheinung tritt Witalij Kim, Gouverneur von Mykolajiw mit Sitz in der gleichnamigen Hafenstadt im Süden des Landes. Kim wurde in den vergangenen Tagen und Wochen nach Präsident Selenski zur zweiten großen Galionsfigur des Widerstandskampfes – zumindest in den sozialen Netzwerken.

Wie sein Vorbild hat auch er den Anzug für ein olivgrünes Militär-T-Shirt getauscht. Mehrmals täglich meldet er sich mit Kurzvideo zu Wort, zwischen mutig und übermütig. Ein Bild, das ihn telefonierend, mit bunten Socken lässig die Fuße auf dem Schreibtisch hochgelagert, zeigt, geht durch alle Medien. Auch Memes davon machen die Runde.
„Optimismus ist unerlässlich. Ich war früher Sportler und weiß, dass ein Sieg unmöglich ist, wenn man nicht an den Sieg glaubt“, sagte Kim dem „Wall Street Journal“. „Wenn man zu einem Kampf antritt, muss man sich sicher sein, dass man gewinnt, sonst ist es besser, gar nicht erst anzutreten.“
Strategisch wichtiges Hafenstadtdreieck
Ein erster Vorstoß der russischen Truppen nach Mykolajiw wurde abgewehrt, selbst Gegenoffensiven waren zuletzt erfolgreich. Die Stadt ist aufgrund ihrer Lage zwischen vielen Flussläufen als schwer einzunehmen, gilt aber als strategisch wichtig. Das Hafenstadtdreieck Cherson, Mykolajiw und Odessa ist wichtig für den Zugang zum Schwarzen Meer, Cherson wurde von den Russen eingenommen, die nun Richtung Osten drängen.
Und die Kämpfe im Süden sind laut Experten, wie unlängst der „Guardian“ berichtete, militärstrategisch vielleicht derzeit der wichtigste Kriegsschauplatz. Gerade ist unklar, ob die russischen Truppen noch einen Vorstoß auf die Stadt Mykolajiw versuchen oder an der Stadt vorbei weiter Richtung Osten und Odessa vorstoßen wollen. Kim verkündete jedenfalls angesichts der erwarteten Kämpfe, schon 50 Busse bestellt zu haben – für russische Kriegsgefangene. Freitagabend begann die russische Offensive auf die Stadt mit schwerem Artilleriebeschuss.