Szene aus „Jackass“
Constantin Film
„Jackass Forever“

Blödeln, bis die Knochen schmerzen

Johnnie Knoxville und seine alte Unsinnscrew sind zurück: 22 Jahre nach der MTV-Premiere von „Jackass“ fühlt sich der vierte Kinofilm trotz der bewährten Kombination aus Stunts, Streichen, versteckter Kamera und hemmungslosem Gelächter nostalgisch an.

Sie zeigen stolz ihre Zahnlücken, ihre Blutergüsse und Dellen auf ihren teils hager, teils füllig gewordenen Körpern. Sie stehen noch nach der ärgsten Bruchlandung so schnell auf wie früher – zumindest suggerieren das die Szenen im Film. Sie sind furchtlos wie mit Mitte zwanzig und genauso albern: Knoxville, Steve-O, Preston Lacy, Wee Man, Steve England und all die anderen Esel, die die ursprüngliche „Jackass“-Truppe ausmachten, sind erwachsen geworden, aber nur der Jahreszahl nach.

In „Jackass Forever“ demonstrieren sie eine Variante ewig jugendlicher Blödelei, die eine Inhaltswarnung erfordert: „Die Stunts in diesem Film wurden von Profis durchgeführt.“ Im Abspann steht das sicherheitshalber noch einmal, denn was hier passiert, tut wirklich weh. Da stechen Skorpione in Lippen, Knoxville lässt sich aus einer Kanone rausschießen, Lacy spielt ein menschliches Surfboard für Wee Man, England kriegt Schweinesperma über den Kopf geschüttet und beschwert sich nachher: „Ich bin doch Vegetarier.“

Szene aus „Jackass“
Constantin Film
Auf die Hörner: Johnny Knoxville im Duell mit dem Stier

Dass sich die Männer (und wenigen Frauen) diese Strapazen noch einmal angetan haben, mehr als zwanzig Jahre nach der Erfindung der legendären MTV-Realityshow „Jackass“, die Knoxville und seine Freunde zu Ikonen des „Traust dich nie!“-Stunts machte, hat zum einen sicherlich mit Geld zu tun: „Jackass“ und die darauffolgenden Kinofilme waren sensationell erfolgreich und machten Knoxville zu einem reichen Mann.

Einmal geht’s noch

Zum anderen geht es ums Noch-einmal-wissen-Wollen und darum, sich und dem Publikum zu beweisen, dass sie immer noch jung genug sind, um richtigen Blödsinn zu machen. Dass der Film just zu Knoxvilles 51. Geburtstag am 11. März ins Kino kommt, ist ein hübscher Zufall.

Viele der Stunts sind direkte Neuauflagen von Klassikern, all die Schlangenbisse in Nasen, das explodierende Mobilklo, die ungebremsten Schläge in nur unzureichend geschützte Hoden, die bis in die Poporitze hochgezogenen Unterhosen. Die Krönung des Films und von Knoxvilles Karriere ist schließlich die Begegnung mit dem Rodeostier, die unglücklicherweise doch nicht so glimpflich endet wie erhofft.

Mit seiner hirnlosen Schmerzsuche grätscht „Jackass Forever“ jedenfalls in eine Realität des Jahres 2022 hinein, in der der Alltag vielfach von Überforderung gekennzeichnet ist. „Jackass Forever“ bietet eine Flucht daraus, wenn auch nicht ganz. Gedreht wurde natürlich unter strengen Coronavirus-Maßnahmen, was die Absurdität noch steigert.

Im Hintergrund sind Crewmitglieder und Kameraleute mit FFP2-Masken zu sehen, während sich im Vordergrund einer so oft in die Geschlechtsteile treten, boxen oder am Ende mit Anlauf springen lässt, bis er blutet und der Kameramann vor Entsetzen in seine Schutzmaske erbricht.

Collegehumor für alte Buben

Irgendwann beim ungefähr zwanzigsten Stunt, etwa wenn ein Skateboardfahrer von einer überdimensionalen knallgelben Faust umgerannt wird, driftet schon einmal der Geist ab, und im Zuschauerinnenhirn formulieren sich Fragen: Was hat es eigentlich auf sich mit diesem grotesken Männerkörper-zum-Spaß-Deformieren-und-Schmerz-Zufügen? Was fasziniert an dieser körperlichen Rückversicherung von Männlichkeit, die so sehr nach verschwitztem College- oder Budenhumor riecht und die auch Momente brüderlicher Fürsorglichkeit kennt?

Szene aus „Jackass“
Constantin Film
Nur nicht schreien: Wer zugibt, dass es zu sehr wehtut, hat verloren

Und warum geschieht das mit weiblich interpretierten Körpern medial nur im pornografischen, medizinischen oder künstlerischen Kontext, aber nie einfach zum Spaß, wie es bei „Jackass“ passiert? Rachel Wolfson, eine der wenigen Frauen in der Crew, lässt sich, wenn man so will, nur „sittsam“ von einem Skorpion in die Lippen stechen oder die Zunge elektrisieren, während ihre Kollegen einander nackt verprügeln, als gäbe es kein Morgen.

Vielleicht ist es nur Gebärneid?

Dass ein Körper mit Gebärmutter und Vulva Deformationen aushält und sich danach meistens wieder regenerieren kann, beweisen die meisten Schwangerschaften. Sind die auffallend vielen „Jackass“-Stunts, bei denen es ums Penissequetschen, Malträtieren, Hoden-blutig-Boxen usw. geht, also vielleicht nur Gebärneid? Ist es sehr boshaft, so zu denken? Oder ist es vielleicht gesünder, bei „Jackass“ gar nicht zu denken?

Womöglich ist „Jackass Forever“ in Wahrheit aber auch der vorläufige Höhepunkt eines breiten historischen Panoramas, das von den antiken Gladiatorenkämpfen über klassische Zirkusnummern wie den kleinwüchsigen Mann als personifizierte Kanonenkugel, Rodeoreiten, Stierkämpfe, Duellfechten, kompromisslose Körperkunst wie von Marina Abramovic, Red-Bull-Extremsport und TikTok-Challenges bis zu „Dschungelcamp“ mit seinen Insekten-Brettljausen und Tiersperma-Cocktails reicht.

Zweifelsohne ist Knoxville und seiner Crew jedenfalls eine Art von Kulturgut gelungen, das tiefere Spuren hinterlässt als bloße Blutergüsse und Zahnlücken. Und wenn es nur die Sehnsucht nach echten Gefühlen ist wie Schmerz, Scham und Reue. Geweint wird übrigens trotzdem nie, stattdessen performativ gelacht. Nur nichts zugeben, das wäre dann doch peinlich.