Besuch in der Datscha 1958 . Vizekanzler Pittermann, Staatssekretär Kreisky und Außenminister Figl. –
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1945 und die Folgen

Österreichs Verhältnis zu Moskau

„Wir haben nicht einmal begonnen, den Kalten Krieg zu verstehen“, meint der Historiker Oliver Rathkolb im Schatten der Debatte über die österreichische Neutralität und die Positionierung Österreichs in der Weltpolitik. Im Verhältnis zwischen Österreich und Russland bzw. der UdSSR erinnert Rathkolb an die Politik der 1950er bis 1970er Jahre. Österreich sei nach einem heiklen Austarieren zwischen Washington und Moskau früh den Weg einer aktiven Entspannungspolitik Richtung Moskau gegangen. Die Menschenrechtspolitik habe man damals nicht vergessen, erinnert Rathkolb an Unterschiede zur Gegenwart.

Österreichs Neutralitätspolitik ist für Rathkolb in ein Stadium der „Bequemlichkeit“ zurückgefallen. Im Gespräch mit ORF.at zum Verhältnis zwischen Österreich und Moskau erinnert er auch daran, wie die Neutralität ins Spiel kam, die Österreich eben nicht aufgezwungen worden sei, sondern die das Ergebnis eines „Perspektivenwechsels“ auf mehreren Seiten seit dem Tod Josef Stalins 1953 gewesen sei. Der Perspektivenwechsel habe sich bei US-Präsident Dwight D. Eisenhower ebenso ergeben wie in Österreich beim damaligen Kanzler Julius Raab (ÖVP), der ja 1953 frisch ins Amt gekommen war.

Die Rolle Raabs, gerade auch die Aufstellung seines neuen Kabinetts zeigte, wie sehr er auf den Kurs einer stillen wie klugen Diplomatie setzte, die als Ziel die Herstellung der Souveränität Österreichs hatte. Der amerikafreundliche und zu mancher Indiskretion neigende Karl Gruber wurde durch Leopold Figl ersetzt, auch wenn das im Westen Österreichs keine Punkte brachte. Und im Außenministerium war Raab der SPÖ mit einem zusätzlichen Staatssekretär entgegengekommen – eine Position, die mit dem Berater von Bundespräsident Theodor Körner, Bruno Kreisky, besetzt worden war.

„Raab hat erkannt, dass die Lösung für diese Frage in Moskau liegt“, so Rathkolb, der auch das Bild von der zechenden Delegation Österreichs in Moskau geraderücken will. Rathkolb verweist auf eine von ihm gefundene Frühstücksnotiz Eisenhowers, aus der man seinen Willen für „eine Neutralisierung Österreichs“ ablesen könne. Bereits 1954 habe es mit der Anweisung an seinen Hardliner-Außenminister John Foster Dulles damit lange vor Moskau in Washington eine Position gegeben, dass die Neutralität eine akzeptable Position sei.

Die Bewegung hin zu einer Neutralitätshaltung sei auch in Österreich ein gehöriger Aufwand gewesen, habe sich doch die SPÖ mit Ausnahme Kreiskys nicht sehr für diese Position anfreunden können. Und gegen die Neutralität, so Rathkolb, sei am Ende auf Weisung Moskaus auch die KPÖ gewesen. Während sich ÖVP und SPÖ hin zur Neutralitätsposition entwickelt hätten, blieb am Ende nur die Vorläuferpartei der FPÖ mit einer ablehnenden Haltung zur Neutralität über (für die Neutralität hatten die Kommunisten im Parlament dann doch mit gestimmt).

Vor dem Abflug der österreichischen Regierungsdelegation nach Moskau. Bundeskanzler Raab, Bundespräsident Schärf, Außenminister Figl und Staatssekretär Kreisky (v.r.n.l.) vor der Maschine. Staatsvertragsverhandungen, Vor dem Abflug der österreichischen Regierungsdelegation nach Moskau. Bundeskanzler Raab, Bundespräsident Schärf, Aussenminister Figl und Staatssekretär Kreisky (v. r. n. l.) vor der Maschine., 1955 – 19550101_PD5068 – Rechteinfo: Rights Managed (RM)
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Vor dem Abflug der österreichischen Regierungsdelegation nach Moskau 1955: Bundeskanzler Raab, Vizekanzler Adolf Schärf, Außenminister Figl und Staatssekretär Kreisky (v. r. n. l.) vor der Maschine

Position pro Menschenrechte gegen Moskau

Danach sei für Österreich eine Politik prägend gewesen, die zunächst die Gegensätze zwischen Washington und Moskau „ausgeschaukelt“ habe. Deutlich sei das zu sehen gewesen im Umgang mit der Ungarn-Krise 1956, wo Österreich gegen Moskau eine Position pro Menschenrechte und Demokratie eingenommen habe. Spätere Missionen nach Moskau haben ja wiederum Washington empört, wie in zahlreichen Werken zur Frühgeschichte der Zweiten Republik nachzulesen ist.

Der damalige britische Botschafter in Wien, so erinnert etwa Manfried Rauchensteiner in seinem Band „Unter Beobachtung“, „schrieb wenig freundlich, aber pointiert an das Londoner Foreign Office, Österreich habe nur deshalb ein eigenes Gewicht, weil es am Eisernen Vorhang liege und wie eine Speerspitze in den Sowjetblock hineinrage; ansonsten sei es unauffällig, nett und vornehmlich für Touristen, Musikliebhaber und Freunde des mitteleuropäischen Barock von Interesse“.

Historiker Rathkolb zur Neutralität

Oliver Rathkolb geht auf Vorwürfe ein, die Neutralität sei eine der Lebenslügen Österreichs mit ihrer schlawinerhaften Trittbrettfahrerei inklusive des Hoffens auf fremde Hilfe im Notfall.

Man habe damals immer jemanden verstimmt, so Rathkolb. War man einmal mit der Ausrichtung des kommunistisch orientierten internationalen Weltjugendfestes zu russenfreundlich, habe andererseits wieder die Abhaltung des „Sudetendeutschen Tages“ sofort wieder für Verstimmung in Moskau gesorgt. In den 1960er Jahren habe Österreich aber unter Kreisky als Außenminister lange vor Willy Brandt und Walter Scheel in Deutschland eine aktive Annäherungspolitik an Moskau und die kommunistischen Nachbarstaaten betrieben. Mit dem Effekt, dass der Beitrag Österreichs im Überbringen der russischen Position nach Washington in der Kuba-Krise „einen nuklearen Krieg in letzter Minute verhindert habe“. Österreich habe bei aller Annäherung „aber nie die Menschenrechtspolitik vergessen“, so Rathkolb, der an die Positionen Österreichs zur Lage in der Tschechoslowakei 1968 und zur Charta 77 erinnert.

Besuch in der Datscha 1958 . Vizekanzler Pittermann, Staatssekretär Kreisky und Außenminister Figl. –
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Staats- mit Datschenbesuch, 1959 in Moskau. Mit dabei Vizekanzler Bruno Pittermann, Staatssekretär Kreisky und Außenminister Figl.

„Goldgräberstimmung nach 1989“

„Außenpolitik ist nur noch zur Innenpolitik sowie zur Flüchtlings- und Migrationspolitik geworden“, kritisiert Rathkolb die gelebte Neutralitätspolitik vergangener Jahre. Streng geht er auch mit Österreichs Haltung nach dem Fall des Eisernen Vorhangs um. „Nach 1989 hat eine Goldgräberstimmung geherrscht“, so Rathkolb, der von österreichischer Seite eine nachhaltige Wirtschaftspolitik in den 1990ern vermisst. „Es ging um schnelle Gewinne, aber nicht um eine Wirtschaftspolitik, die geschaut hat, dass nachhaltige pluralistischere politische Strukturen entstehen“, so Rathkolb. Das habe auch zu keiner positiven Grundstimmung gegenüber Österreich geführt, erinnert Rathkolb etwa an das Verhältnis zu Ungarn.

In Russland habe man die Folgen dieses „Raubtierkapitalismus“ zu spät erkannt. „In so einer inhomogenen Gemengelage liegt die Gefahr der Destabilisierung“, so Rathkolb, der daran erinnert, wie sehr Russlands Präsident Wladimir Putin natürlich auch von den Erfahrungen des Kalten Krieges geprägt sei. Geschäfte seien immer auch Teil einer Entspannungspolitik, so Rathkolb. Bei Putin habe man aber in puncto Menschenrechte einfach gern weggeschaut, sich zugleich auf Geschäfte mit Oligarchen aus seinem Umfeld eingelassen.

Putin tanzt 2018 mit Karin Kneissl auf deren Hochzeit
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2018: Putin auf der Hochzeit der damaligen Außenministerin Karin Kneissl

Putins Hochzeitstanz und eine Botschaft für daheim

Der „Sündenfall“ sei natürlich der Auftritt Putins bei der Hochzeit von Außenministerin Karin Kneissl gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei die Halbinsel Krim schon annektiert gewesen. Andererseits sei man in der Pflege des guten Kontakts zu Putin dem russischen Präsidenten insofern auf den Leim gegangen, weil Putin die Präsentation seiner guten Kontakte im Ausland stets in der russischen Medienlandschaft wichtig gewesen sei. Und hier hätte er Akzeptanz mit einer auch in Russland beliebten Walzerseligkeit vermengen können, mitfinanziert vom österreichischen Steuerzahler.

Buchhinweise

  • Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik. Zsolay.
  • Manfried Rauchensteiner: Unter Beobachtung. Böhlau.

Hier hätte man schon sehen können, welchem Spiel man aufsitzt – spätestens beim Verbot der Aktivistengruppe Memorial „hätten die Alarmglocken läuten müssen“, sagt Rathkolb. Österreich empfiehlt Rathkolb, wieder zu internationaler Politik zurückzukommen, die Außenpolitik sei und nicht immer mit zwei Augen auf die Innenpolitik schiele. „Warum treffen sich jetzt der russische Außenminister und sein ukrainischer Kollege in Antalya und nicht in Wien, das wäre für beide Seiten auch deutlich leichter zu erreichen“, fordert Rathkolb eine deutlich aktiviere Neutralitätspolitik, die sich weniger mit einer Beobachterposition zufriedengibt.

In der nostalgischen Mitteleuropabegeisterung, die ja auch den Umgang mit den Ländern wie der Ukraine in den 1990er Jahren geprägt habe, stecke sehr viel von einer Begeisterung für sich selbst – „und leider, das muss man ja auch mit einem Blick auf Bosnien-Herzegowina sagen, steckt da eine fast schon postkoloniale Haltung“. Wenn man die eigene Geschichte und Rolle des Kalten Krieges besser kenne, würde man auch Putin klarer als ein typisches Produkt des Kalten Krieges erkennen, meint Rathkolb, der den jetzigen Konflikt nur als Vorspiel einer Auseinandersetzung Europas und des Westens mit China sieht.