Treffen der EU zum Ukraine-Krieg
Reuters/Sarah Meyssonnier
Gipfel in Versailles

Europa will Weichen neu stellen

In den geschichtsträchtigen Mauern des französischen Schlosses Versailles sind am Donnerstag die 27 Staats- und Regierungsspitzen zum EU-Gipfel zusammengekommen. Im Mittelpunkt des zweitägigen Treffens steht einmal mehr der Ukraine-Krieg, der nicht zuletzt auch innerhalb der EU eine Art Revolution auslöste: Geschlossen wie selten zuvor betonte man die Einigkeit und Stärke der Union sowie die Solidarität gegenüber der Ukraine. Um die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs abzufedern und die Abhängigkeit von Russland zu beenden, wird zudem über die Einrichtung eines neuen Investitionsfonds nachgedacht. Nun sei der Punkt, an dem Europa neue Weichen stellen müsse, so der Appell zu Beginn.

Die Mitgliedsstaaten stehen Seite an Seite – und an der Seite der Ukraine, heißt in den Eingangsstatements der Staats- und Regierungsspitzen. Man pocht auf Souveränität und Unabhängigkeit, sowohl bei der Verteidigung als auch bei der Energieversorgung, so der Tenor. „Europa hat sich während der Pandemie verändert und wird sich angesichts des Kriegs noch schneller verändern“, sagte der französische Präsident Emmanuel Macron.

Es gehe um nichts Geringeres als eine strategische Weichenstellung, so Macron. Europa müsse sich auf alle Szenarien einstellen, zeigte sich Macron „besorgt und pessimistisch“. Die Frage sei, wie schnell die Abhängigkeit von Gas und Öl aus Russland verringert werden kann. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte, die EU sei an einem „Scheidepunkt“. Die Europäer müssten ihre Abhängigkeit von russischen fossilen Energieträgern wie Erdgas, Öl und Kohle beenden.

Im Moment noch stärker von russischem Gas abhängigen Ländern müsse Macron zufolge geholfen werden, nötig sei eine europäische Solidarität. Zur Debatte steht hierbei ein neuer EU-Hilfsfonds nach dem Vorbild des Coronavirus-Wiederaufbaufonds. Durch ein schuldenfinanziertes Unterstützungsprogramm solle nicht nur die Energieversorgungssicherheit, sondern auch die europäische Verteidigung gestärkt werden.

Französische Flagge über Versailles mit EU-Sternen
AP/Michel Euler
Im Innenhof des Prunkschlosses weht die französische Flagge, dahinter die europäische, dessen Sterne durch die Trikolore schimmern

Nehammer: Gegen die Krise investieren

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zeigte sich einem solchen Investitionspaket gegenüber offen: „In einer Krise ist es immer notwendig, gegen die Krise zu investieren.“ Investitionen seien nun „notwendig und wichtig“ – auch müsse man sie gemeinschaftlich durchführen.

Ähnlich äußerte sich der italienische Ministerpräsident Mario Draghi: Die europäische Wirtschaft wachse noch, es habe aber eine Verlangsamung gegeben, und man beobachte, dass viele Rohstoffe knapp seien. Darauf müsse man genauso schnell und überzeugt antworten, wie man auf die russische Aggression reagiert habe, so Draghi. Bisher beschloss die EU vier Sanktionspakete gegen Russland, man sei jedoch bereit, „schnell zu agieren mit weiteren Sanktionen, falls nötig“, wie aus einem Entwurf für die Ukraine-Erklärung hervorgeht.

Bericht vom EU-Gipfel

ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter berichtet über die Beratungen zu weiteren Sanktionen gegen Russland am informellen EU-Gipfel in Versailles.

Beratungen über EU-Beitrittsgesuch der Ukraine

Auf der Agenda für den zweitägigen Gipfel stehen zudem Beratungen über das EU-Beitrittsgesuch der Ukraine. Zwar verlangen vor allem östliche EU-Staaten wie Polen und Slowenien eine umgehende Beitrittsperspektive, der Großteil der Mitgliedsstaaten zeigt sich jedoch skeptisch. Es sei ein langwieriger Prozess, dem man nicht vorgreifen wolle, so die Argumentation.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) etwa sprach sich klar gegen die Möglichkeit aus, das normalerweise sehr langwierige Aufnahmeverfahren für die Ukraine zu beschleunigen. Die Ukraine brauche jetzt Solidarität sowie rasche und unbürokratische Hilfe, meinte Nehammer dazu.

Der französische Präsident Emmanuel Macron begrüßt den österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP)
AP/Michel Euler
Macron empfängt Nehammer im Schloss Versailles

Macron: Architektur Europas wird sich verändern

Macron betonte, die EU sollte ein Signal senden, müsse aber dabei genau abwägen. „Können wir heute einen Beitrittsprozess mit einem Land eröffnen, das sich im Krieg befindet? Das glaube ich nicht. Sollten wir die Türe zuschlagen und sagen: niemals? Das wäre ungerecht.“ Europa müsse nun sehen, wie es sich geografisch neu definiere. „Die Architektur Europas wird sich verändern.“

Neben der Ukraine stellten auch Moldawien und Georgien einen Beitrittsantrag. Von der Leyen formulierte vage: „Wir werden sicher auch über die Ukraine als Teil unserer europäischen Familie diskutieren.“ Man wolle eine freie und demokratische Ukraine, mit der man ein gemeinsames Schicksal teile.

EU droht mit weiteren Sanktionen

Die EU-Staats- und -Regierungschefs sagen der Ukraine weitere Hilfe zu und drohen Russland mit neuen Sanktionen. Das geht aus einem der Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden Entwurf für die Ukraine-Erklärung des informellen EU-Gipfels in Versailles am Donnerstag und Freitag hervor.

Putin 2017 in Versailles

Im Schloss Versailles war fünf Jahre zuvor auch der russische Präsident Wladimir Putin. Macron verteidigte seine häufigen Kontakte: „Ich habe Präsident Putin auch hier kurz nach meiner Wahl empfangen“, sagte er mit Blick auf seine Einladung an Putin 2017. Er sei dafür kritisiert worden, aber er wolle den Kontakt zu Putin auch weiter halten.

„Ich scheue keine Mühe, um den Waffenstillstand zu erreichen“, sagte Macron, der noch am Vormittag gemeinsam mit Scholz mit Putin gesprochen hatte. Ein weiteres Gespräch im Dreierformat sei innerhalb von 48 Stunden geplant. Doch kurzfristig sehe er „keine diplomatische Lösung“. Die Verhandlungen seien „noch weit vom Abschluss entfernt“, sagte Macron.