Die Mitgliedsstaaten stehen Seite an Seite – und an der Seite der Ukraine, heißt in den Eingangsstatements der Staats- und Regierungsspitzen. Man pocht auf Souveränität und Unabhängigkeit, sowohl bei der Verteidigung als auch bei der Energieversorgung, so der Tenor. „Europa hat sich während der Pandemie verändert und wird sich angesichts des Kriegs noch schneller verändern“, sagte der französische Präsident Emmanuel Macron.
Es gehe um nichts Geringeres als eine strategische Weichenstellung, so Macron. Europa müsse sich auf alle Szenarien einstellen, zeigte sich Macron „besorgt und pessimistisch“. Die Frage sei, wie schnell die Abhängigkeit von Gas und Öl aus Russland verringert werden kann. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte, die EU sei an einem „Scheidepunkt“. Die Europäer müssten ihre Abhängigkeit von russischen fossilen Energieträgern wie Erdgas, Öl und Kohle beenden.
Im Moment noch stärker von russischem Gas abhängigen Ländern müsse Macron zufolge geholfen werden, nötig sei eine europäische Solidarität. Zur Debatte steht hierbei ein neuer EU-Hilfsfonds nach dem Vorbild des Coronavirus-Wiederaufbaufonds. Durch ein schuldenfinanziertes Unterstützungsprogramm solle nicht nur die Energieversorgungssicherheit, sondern auch die europäische Verteidigung gestärkt werden.

Nehammer: Gegen die Krise investieren
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zeigte sich einem solchen Investitionspaket gegenüber offen: „In einer Krise ist es immer notwendig, gegen die Krise zu investieren.“ Investitionen seien nun „notwendig und wichtig“ – auch müsse man sie gemeinschaftlich durchführen.
Ähnlich äußerte sich der italienische Ministerpräsident Mario Draghi: Die europäische Wirtschaft wachse noch, es habe aber eine Verlangsamung gegeben, und man beobachte, dass viele Rohstoffe knapp seien. Darauf müsse man genauso schnell und überzeugt antworten, wie man auf die russische Aggression reagiert habe, so Draghi. Bisher beschloss die EU vier Sanktionspakete gegen Russland, man sei jedoch bereit, „schnell zu agieren mit weiteren Sanktionen, falls nötig“, wie aus einem Entwurf für die Ukraine-Erklärung hervorgeht.
Bericht vom EU-Gipfel
ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter berichtet über die Beratungen zu weiteren Sanktionen gegen Russland am informellen EU-Gipfel in Versailles.
Beratungen über EU-Beitrittsgesuch der Ukraine
Auf der Agenda für den zweitägigen Gipfel stehen zudem Beratungen über das EU-Beitrittsgesuch der Ukraine. Zwar verlangen vor allem östliche EU-Staaten wie Polen und Slowenien eine umgehende Beitrittsperspektive, der Großteil der Mitgliedsstaaten zeigt sich jedoch skeptisch. Es sei ein langwieriger Prozess, dem man nicht vorgreifen wolle, so die Argumentation.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) etwa sprach sich klar gegen die Möglichkeit aus, das normalerweise sehr langwierige Aufnahmeverfahren für die Ukraine zu beschleunigen. Die Ukraine brauche jetzt Solidarität sowie rasche und unbürokratische Hilfe, meinte Nehammer dazu.

Macron: Architektur Europas wird sich verändern
Macron betonte, die EU sollte ein Signal senden, müsse aber dabei genau abwägen. „Können wir heute einen Beitrittsprozess mit einem Land eröffnen, das sich im Krieg befindet? Das glaube ich nicht. Sollten wir die Türe zuschlagen und sagen: niemals? Das wäre ungerecht.“ Europa müsse nun sehen, wie es sich geografisch neu definiere. „Die Architektur Europas wird sich verändern.“
Neben der Ukraine stellten auch Moldawien und Georgien einen Beitrittsantrag. Von der Leyen formulierte vage: „Wir werden sicher auch über die Ukraine als Teil unserer europäischen Familie diskutieren.“ Man wolle eine freie und demokratische Ukraine, mit der man ein gemeinsames Schicksal teile.
EU droht mit weiteren Sanktionen
Die EU-Staats- und -Regierungschefs sagen der Ukraine weitere Hilfe zu und drohen Russland mit neuen Sanktionen. Das geht aus einem der Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden Entwurf für die Ukraine-Erklärung des informellen EU-Gipfels in Versailles am Donnerstag und Freitag hervor.
Putin 2017 in Versailles
Im Schloss Versailles war fünf Jahre zuvor auch der russische Präsident Wladimir Putin. Macron verteidigte seine häufigen Kontakte: „Ich habe Präsident Putin auch hier kurz nach meiner Wahl empfangen“, sagte er mit Blick auf seine Einladung an Putin 2017. Er sei dafür kritisiert worden, aber er wolle den Kontakt zu Putin auch weiter halten.
„Ich scheue keine Mühe, um den Waffenstillstand zu erreichen“, sagte Macron, der noch am Vormittag gemeinsam mit Scholz mit Putin gesprochen hatte. Ein weiteres Gespräch im Dreierformat sei innerhalb von 48 Stunden geplant. Doch kurzfristig sehe er „keine diplomatische Lösung“. Die Verhandlungen seien „noch weit vom Abschluss entfernt“, sagte Macron.