Der chinesische Premierminister Li Keqiang
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Volkskongress

China und die Putin-Frage

China übt sich weiterhin in einem Spagat: Ungeachtet des Angriffskrieges Russlands in der Ukraine steht Peking zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Doch ganz so einfach ist Chinas Antwort auf die Putin-Frage nicht. Offensichtlich will man auch den Westen nicht vor den Kopf stoßen und wählt deshalb auch sehr zurückhaltend Kritik an dem „strategischen Partner“ in Moskau. Laut Experten ist China allerdings nicht so neutral, wie man seine Aussagen deuten könnte.

So rief China zwar zum Abschluss der diesjährigen Tagung des Volkskongresses am Freitag in Peking zu „äußerster Zurückhaltung“ in Russlands Krieg in der Ukraine auf, um eine größere humanitäre Katastrophe zu verhindern. Chinas Regierungschef Li Keqiang vermied es jedoch auf einer Pressekonferenz weiterhin, Russland für die Invasion zu kritisieren.

Auch sprach sich der chinesische Premier gegen die internationalen Sanktionen gegen Russland aus. „Die betreffenden Sanktionen schaden der wirtschaftlichen Erholung der Welt“, sagte Li weiter: „Niemand hat ein Interesse daran.“

Der russische Präsident Wladimir Putin und der chinesische Präsident Xi Jinping
Reuters/Sputnik
Der russische Präsident Wladimir Putin und sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping am 4. Februar in Peking

Ukraine-Krieg drückt Chinas Wirtschaftserwartung

Die Jahrestagung des chinesischen Parlaments endete mit einer starken Steigerung der Militärausgaben und einem niedrigeren, aber ambitionierten Wachstumsziel für die zweitgrößte Volkswirtschaft. Die knapp 3.000 Delegierten in der Großen Halle des Volkes billigten erwartungsgemäß den Wirtschaftskurs der Regierung. In den wirtschaftlichen Unsicherheiten auch durch den Ukraine-Krieg gibt der Premier in diesem Jahr ein Wachstum von 5,5 Prozent vor.

Wegen der schlechten Weltkonjunktur, gestörter Lieferketten und Problemen wie Immobilienkrise und Überschuldung ist es das niedrigste Ziel seit drei Jahrzehnten. Es gilt aber als ehrgeizig und liegt über den Erwartungen des Währungsfonds (IWF), der für China nur mit 4,8 Prozent annimmt. 2021 hatte Chinas Wirtschaft um 8,1 Prozent zugelegt, was aber auch an der niedrigen Vergleichsbasis durch die Pandemie im Vorjahr gelegen war. Zum Jahresende hatte das Wachstum deutlich nachgelassen. Der Premier kündigte an, der Wirtschaft mit der Senkung von Steuern und Abgaben unter die Arme zu greifen.

„Legitime Sicherheitsinteressen aller Länder“

Die Sitzung des Volkskongresses war von Russlands Invasion in die Ukraine überschattet. Hoffnungen, dass China seinen Einfluss auf seinen „strategischen Partner“ Russlands geltend macht, um einen Waffenstillstand oder eine Lösung zu erreichen, wurden aber enttäuscht. Auch Premier Li sagte nur, dass China „gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft eine aktive Rolle spielen“ wolle. Er nannte die Lage in der Ukraine „wirklich beunruhigend“. „Die drängende Aufgabe ist jetzt zu verhindern, dass die Spannungen eskalieren oder sogar außer Kontrolle geraten.“

Delegierte des chinesischen Volkskongresses
AP/Xinhua/Shen Hong
Ein Blick auf die Delegierten in der Großen Halle des Volkes vor Beendigung des diesjähringen Volkskongresses

Während er mit Hinweis auf die Ukraine einerseits hervorhob, dass die Souveränität und territoriale Integrität respektiert werden sollte, betonte der Premier andererseits offenbar mit Blick auf Russland, dass die „legitimen Sicherheitsinteressen aller Länder berücksichtigt“ werden müssten. Es sei jetzt wichtig, Russland und die Ukraine in ihren Verhandlungen zu unterstützen.

Experte: China ist nicht neutral

Diplomaten und Experten hoben hervor, dass China nicht wirklich zu einer Vermittlung bereit sei. „Nein, nicht für eine Sekunde“, sagte China-Experte Jude Blanchette vom Center of Strategic Studies (CSIS). „China ist nicht neutral. Chinas Unterstützung für Moskau ist stillschweigend an der Grenze zu eindeutig.“ Chinesische Offizielle machten am Rande der Tagung offenbar auch deutlich, dass sich China lieber aus dem Konflikt heraushält, wie geschildert wurde.

Außenministerium stellt USA als Verursacher dar

Während Li bewusst zurückhaltend auftrat, verstärkt Pekings Außenministerium seit Tagen die Angriffe auf die USA, die als Verursacher des Konflikts dargestellt werden. Auch wiederholte ein chinesischer Außenamtssprecher russische Unterstellungen über angeblich von den USA in der Ukraine hergestellte Biowaffen, die internationale Faktenchecker und die UNO längst entkräftet haben. Chinas Staatsmedien verbreiteten bewusst das russische Narrativ oder übernähmen häufig auch gezielte Desinformation, heißt es von Expertenseite.

Die Auseinandersetzung Russlands mit den USA wird ähnlich dargestellt wie Chinas eigener Konflikt mit der Supermacht. Auf der Tagung wurde aber auch eine systemische Überlegenheit betont: „Der Westen ist im Niedergang, während der Osten aufsteigt.“ In einem Aufsatz meinte Chinas Ex-Botschafter in der Ukraine und Kasachstan, Zhou Li: „Egal, wie sehr die USA versuchen, Sanktionen gegen uns zu erlassen oder China zu unterdrücken, wird es uns nicht daran hindern, ‚aufzusteigen‘, während sie ‚absteigen‘.“

Der russische Präsident Wladimir Putin
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Kreml-Chef Wladimir Putin bei einer Besprechung am 10. März

Warum Putin für Xi nicht scheitern darf

Auch Staats- und Parteichef Xi Jinping stellte „die ordentliche Regierung Chinas“ dem „Chaos des Westens“ gegenüber. Xi, der schon den Zusammenbruch der Sowjetunion zutiefst bedauert hatte, will seinen „Freund“ Putin nicht fallen lassen. „Er unterstützt Putin, weil beide die globale Dominanz der USA herausfordern wollen“, sagte Steve Tsang vom China-Institut der Londoner School of Oriental and African Studies (SOAS) dem „Telegraph“.

„Wenn Xi Jinping zulassen würde, dass Putin scheitert und seine Macht verliert, würde das nicht seine Feinde in China oder in der Kommunistischen Partei auf Ideen bringen?“, schrieb Tsang. Selbst eine Demütigung Putins durch die USA und den Westen würde Xis eigene Stellung untergraben, glaubt Tsang. Es wäre auch das Ende seiner Ambitionen, Taiwan zu erobern.

Besorgnis über Taiwan

Auf der Jahrestagung war auch die Entschlossenheit Chinas zu einer „Wiedervereinigung“ mit dem demokratischen Taiwan bekräftigt worden. Vor dem Hintergrund der Spannungen um Taiwan und mit den USA und der Territorialstreitigkeiten Chinas mit seinen Nachbarn im Süd- und Ostchinesischen Meer stimmte der Volkskongress denn auch für eine starke Steigerung der Verteidigungsausgaben um 7,1 Prozent. Es ist der höchste Zuwachs seit drei Jahren. Die Gesamtausgaben sollen hingegen nur um 3,9 Prozent wachsen.

Peking betrachtet das freiheitliche Taiwan nur als Teil der Volksrepublik und droht mit einer militärischen Eroberung. Die russische Invasion hat Besorgnis ausgelöst, dass China in Taiwan dem Beispiel Russlands in der Ukraine folgen könnte. Mehrere ranghohe frühere US-Regierungsvertreter hatten vergangene Woche Taiwan besucht, um angesichts der Ukraine-Krise ein Zeichen der Unterstützung der USA zu senden.