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ORF.at/Christian Öser
Hohe Energiepreise

Wettrennen um Lösungen

Das Wiederanspringen der Wirtschaft nach der pandemiebedingten Krise, die zu geringen russischen Gaslieferungen und jetzt noch der Ukraine-Krieg: Die Gründe für den sprunghaften Anstieg bei den Energiepreisen sind längst bestens bekannt. Jetzt läuft in Österreich und EU-weit erneut die Suche nach Lösungen und Abfederungsmaßnahmen – und das muss oder soll nun gemeinsam mit der Energiewende gestemmt werden. Eine komplexe Aufgabe, aber: Den Rahmen und die „Toolbox“ dazu gibt es bereits.

Denn die EU-Kommission stellte bereits im Oktober letzten Jahres einen solchen „Werkzeugkasten“ zusammen – also eine Zusammenfassung aller Maßnahmen, die nach der derzeitigen EU-Rechtslage, etwa was die Regeln des Binnenmarktes angeht, möglich sind. Zudem beauftragte der EU-Rat letzte Woche in Versailles die Kommission, bis Ende Mai einen „REPowerEU“-Plan auszuarbeiten.

Damit wird vorübergehend eine staatliche Preisregulierung ebenso ermöglicht, wie die Rückverteilung höherer Steuereinnahmen an die Steuerzahlerinnen und -zahler. Energieunternehmen haben wegen der stark steigenden Preise teils automatisch deutlich mehr Einnahmen und zahlen auch entsprechend mehr Steuern. Auch für von hohen Energiepreisen besonders betroffene Unternehmen sind kurzfristig Hilfen möglich.

Dreifache Herausforderung

Europa steht vor einer dreifachen Herausforderung: Einerseits machen Klimakrise und Ukraine-Krieg eine generelle und rasche Kehrtwende in der Energiepolitik nötig: Europa muss von Russlands Gas-, Öl- und Kohlelieferungen rasch und möglichst weitgehend unabhängig werden. Und es muss die Energiewende schaffen – also grüne Energie dramatisch ausbauen, um das selbst gesteckte Klimaziel zu erreichen. Gleichzeitig gilt es, aktuell angesichts der generell starken Inflation die teils dramatischen Kostensteigerungen bei Energie zumindest in Grenzen zu halten. Das ist auch nötig, um nicht die Konjunktur abzuwürgen.

Von einer Mehrwertsteuersenkung auf Öl und Gas über eine Senkung der Mineralölsteuer oder der Energieabgabe über Preisstützungen bis hin zu höheren Rückzahlungen – etwa auch sozial gestaffelt – werden derzeit in Österreich und anderen Ländern, allen voran Deutschland und Frankreich, von den jeweiligen Regierungen zahlreiche Überlegungen angestellt.

Frankreich senkt Mineralölsteuer

Frankreich hat nun eine Senkung der Mineralölsteuer (MöSt) um 15 Cent je Liter Sprit angekündigt. Dort drängt es besonders, sind doch Mitte April die Präsidentschaftswahlen, und Staatschef Emmanuel Macron will wohl neuerliche Gelbwestenproteste um jeden Preis vermeiden. Die deutsche „Ampelkoalition“ will noch diese Woche ein Paket präsentieren – intern wird zwischen SPD, Grünen und Liberalen wohl noch heftig gerungen. Dort stehen ähnliche Maßnahmen zur Diskussion wie hierzulande.

Der heimische Energiegipfel am Sonntag im Bundeskanzleramt brachte vorerst kein Ergebnis. Er war laut Regierungsangaben auch nicht dazu gedacht. Vielmehr sollten mit Betroffenen und wichtigen Akteuren – etwa der Energiewirtschaft und der Industrie – der Bedarf und mögliche Lösungen ausgelotet werden.

Brunner gegen Mehrwertsteuersenkungen

Geht es nach Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP), soll die Mehrwertsteuer angesichts immer höherer Inflation nicht abgesenkt werden, weil es die Besserverdiener mehr entlaste.

Brunner für Lockerung der Mindestsätze

Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) spricht sich gegen eine Mehrwertsteuersenkung auf Öl und Gas aus, von dieser würden vor allem Wohlhabendere profitieren. Steuer- und Abgabensenkungen seien jedenfalls „nicht ganz so trivial“, da es auf EU-Ebene Mindestsätze gebe. Brunner plädiert daher in Brüssel für eine zeitweilige Lockerung dieser Mindestsätze. Dafür braucht es allerdings Einstimmigkeit in der EU. Erst dann könnte die MöSt hierzulande bei Sprit so stark abgesenkt werden, dass sie deutlich über der ab Sommer durch die CO2-Bepreisung erwarteten Teuerung (acht bis neun Cent laut ÖAMTC) liegt.

Höherer Klimabonus?

Brunner ist zugleich gegen eine Verschiebung oder Senkung der CO2-Besteuerung. Denn damit verbunden ist der Klimabonus (mindestens 100, maximal 200 Euro jährlich) als Ausgleichszahlung, der für von Energiearmut betroffene Haushalte laut Regierungsangaben höher ist als die CO2-Besteuerung. Eine in der Regierung angedachte Option ist es vielmehr, diesen Klimabonus vorübergehend zu erhöhen.

Brunner plädiert seinerseits für eine Streichung der Elektrizitätsabgabe. Diese würde laut E-Control jährlich für einen durchschnittlichen Haushalt eine Ersparnis von etwa 60 Euro bringen. Die temporäre Streichung der Erdgasabgabe würde im Schnitt mehr – rund 100 Euro – bringen, so die E-Control. Damit wird allerdings das Sparen beim Gasverbrauch alles andere als unterstützt.

Breite Palette an Vorschlägen der Opposition

Die SPÖ fordert etwa die Senkung der Mehrwertsteuer und eine Deckelung des Strom- und Gaspreises. Die FPÖ tritt für einen Heizkostenzuschuss in der Höhe von 300 Euro und die Deckelung der Energiepreise bei jenen Energieversorgern, die im Besitz der öffentlichen Hand sind, ein. NEOS fordert die Abschaffung der kalten Progression. Das sei der beste Inflationsschutz.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace fordert dagegen höhere Ausgleichszahlungen an Haushalte, die von den höheren Energiepreisen besonders getroffen werden. Gleichzeitig brauche es Maßnahmen, um langfristig den starken Preisanstieg einzubremsen. Greenpeace fordert Maßnahmen zur Senkung des „verschwenderischen“ Energieverbrauchs und einen raschen Umstieg auf erneuerbare Energien. „Windfall-Profite“ – also Gewinne, die nicht erwirtschaftet, sondern etwa dank starker Preissteigerungen eingefahren werden – etwa von Firmen im Öl- und Gasgeschäft, will Greenpeace besteuert sehen.

Parallel zur Entlastung der Bevölkerung und Absicherung der Konjunktur arbeiten EU und Mitgliedsstaaten an Maßnahmen, um die Energieversorgung Europas grundlegend auf neue Beine zu stellen: Unter dem Schlagwort „REPowerEU“ soll bis Mai ein Plan stehen, von dem einige Grundsätze schon bekannt sind, etwa die dramatische Erhöhung der Speicherkapazität für Gas und Öl oder der Ausbau von Flüssiggasterminals. Auch der Ausbau der alternativen Energien soll nun beschleunigt vorangetrieben werden: Windkraftanlagen etc. etwa sollen rascher eine Genehmigung bekommen – auch hier ist Österreich im EU-Gleichschritt, soll ja die Umweltverträglichkeitsprüfung reformiert werden. Parallel soll der raschere Ausbau des Stromnetzes – national wie international – vorangetrieben werden.

Radikale Wende machbar

Eine radikale Wende bei der EU-Energiepolitik halten Fachleute bei entsprechender Entschlossenheit durchaus für machbar. Für Deutschland betonten letzte Woche mehrere Expertinnen und Experten der Akademie der Naturforscher Leopoldina in einer gemeinsamen Stellungnahme, dass ein völliger Gaslieferstopp auch kurzfristig handhabbar sei und stellten dar, welche Maßnahmen es dafür kurz-, mittel- und langfristig brauche.