Ein Auto in der serbischen Hauptstadt Belgrad mit russischer und serbischer Flagge und einem Z-Symbol
Reuters/Zorana Jevtic
Ukraine-Krieg

Der Reiz Putins für Serbien

Das Verhältnis Serbiens zu Russland und dessen Präsidenten Wladimir Putin hat offenbar auch durch die russische Invasion in die Ukraine kaum Schaden gelitten. Serbien gilt landläufig als Putin-freundlich, auch durch das immer wieder herausgestellte gute Verhältnis von Präsident Aleksandar Vucic und dem Kreml-Chef. Doch nicht alle Serbinnen und Serben sind damit einverstanden. Vucic selbst fährt einen Schlingerkurs, geht es doch auch um einen Beitritt zur Europäischen Union.

Vucic hatte in der Vergangenheit traditionell gute Beziehungen zu Russland gepflegt. Kürzlich stimmte Serbien zwar in einer Dringlichkeitssitzung der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York für eine Verurteilung des russischen Angriffskrieges. Den EU-Sanktionen gegen Russland wollte Vucic allerdings nicht folgen. Doch Serbien führt seit 2014 Beitrittsverhandlungen mit der EU. Putin versucht seit Jahren, die Balkanländer enger an sich zu binden und so einen Keil zwischen die EU-Länder zu treiben.

Unklar ist, wie lange Vucic diesen Spagat zwischen Putin-freundlich und hoffnungsvollem EU-Beitritt noch aufrechterhalten kann und auch will. Wichtig für Vucic: Am 3. April stehen neben der vorgezogenen Präsidentschaftswahl noch die Parlaments- und Kommunalwahlen an, da will Vucic keine prorussischen Wählerinnen und Wähler abschrecken.

Eine klare Position gegenüber dem Ukraine-Krieg und Russland forderte etwa auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erst unlängst bei ihrem Besuch in Serbien. „Wir dürfen diese für Europa so wichtige Region in unserer unmittelbaren Nachbarschaft nicht anderen Akteuren wie Russland überlassen und werden keine Destabilisierung der Region zulassen“, betonte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) im Vorfeld seiner Reise auf den Westbalkan, wo er am Donnerstag Vucic und Regierungschefin Ana Brnabic trifft.

Der russische Präsident Wladimir Putin
AP/Mikhail Klimentyev
Kreml-Chef Wladimir Putin hat viele Unterstützer und Unterstützerinnen in Serbien

Experte: Internes Chaos nach Entscheidung befürchtet

Experten sehen die Versuche der EU-Staaten skeptisch. „Was die Regierung am meisten fürchtet, ist das interne Chaos, das ausbrechen würde, wenn Serbien sich für eine Seite entscheidet“, so der Politikwissenschaftler Vuk Vuksanovic. „Sie hat Angst, nicht nur die prorussischen Teile der Wählerschaft zu verprellen, sondern auch die Kirche, die Armee und den Geheimdienst.“

Vucic bediene mit der Russland-Freundlichkeit und immer wieder auch mit dem Bekenntnis, dass Putin ein Freund Serbiens sei, das revisionistisch-nationalistische Wählersegment, schreibt die „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“). Kurz vor den Wahlen Anfang April sei das besonders wichtig.

Hass auf NATO vereint

Seit Jahrhunderten sind Serbien und Russland eng verbunden, durch das gemeinsame slawische und orthodoxe Erbe bis hin zu ihrer Allianz während der beiden Weltkriege. Der Einfluss Moskaus ist noch immer groß, nicht zuletzt wegen des russischen Öls und Gases, die Serbien versorgen. Doch die EU-Länder sind die wichtigsten Handelspartner für Serbien – und nicht etwa Russland.

Zerstörtes Gebäude der Luftstreitkräfte der jugoslawischen Armee in Belgrad, 1999
Reuters
1999 wurde das Gebäude der Luftstreitkräfte der jugoslawischen Armee in Belgrad durch NATO-Raketen zerstört

Andererseits teilen Teile der Bevölkerung in Serbien den russischen Hass auf die NATO. Während des Jugoslawien-Krieges wurde 1999 Serbien von der NATO bombardiert. Deswegen wundert es auch wenig, dass bei den prorussischen Demonstrationen nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine in Belgrad Anti-NATO-Parolen gerufen wurden. Rund tausend prorussische Demonstranten waren Anfang März auf die Straße gegangen, um ihrer Unterstützung für den russischen Einmarsch in die Ukraine Ausdruck zu verleihen.

Bosnien: Russland aufseiten der Serben-Separatisten

Mit russischen Flaggen und Bildern von Putin zogen die Demonstranten durch das Stadtzentrum. Die für den Westen verstörenden Bilder gingen um die Welt. Eine Solidaritätskundgebung für die Ukraine wenig später erhielt laut „NZZ“ allerdings kaum Beachtung, wie die Zeitung schrieb. Es sei unbestritten, dass Russland nirgends in Europa auf so große Sympathie zählen könne wie in Serbien, so die „NZZ“.

Prorussische Demonstranten in Belgrad
APA/AFP/Oliver Bunic
Die prorussische Demonstration in Belgrad

Baerbock drängte dann auch bei ihrem Besuch am Balkan darauf, den Westbalkan stärker an die EU zu binden und eben nicht immer mehr in den russischen Einflussbereich abdriften zu lassen. Baerbock spielte damit auf den bosnischen Serbenführer Milorad Dodik an, der in den vergangenen Monaten daran arbeitete, den serbischen Landesteil aus dem bosnischen Staatsverband herauszulösen. Dabei genießt er die Unterstützung Russlands, denn Moskau kennt die Bedürfnisse der serbischen Politik offenbar recht gut und steht auch in Sachen Unabhängigkeit des Kosovos auf der Seite Belgrads, etwa auch in der UNO. Serbien erkennt den Kosovo bisher nicht als eigenständigen Staat an.

Warnung vor Bedrohung der Stabilität

Baerbock nannte hingegen serbische Aktivitäten gegen die territoriale Integrität und Souveränität von Bosnien-Herzegowina inakzeptabel. „Sie bedrohen die Stabilität in der ganzen Region“, warnte sie tendenziell vor dem Einfluss Russlands. Kritiker sehen ein Spiel des Kremls darin, um die EU zumindest bei dieser Thematik zu spalten und für Unruhe zu sorgen bzw. Politiker auf dem Balkan auf die Seite des Kremls zu ziehen.

Vucic reagierte bei dem Besuch von Baerbock dann auch auf eine Journalistenfrage abwehrend, warum Serbien die EU-Sanktionen gegen Russland nicht nachvollziehe. „Serbien hat in keiner Weise irgendetwas getan, was die Ukraine verletzt hätte“, sagte er. Mit Blick auf eine mögliche Distanzierung von Putin ergänzte er: „Ich weiß nicht, wovon wir uns distanzieren sollen.“ Er fügte hinzu: „Hier geht es nicht um Personen.“ Seit Beginn des Konflikts habe er keine Kontakte zu russischen Amtsträgern gehabt.

„Russisch-serbisches humanitäres Zentrum“

Im Ausland sei wenig bekannt, dass Russland schon seit mehr als zehn Jahren eine Operationsbasis in Serbien habe, schreibt die „FAZ“. Sie liege neben dem lokalen Flughafen und sei das „Russisch-serbische humanitäre Zentrum“ in der südserbischen Stadt Nis. Laut der deutschen Zeitung würden dort offiziell seit 2012 Katastrophenschutzmaßnahmen koordiniert, etwa bei Waldbränden, Erdbeben und Überschwemmungen. Tatsächlich trete das Zentrum bei Naturkatastrophen immer wieder durch rasche Hilfe in Erscheinung, hieß es weiter. Ob das Zentrum auch eine weiterführende politische Rolle neben der „Freundschaftshilfe“ hat, ist allerdings unklar.

Medien machten Putin zur Ikone

Bei seiner Inszenierung der Russland-Freundlichkeit kann sich Vucic laut „NZZ“ auf die Unterstützung der ihm treu ergebenen Medien verlassen. Am Tag nach dem russischen Überfall titelte der von der „NZZ“ als Revolverblatt bezeichnete „Informer“: „Die Ukraine hat Russland angegriffen.“ Und dieses Bild von Russland ist Absicht. Sender, Zeitungen und Portale, die eng mit der Regierung kooperierten und von ihr subventioniert würden, hätten aus Putin eine Ikone gemacht, schreibt die „FAZ“. „Sie haben Putin in Serbien zu einem Rockstar gemacht“, sagte auch der Politikwissenschaftler Vuksanovic.

Laut „NZZ“ gibt es auch historische Parallelen zwischen Serbien und Russland. Durch den Zerfall der jeweiligen Vielvölkerreiche seien serbisch wie russisch geprägte Gebiete außerhalb der jeweiligen Staatsgrenzen zu liegen gekommen, so die „NZZ“. Diese würden aber immer „noch als Teil der serbischen oder russischen ‚Welt‘“ betrachtet werden. Das mache den Krieg in der Ukraine für den Balkan besonders gefährlich, so die „NZZ“.